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Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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denn doch seine Leidenschaft für die berüchtigte schöne Betty; denn diese that das im Großen, was alle seine übrigen Thorheiten an seinem Wohlstand nur im Kleinen vernichten konnten. Sie hat auch seinen Charakter zu Grunde gerichtet, der sich ursprünglich zum Guten neigte. Er ist gutherzig, aber schwach, so daß Jeder, welcher sich seiner bemächtigt, aus ihm machen kann, was er will. Meine gutgemeinten Worte verschollen nur in den Wind. Bis in die tiefe Mitternacht hinein habe ich zuweilen auf die eindringlichste Art gesprochen, aber es war nur Schade um alle meine Ermahnungen. Sie hatte ihn so in Stricken, daß er selbst seine redlichsten und ältesten Freunde um ihretwillen mißhandeln konnte.

Indem erhob man sich von der Tafel, und während der gegenseitigen Begrüßungen nahm Sophie die Gelegenheit wahr, indem sie dem alten Maler die Hand reichte, der sie ihr zierlich küßte, ihm deutlich zuzuflüstern: o Sie abscheulichster von allen abscheulichen Sündern, Sie undankbarer Heuchler! Wie kann es Ihr verkehrtes Herz über sich gewinnen, Den öffentlich zu lästern, von dessen Wohlthaten Sie sich bereichert haben, dessen Leichtsinn Sie benutzen, um ihn mit andern Gehülfen elend zu machen? Bisher habe ich Sie nur für abgeschmackt, aber gutmüthig gehalten; ich sehe aber, daß Sie nicht ohne Ursache eine wahre Teufels-Physiognomie tragen! Ich verabscheue Sie! -- Sie stieß ihn mit Bewegung zurück und eilte dann aus dem Zimmer.

Die Gesellschaft ging in den Bildersaal, wo der

denn doch seine Leidenschaft für die berüchtigte schöne Betty; denn diese that das im Großen, was alle seine übrigen Thorheiten an seinem Wohlstand nur im Kleinen vernichten konnten. Sie hat auch seinen Charakter zu Grunde gerichtet, der sich ursprünglich zum Guten neigte. Er ist gutherzig, aber schwach, so daß Jeder, welcher sich seiner bemächtigt, aus ihm machen kann, was er will. Meine gutgemeinten Worte verschollen nur in den Wind. Bis in die tiefe Mitternacht hinein habe ich zuweilen auf die eindringlichste Art gesprochen, aber es war nur Schade um alle meine Ermahnungen. Sie hatte ihn so in Stricken, daß er selbst seine redlichsten und ältesten Freunde um ihretwillen mißhandeln konnte.

Indem erhob man sich von der Tafel, und während der gegenseitigen Begrüßungen nahm Sophie die Gelegenheit wahr, indem sie dem alten Maler die Hand reichte, der sie ihr zierlich küßte, ihm deutlich zuzuflüstern: o Sie abscheulichster von allen abscheulichen Sündern, Sie undankbarer Heuchler! Wie kann es Ihr verkehrtes Herz über sich gewinnen, Den öffentlich zu lästern, von dessen Wohlthaten Sie sich bereichert haben, dessen Leichtsinn Sie benutzen, um ihn mit andern Gehülfen elend zu machen? Bisher habe ich Sie nur für abgeschmackt, aber gutmüthig gehalten; ich sehe aber, daß Sie nicht ohne Ursache eine wahre Teufels-Physiognomie tragen! Ich verabscheue Sie! — Sie stieß ihn mit Bewegung zurück und eilte dann aus dem Zimmer.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:27:02Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:27:02Z)

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/54>, abgerufen am 24.11.2024.