Jetzt bekamen wir auch die Nachricht, daß unser Commandeur Koelbier mit seinem Schiffe vor zwey Ta- gen angekommen und voraus gesegelt war.
Den 28sten fuhren wir, bey günstigem Winde und unter Bedeckung des einen Kriegsschiffes, Dover und Calais vorbey. Aber gegen Abend ungefehr um 10 Uhr entstand plötzlich ein heftiger Sturm, der uns ge- gen das Land trieb, unsre Segel zerriß und den Ober- theil der Masten herunterstürzte; dabey ward das Schiff so gewaltsam hin und her geworfen, daß es unmöglich war, auf den Füßen stehen zu bleiben. Wir waren den Brandungen so nahe, daß sich jedermann für ver- loren hielt, und auch kein Matrose mehr zur Rettung des Schiffs Hand anlegen wollte. Es war stok fin- ster und zu noch größerem Unglück war auch die Mannschaft schwach und so abgemattet, daß die Matrosen bey der Arbeit kraftlos von den Tauen herab- fielen, und andere auf dem Verdecke selbst in Ohnmacht sanken. Hieran war der schändliche Geitz des Capitains und des Obersteuermanns schuld. In der Hofnung, daß die Fahrt nicht so lange dauern würde, hatten sie am Cap, auf eine sehr unerlaubte Art, einen großen Theil des Fleisches, Specks und anderes für die Mannschaft be- stimmten Proviants verkauft und das Geld in ihre Ta- schen gesteckt. Die ganze Reise über hatten sich also die Leute größtentheils mit Reis und Hülsenfrüchten behelfen müssen, und wenig nahrhafte Sachen be- kommen. Da nun die Reise sich überdem noch so in die Länge zog, so kamen die Leute dabey immer mehr von Kräften und wurden ganz mißmüthig. Wirk- lich verklagten sie auch den Capitain und den Obersteuer- mann wegen dieses Diebstahls und beyde wurden für un-
Reiſe von Ceylon nach Holland.
Jetzt bekamen wir auch die Nachricht, daß unſer Commandeur Koelbier mit ſeinem Schiffe vor zwey Ta- gen angekommen und voraus geſegelt war.
Den 28ſten fuhren wir, bey guͤnſtigem Winde und unter Bedeckung des einen Kriegsſchiffes, Dover und Calais vorbey. Aber gegen Abend ungefehr um 10 Uhr entſtand ploͤtzlich ein heftiger Sturm, der uns ge- gen das Land trieb, unſre Segel zerriß und den Ober- theil der Maſten herunterſtuͤrzte; dabey ward das Schiff ſo gewaltſam hin und her geworfen, daß es unmoͤglich war, auf den Fuͤßen ſtehen zu bleiben. Wir waren den Brandungen ſo nahe, daß ſich jedermann fuͤr ver- loren hielt, und auch kein Matroſe mehr zur Rettung des Schiffs Hand anlegen wollte. Es war ſtok fin- ſter und zu noch groͤßerem Ungluͤck war auch die Mannſchaft ſchwach und ſo abgemattet, daß die Matroſen bey der Arbeit kraftlos von den Tauen herab- fielen, und andere auf dem Verdecke ſelbſt in Ohnmacht ſanken. Hieran war der ſchaͤndliche Geitz des Capitains und des Oberſteuermanns ſchuld. In der Hofnung, daß die Fahrt nicht ſo lange dauern wuͤrde, hatten ſie am Cap, auf eine ſehr unerlaubte Art, einen großen Theil des Fleiſches, Specks und anderes fuͤr die Mannſchaft be- ſtimmten Proviants verkauft und das Geld in ihre Ta- ſchen geſteckt. Die ganze Reiſe uͤber hatten ſich alſo die Leute groͤßtentheils mit Reis und Huͤlſenfruͤchten behelfen muͤſſen, und wenig nahrhafte Sachen be- kommen. Da nun die Reiſe ſich uͤberdem noch ſo in die Laͤnge zog, ſo kamen die Leute dabey immer mehr von Kraͤften und wurden ganz mißmuͤthig. Wirk- lich verklagten ſie auch den Capitain und den Oberſteuer- mann wegen dieſes Diebſtahls und beyde wurden fuͤr un-
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Reiſe von Ceylon nach Holland.
Jetzt bekamen wir auch die Nachricht, daß unſer
Commandeur Koelbier mit ſeinem Schiffe vor zwey Ta-
gen angekommen und voraus geſegelt war.
Den 28ſten fuhren wir, bey guͤnſtigem Winde und
unter Bedeckung des einen Kriegsſchiffes, Dover und
Calais vorbey. Aber gegen Abend ungefehr um 10
Uhr entſtand ploͤtzlich ein heftiger Sturm, der uns ge-
gen das Land trieb, unſre Segel zerriß und den Ober-
theil der Maſten herunterſtuͤrzte; dabey ward das Schiff
ſo gewaltſam hin und her geworfen, daß es unmoͤglich
war, auf den Fuͤßen ſtehen zu bleiben. Wir waren
den Brandungen ſo nahe, daß ſich jedermann fuͤr ver-
loren hielt, und auch kein Matroſe mehr zur Rettung
des Schiffs Hand anlegen wollte. Es war ſtok fin-
ſter und zu noch groͤßerem Ungluͤck war auch die
Mannſchaft ſchwach und ſo abgemattet, daß die
Matroſen bey der Arbeit kraftlos von den Tauen herab-
fielen, und andere auf dem Verdecke ſelbſt in Ohnmacht
ſanken. Hieran war der ſchaͤndliche Geitz des Capitains
und des Oberſteuermanns ſchuld. In der Hofnung, daß
die Fahrt nicht ſo lange dauern wuͤrde, hatten ſie am
Cap, auf eine ſehr unerlaubte Art, einen großen Theil
des Fleiſches, Specks und anderes fuͤr die Mannſchaft be-
ſtimmten Proviants verkauft und das Geld in ihre Ta-
ſchen geſteckt. Die ganze Reiſe uͤber hatten ſich alſo
die Leute groͤßtentheils mit Reis und Huͤlſenfruͤchten
behelfen muͤſſen, und wenig nahrhafte Sachen be-
kommen. Da nun die Reiſe ſich uͤberdem noch ſo in
die Laͤnge zog, ſo kamen die Leute dabey immer mehr
von Kraͤften und wurden ganz mißmuͤthig. Wirk-
lich verklagten ſie auch den Capitain und den Oberſteuer-
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Thunberg, Carl Peter: Reisen durch einen Theil von Europa, Afrika und Asien [...] in den Jahren 1770 bis 1779. Bd. 2. Übers. v. Christian Heinrich Groskurd. Berlin, 1794, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thunberg_reisen02_1794/549>, abgerufen am 25.11.2024.
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