Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.welches der Mitlebende nicht ganz ignoriren darf, wenn er nicht unbillig sein will. Seit lange war die Kunst aus dem Leben getreten und nur ein Artikel des Luxus geworden; darüber vergaß man, daß sie jemals mit Kirche und Welt, mit Andacht und Begeisterung zusammengehangen hatte, und kalte Kennerschaft, Vorliebe für das Kleine und gemeine Natürlichkeit, so wie ein erkünstelter Enthusiasmus mußten sie erzeugen. Weiß ich doch die Zeit noch, wo man in den Gallerieen die schönsten Werke eines Leonardo nur als merkwürdige und sonderbare Alterthümer vorwies, selbst Rafael wurde nur mit einschränkender Kritik bewundert, und über noch ältere große Meister zuckte man die Achseln, und betrachtete die Malereien der früheren Deutschen oder Niederländer niemals ohne Lachen. Diese Barbarei der Unwissenheit ist doch jetzt vorüber. Wenn nur keine neue und schlimmere darüber entstände! rief Eulenböck, vom Weine hochroth erglühend, indem er dem Unbekannten einen feurigen Blick zuwarf. Mir thut es immer weh, daß in unsern Tagen das Wort des ächten Kenners fast nie mehr gehört wird; der Enthusiasmus übertönt die Einsicht, und doch ist für den Künstler nichts so lehrreich, als ein Gespräch mit einem ächten Kunstfreunde, das ihn belehre und erhebe, da es ihm oft in Jahren nicht so gut wird, dergleichen zu genießen. Der Fremde, welcher schon verstimmt und heftig zu werden schien, ward nach diesen Worten wieder heiter welches der Mitlebende nicht ganz ignoriren darf, wenn er nicht unbillig sein will. Seit lange war die Kunst aus dem Leben getreten und nur ein Artikel des Luxus geworden; darüber vergaß man, daß sie jemals mit Kirche und Welt, mit Andacht und Begeisterung zusammengehangen hatte, und kalte Kennerschaft, Vorliebe für das Kleine und gemeine Natürlichkeit, so wie ein erkünstelter Enthusiasmus mußten sie erzeugen. Weiß ich doch die Zeit noch, wo man in den Gallerieen die schönsten Werke eines Leonardo nur als merkwürdige und sonderbare Alterthümer vorwies, selbst Rafael wurde nur mit einschränkender Kritik bewundert, und über noch ältere große Meister zuckte man die Achseln, und betrachtete die Malereien der früheren Deutschen oder Niederländer niemals ohne Lachen. Diese Barbarei der Unwissenheit ist doch jetzt vorüber. Wenn nur keine neue und schlimmere darüber entstände! rief Eulenböck, vom Weine hochroth erglühend, indem er dem Unbekannten einen feurigen Blick zuwarf. Mir thut es immer weh, daß in unsern Tagen das Wort des ächten Kenners fast nie mehr gehört wird; der Enthusiasmus übertönt die Einsicht, und doch ist für den Künstler nichts so lehrreich, als ein Gespräch mit einem ächten Kunstfreunde, das ihn belehre und erhebe, da es ihm oft in Jahren nicht so gut wird, dergleichen zu genießen. Der Fremde, welcher schon verstimmt und heftig zu werden schien, ward nach diesen Worten wieder heiter <TEI> <text> <body> <div n="3"> <p><pb facs="#f0043"/> welches der Mitlebende nicht ganz ignoriren darf, wenn er nicht unbillig sein will. Seit lange war die Kunst aus dem Leben getreten und nur ein Artikel des Luxus geworden; darüber vergaß man, daß sie jemals mit Kirche und Welt, mit Andacht und Begeisterung zusammengehangen hatte, und kalte Kennerschaft, Vorliebe für das Kleine und gemeine Natürlichkeit, so wie ein erkünstelter Enthusiasmus mußten sie erzeugen. Weiß ich doch die Zeit noch, wo man in den Gallerieen die schönsten Werke eines Leonardo nur als merkwürdige und sonderbare Alterthümer vorwies, selbst Rafael wurde nur mit einschränkender Kritik bewundert, und über noch ältere große Meister zuckte man die Achseln, und betrachtete die Malereien der früheren Deutschen oder Niederländer niemals ohne Lachen. Diese Barbarei der Unwissenheit ist doch jetzt vorüber.</p><lb/> <p>Wenn nur keine neue und schlimmere darüber entstände! rief Eulenböck, vom Weine hochroth erglühend, indem er dem Unbekannten einen feurigen Blick zuwarf. Mir thut es immer weh, daß in unsern Tagen das Wort des ächten Kenners fast nie mehr gehört wird; der Enthusiasmus übertönt die Einsicht, und doch ist für den Künstler nichts so lehrreich, als ein Gespräch mit einem ächten Kunstfreunde, das ihn belehre und erhebe, da es ihm oft in Jahren nicht so gut wird, dergleichen zu genießen.</p><lb/> <p>Der Fremde, welcher schon verstimmt und heftig zu werden schien, ward nach diesen Worten wieder heiter<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0043]
welches der Mitlebende nicht ganz ignoriren darf, wenn er nicht unbillig sein will. Seit lange war die Kunst aus dem Leben getreten und nur ein Artikel des Luxus geworden; darüber vergaß man, daß sie jemals mit Kirche und Welt, mit Andacht und Begeisterung zusammengehangen hatte, und kalte Kennerschaft, Vorliebe für das Kleine und gemeine Natürlichkeit, so wie ein erkünstelter Enthusiasmus mußten sie erzeugen. Weiß ich doch die Zeit noch, wo man in den Gallerieen die schönsten Werke eines Leonardo nur als merkwürdige und sonderbare Alterthümer vorwies, selbst Rafael wurde nur mit einschränkender Kritik bewundert, und über noch ältere große Meister zuckte man die Achseln, und betrachtete die Malereien der früheren Deutschen oder Niederländer niemals ohne Lachen. Diese Barbarei der Unwissenheit ist doch jetzt vorüber.
Wenn nur keine neue und schlimmere darüber entstände! rief Eulenböck, vom Weine hochroth erglühend, indem er dem Unbekannten einen feurigen Blick zuwarf. Mir thut es immer weh, daß in unsern Tagen das Wort des ächten Kenners fast nie mehr gehört wird; der Enthusiasmus übertönt die Einsicht, und doch ist für den Künstler nichts so lehrreich, als ein Gespräch mit einem ächten Kunstfreunde, das ihn belehre und erhebe, da es ihm oft in Jahren nicht so gut wird, dergleichen zu genießen.
Der Fremde, welcher schon verstimmt und heftig zu werden schien, ward nach diesen Worten wieder heiter
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Zitationshilfe: | Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/43>, abgerufen am 16.02.2025. |