Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thunberg, Carl Peter: Reisen durch einen Theil von Europa, Afrika und Asien [...] in den Jahren 1770 bis 1779. Bd. 2. Übers. v. Christian Heinrich Groskurd. Berlin, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite
Reise von Ceylon nach Holland.

Jetzt bekamen wir auch die Nachricht, daß unser
Commandeur Koelbier mit seinem Schiffe vor zwey Ta-
gen angekommen und voraus gesegelt war.

Den 28sten fuhren wir, bey günstigem Winde und
unter Bedeckung des einen Kriegsschiffes, Dover und
Calais vorbey. Aber gegen Abend ungefehr um 10
Uhr entstand plötzlich ein heftiger Sturm, der uns ge-
gen das Land trieb, unsre Segel zerriß und den Ober-
theil der Masten herunterstürzte; dabey ward das Schiff
so gewaltsam hin und her geworfen, daß es unmöglich
war, auf den Füßen stehen zu bleiben. Wir waren
den Brandungen so nahe, daß sich jedermann für ver-
loren hielt, und auch kein Matrose mehr zur Rettung
des Schiffs Hand anlegen wollte. Es war stok fin-
ster und zu noch größerem Unglück war auch die
Mannschaft schwach und so abgemattet, daß die
Matrosen bey der Arbeit kraftlos von den Tauen herab-
fielen, und andere auf dem Verdecke selbst in Ohnmacht
sanken. Hieran war der schändliche Geitz des Capitains
und des Obersteuermanns schuld. In der Hofnung, daß
die Fahrt nicht so lange dauern würde, hatten sie am
Cap, auf eine sehr unerlaubte Art, einen großen Theil
des Fleisches, Specks und anderes für die Mannschaft be-
stimmten Proviants verkauft und das Geld in ihre Ta-
schen gesteckt. Die ganze Reise über hatten sich also
die Leute größtentheils mit Reis und Hülsenfrüchten
behelfen müssen, und wenig nahrhafte Sachen be-
kommen. Da nun die Reise sich überdem noch so in
die Länge zog, so kamen die Leute dabey immer mehr
von Kräften und wurden ganz mißmüthig. Wirk-
lich verklagten sie auch den Capitain und den Obersteuer-
mann wegen dieses Diebstahls und beyde wurden für un-

Reiſe von Ceylon nach Holland.

Jetzt bekamen wir auch die Nachricht, daß unſer
Commandeur Koelbier mit ſeinem Schiffe vor zwey Ta-
gen angekommen und voraus geſegelt war.

