Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.und freundlich. Künstler und Freunde der Kunst, erwiderte er, sollten sich immer aufsuchen, um beständig von einander zu lernen. So war es in voriger Zeit, und auch dies war eine der Ursachen, daß die Malerei gedieh. Die Phantasie eines jeden Schaffenden ist beschränkt, und ermattet, wenn sie nicht von außen angefrischt und bereichert wird, und dies kann nur durch verständige, freundliche Mittheilungen geschehen; ohne zu erwähnen, was Correctheit, Anmuth der Behandlung und Auswahl der Gegenstände gewinnen. Sie haben sich, antwortete der alte Maler, einen Künstler vorzüglich ausersehen, den ich auch gewissermaßen mehr als alle liebe. Ich gestehe, sagte der Fremde, daß ich ihm mein Herz vielleicht etwas zu ausschließlich zugewendet habe. Es war mir früh vergönnt, einige ausgezeichnete Werke des Julio Romano kennen zu lernen und zu verstehen; in Mantua fand ich auf meinen Reisen Gelegenheit, ihn zu studiren, und seitdem glaube ich, meine Vorliebe auch rechtfertigen zu können. Gewiß, erwiderte der Alte, wird Ihr Aufenthalt dort zu den schönsten Epochen Ihres Lebens gehören. Habe ich doch zu meinem innerlichen Verdruß in neueren Zeiten auch manchen Tadel dieses großen Geistes hören müssen, vorzüglich, daß er die geistlichen Gegenstände nicht mit der gehörigen Innigkeit behandle. Einem Jeden ist nicht Alles gegeben. Aber die Verklärung des frischen sinnlichen Lebens, die Herrlichkeit des freien Muthwillens, und freundlich. Künstler und Freunde der Kunst, erwiderte er, sollten sich immer aufsuchen, um beständig von einander zu lernen. So war es in voriger Zeit, und auch dies war eine der Ursachen, daß die Malerei gedieh. Die Phantasie eines jeden Schaffenden ist beschränkt, und ermattet, wenn sie nicht von außen angefrischt und bereichert wird, und dies kann nur durch verständige, freundliche Mittheilungen geschehen; ohne zu erwähnen, was Correctheit, Anmuth der Behandlung und Auswahl der Gegenstände gewinnen. Sie haben sich, antwortete der alte Maler, einen Künstler vorzüglich ausersehen, den ich auch gewissermaßen mehr als alle liebe. Ich gestehe, sagte der Fremde, daß ich ihm mein Herz vielleicht etwas zu ausschließlich zugewendet habe. Es war mir früh vergönnt, einige ausgezeichnete Werke des Julio Romano kennen zu lernen und zu verstehen; in Mantua fand ich auf meinen Reisen Gelegenheit, ihn zu studiren, und seitdem glaube ich, meine Vorliebe auch rechtfertigen zu können. Gewiß, erwiderte der Alte, wird Ihr Aufenthalt dort zu den schönsten Epochen Ihres Lebens gehören. Habe ich doch zu meinem innerlichen Verdruß in neueren Zeiten auch manchen Tadel dieses großen Geistes hören müssen, vorzüglich, daß er die geistlichen Gegenstände nicht mit der gehörigen Innigkeit behandle. Einem Jeden ist nicht Alles gegeben. Aber die Verklärung des frischen sinnlichen Lebens, die Herrlichkeit des freien Muthwillens, <TEI> <text> <body> <div n="3"> <p><pb facs="#f0044"/> und freundlich. Künstler und Freunde der Kunst, erwiderte er, sollten sich immer aufsuchen, um beständig von einander zu lernen. So war es in voriger Zeit, und auch dies war eine der Ursachen, daß die Malerei gedieh. Die Phantasie eines jeden Schaffenden ist beschränkt, und ermattet, wenn sie nicht von außen angefrischt und bereichert wird, und dies kann nur durch verständige, freundliche Mittheilungen geschehen; ohne zu erwähnen, was Correctheit, Anmuth der Behandlung und Auswahl der Gegenstände gewinnen.</p><lb/> <p>Sie haben sich, antwortete der alte Maler, einen Künstler vorzüglich ausersehen, den ich auch gewissermaßen mehr als alle liebe.</p><lb/> <p>Ich gestehe, sagte der Fremde, daß ich ihm mein Herz vielleicht etwas zu ausschließlich zugewendet habe. Es war mir früh vergönnt, einige ausgezeichnete Werke des Julio Romano kennen zu lernen und zu verstehen; in Mantua fand ich auf meinen Reisen Gelegenheit, ihn zu studiren, und seitdem glaube ich, meine Vorliebe auch rechtfertigen zu können.</p><lb/> <p>Gewiß, erwiderte der Alte, wird Ihr Aufenthalt dort zu den schönsten Epochen Ihres Lebens gehören. Habe ich doch zu meinem innerlichen Verdruß in neueren Zeiten auch manchen Tadel dieses großen Geistes hören müssen, vorzüglich, daß er die geistlichen Gegenstände nicht mit der gehörigen Innigkeit behandle. Einem Jeden ist nicht Alles gegeben. Aber die Verklärung des frischen sinnlichen Lebens, die Herrlichkeit des freien Muthwillens,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0044]
und freundlich. Künstler und Freunde der Kunst, erwiderte er, sollten sich immer aufsuchen, um beständig von einander zu lernen. So war es in voriger Zeit, und auch dies war eine der Ursachen, daß die Malerei gedieh. Die Phantasie eines jeden Schaffenden ist beschränkt, und ermattet, wenn sie nicht von außen angefrischt und bereichert wird, und dies kann nur durch verständige, freundliche Mittheilungen geschehen; ohne zu erwähnen, was Correctheit, Anmuth der Behandlung und Auswahl der Gegenstände gewinnen.
Sie haben sich, antwortete der alte Maler, einen Künstler vorzüglich ausersehen, den ich auch gewissermaßen mehr als alle liebe.
Ich gestehe, sagte der Fremde, daß ich ihm mein Herz vielleicht etwas zu ausschließlich zugewendet habe. Es war mir früh vergönnt, einige ausgezeichnete Werke des Julio Romano kennen zu lernen und zu verstehen; in Mantua fand ich auf meinen Reisen Gelegenheit, ihn zu studiren, und seitdem glaube ich, meine Vorliebe auch rechtfertigen zu können.
Gewiß, erwiderte der Alte, wird Ihr Aufenthalt dort zu den schönsten Epochen Ihres Lebens gehören. Habe ich doch zu meinem innerlichen Verdruß in neueren Zeiten auch manchen Tadel dieses großen Geistes hören müssen, vorzüglich, daß er die geistlichen Gegenstände nicht mit der gehörigen Innigkeit behandle. Einem Jeden ist nicht Alles gegeben. Aber die Verklärung des frischen sinnlichen Lebens, die Herrlichkeit des freien Muthwillens,
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Zitationshilfe: | Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/44>, abgerufen am 27.07.2024. |