Den 28ſten fuhren wir, bey guͤnſtigem Winde und
unter Bedeckung des einen Kriegsſchiffes, Dover und
Calais vorbey. Aber gegen Abend ungefehr um 10
Uhr entſtand ploͤtzlich ein heftiger Sturm, der uns ge-
gen das Land trieb, unſre Segel zerriß und den Ober-
theil der Maſten herunterſtuͤrzte; dabey ward das Schiff
ſo gewaltſam hin und her geworfen, daß es unmoͤglich
war, auf den Fuͤßen ſtehen zu bleiben. Wir waren
den Brandungen ſo nahe, daß ſich jedermann fuͤr ver-
loren hielt, und auch kein Matroſe mehr zur Rettung
des Schiffs Hand anlegen wollte. Es war ſtok fin-
ſter und zu noch groͤßerem Ungluͤck war auch die
Mannſchaft ſchwach und ſo abgemattet, daß die
Matroſen bey der Arbeit kraftlos von den Tauen herab-
fielen, und andere auf dem Verdecke ſelbſt in Ohnmacht
ſanken. Hieran war der ſchaͤndliche Geitz des Capitains
und des Oberſteuermanns ſchuld. In der Hofnung, daß
die Fahrt nicht ſo lange dauern wuͤrde, hatten ſie am
Cap, auf eine ſehr unerlaubte Art, einen großen Theil
des Fleiſches, Specks und anderes fuͤr die Mannſchaft be-
ſtimmten Proviants verkauft und das Geld in ihre Ta-
ſchen geſteckt. Die ganze Reiſe uͤber hatten ſich alſo
die Leute groͤßtentheils mit Reis und Huͤlſenfruͤchten
behelfen muͤſſen, und wenig nahrhafte Sachen be-
kommen. Da nun die Reiſe ſich uͤberdem noch ſo in
die Laͤnge zog, ſo kamen die Leute dabey immer mehr
von Kraͤften und wurden ganz mißmuͤthig. Wirk-
lich verklagten ſie auch den Capitain und den Oberſteuer-
mann wegen dieſes Diebſtahls und beyde wurden fuͤr un-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0549" n="253"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Rei&#x017F;e von <placeName>Ceylon</placeName> nach <placeName>Holland</placeName>.</hi> </fw><lb/>
            <p>Jetzt bekamen wir auch die Nachricht, daß un&#x017F;er<lb/>
Commandeur <persName>Koelbier</persName> mit &#x017F;einem Schiffe vor zwey Ta-<lb/>
gen angekommen und voraus ge&#x017F;egelt war.</p><lb/>
            <p>Den 28&#x017F;ten fuhren wir, bey gu&#x0364;n&#x017F;tigem Winde und<lb/>
unter Bedeckung des einen Kriegs&#x017F;chiffes, <placeName>Dover</placeName> und<lb/><placeName>Calais</placeName> vorbey. Aber gegen Abend ungefehr um 10<lb/>
Uhr ent&#x017F;tand plo&#x0364;tzlich ein heftiger Sturm, der uns ge-<lb/>
gen das Land trieb, un&#x017F;re Segel zerriß und den Ober-<lb/>
theil der Ma&#x017F;ten herunter&#x017F;tu&#x0364;rzte; dabey ward das Schiff<lb/>
&#x017F;o gewalt&#x017F;am hin und her geworfen, daß es unmo&#x0364;glich<lb/>
war, auf den Fu&#x0364;ßen &#x017F;tehen zu bleiben. Wir waren<lb/>
den Brandungen &#x017F;o nahe, daß &#x017F;ich jedermann fu&#x0364;r ver-<lb/>
loren hielt, und auch kein Matro&#x017F;e mehr zur Rettung<lb/>
des Schiffs Hand anlegen wollte. Es war &#x017F;tok fin-<lb/>
&#x017F;ter und zu noch gro&#x0364;ßerem Unglu&#x0364;ck war auch die<lb/>
Mann&#x017F;chaft &#x017F;chwach und &#x017F;o abgemattet, daß die<lb/>
Matro&#x017F;en bey der Arbeit kraftlos von den Tauen herab-<lb/>
fielen, und andere auf dem Verdecke &#x017F;elb&#x017F;t in Ohnmacht<lb/>
&#x017F;anken. Hieran war der &#x017F;cha&#x0364;ndliche Geitz des Capitains<lb/>
und des Ober&#x017F;teuermanns &#x017F;chuld. In der Hofnung, daß<lb/>
die Fahrt nicht &#x017F;o lange dauern wu&#x0364;rde, hatten &#x017F;ie am<lb/><placeName>Cap</placeName>, auf eine &#x017F;ehr unerlaubte Art, einen großen Theil<lb/>
des Flei&#x017F;ches, Specks und anderes fu&#x0364;r die Mann&#x017F;chaft be-<lb/>
&#x017F;timmten Proviants verkauft und das Geld in ihre Ta-<lb/>
&#x017F;chen ge&#x017F;teckt. Die ganze Rei&#x017F;e u&#x0364;ber hatten &#x017F;ich al&#x017F;o<lb/>
die Leute gro&#x0364;ßtentheils mit Reis und Hu&#x0364;l&#x017F;enfru&#x0364;chten<lb/>
behelfen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, und wenig nahrhafte Sachen be-<lb/>
kommen. Da nun die Rei&#x017F;e &#x017F;ich u&#x0364;berdem noch &#x017F;o in<lb/>
die La&#x0364;nge zog, &#x017F;o kamen die Leute dabey immer mehr<lb/>
von Kra&#x0364;ften und wurden ganz mißmu&#x0364;thig. Wirk-<lb/>
lich verklagten &#x017F;ie auch den Capitain und den Ober&#x017F;teuer-<lb/>
mann wegen die&#x017F;es Dieb&#x017F;tahls und beyde wurden fu&#x0364;r un-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[253/0549] Reiſe von Ceylon nach Holland. Jetzt bekamen wir auch die Nachricht, daß unſer Commandeur Koelbier mit ſeinem Schiffe vor zwey Ta- gen angekommen und voraus geſegelt war. Den 28ſten fuhren wir, bey guͤnſtigem Winde und unter Bedeckung des einen Kriegsſchiffes, Dover und Calais vorbey. Aber gegen Abend ungefehr um 10 Uhr entſtand ploͤtzlich ein heftiger Sturm, der uns ge- gen das Land trieb, unſre Segel zerriß und den Ober- theil der Maſten herunterſtuͤrzte; dabey ward das Schiff ſo gewaltſam hin und her geworfen, daß es unmoͤglich war, auf den Fuͤßen ſtehen zu bleiben. Wir waren den Brandungen ſo nahe, daß ſich jedermann fuͤr ver- loren hielt, und auch kein Matroſe mehr zur Rettung des Schiffs Hand anlegen wollte. Es war ſtok fin- ſter und zu noch groͤßerem Ungluͤck war auch die Mannſchaft ſchwach und ſo abgemattet, daß die Matroſen bey der Arbeit kraftlos von den Tauen herab- fielen, und andere auf dem Verdecke ſelbſt in Ohnmacht ſanken. Hieran war der ſchaͤndliche Geitz des Capitains und des Oberſteuermanns ſchuld. In der Hofnung, daß die Fahrt nicht ſo lange dauern wuͤrde, hatten ſie am Cap, auf eine ſehr unerlaubte Art, einen großen Theil des Fleiſches, Specks und anderes fuͤr die Mannſchaft be- ſtimmten Proviants verkauft und das Geld in ihre Ta- ſchen geſteckt. Die ganze Reiſe uͤber hatten ſich alſo die Leute groͤßtentheils mit Reis und Huͤlſenfruͤchten behelfen muͤſſen, und wenig nahrhafte Sachen be- kommen. Da nun die Reiſe ſich uͤberdem noch ſo in die Laͤnge zog, ſo kamen die Leute dabey immer mehr von Kraͤften und wurden ganz mißmuͤthig. Wirk- lich verklagten ſie auch den Capitain und den Oberſteuer- mann wegen dieſes Diebſtahls und beyde wurden fuͤr un-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thunberg_reisen02_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thunberg_reisen02_1794/549
Zitationshilfe: Thunberg, Carl Peter: Reisen durch einen Theil von Europa, Afrika und Asien [...] in den Jahren 1770 bis 1779. Bd. 2. Übers. v. Christian Heinrich Groskurd. Berlin, 1794, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thunberg_reisen02_1794/549>, abgerufen am 25.11.2024.