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Thunberg, Carl Peter: Reisen durch einen Theil von Europa, Afrika und Asien [...] in den Jahren 1770 bis 1779. Bd. 2. Übers. v. Christian Heinrich Groskurd. Berlin, 1794.

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Fünfte Abtheilung. Zweyter Abschnitt.
hingedrungen sind, möglich ist. Zu den aufgeklärtesten
Nationen kann man sie freylich nicht rechnen. Aber
wenn man sie den so genannten wilden Nationen beyzäh-
len wollte, so würde man ihnen großes Unrecht thun.
Vielmehr verdienen sie unter den gesittetsten einen Platz.
Ihre jetzige Regierungsform, die Einrichtung und Art
ihres Handels mit den Ausländern, ihre Künste und
Handwerke, ihr Ueberfluß an allem Nothwendigen, und
so manches andre, sind unwidersprechliche Beweise ihres
Verstandes, ihrer Klugheit, und ihrer ernsthaften und
reellen Denkungsart. Nie findet man unter ihnen eine
Spur von der kindischen Eitelkeit und albernen Putzlust,
die man bey andern Asiatischen und Afrikanischen Völ-
kern so häufig antrifft, welche sich mit Muscheln, Glas-
korallen, blanken Metallblättchen, und dergleichen
schmücken. Eben so wenig aber kennen sie den unnützen
und nur glänzenden Schmuck und Prunk der Europäer
mit Gold, Silber, Juwelen und was mehr dahin ge-
hört. Auch ahmen sie in keinem Stücke ausländischen
Luxus nach, sondern machen aus einheimischen Produ-
cten hübsche Kleider, wohlschmeckende Gerichte und vor-
treffliche Waffen.

Freyheit ist das Leben der Japaner; keine solche,
die in Ungebundenheit, Muthwillen und Eigengewalt
übergeht, sondern die durch Gesetze auf die gehörige Art
eingeschränkt ist. Viele glauben zwar, der gemeine
Mann in Japan sey nichts anders, als Sklave einer de-
spotischen Regierung, weil die Gesetze sehr streng sind.
Aber ein Knecht, der sich auf ein Jahr bey einem Herrn
vermiethet, ist darum kein Sklave und ein Soldat,
der auf gewisse, oft viele Jahre, gemiethet und viel
schärfer gehalten wird, ist ebenfalls darum kein Sklave,
ob er gleich den strengsten Befehlen seiner Vorgesetzten

Fuͤnfte Abtheilung. Zweyter Abſchnitt.
hingedrungen ſind, moͤglich iſt. Zu den aufgeklaͤrteſten
Nationen kann man ſie freylich nicht rechnen. Aber
wenn man ſie den ſo genannten wilden Nationen beyzaͤh-
len wollte, ſo wuͤrde man ihnen großes Unrecht thun.
Vielmehr verdienen ſie unter den geſittetſten einen Platz.
Ihre jetzige Regierungsform, die Einrichtung und Art
ihres Handels mit den Auslaͤndern, ihre Kuͤnſte und
Handwerke, ihr Ueberfluß an allem Nothwendigen, und
ſo manches andre, ſind unwiderſprechliche Beweiſe ihres
Verſtandes, ihrer Klugheit, und ihrer ernſthaften und
reellen Denkungsart. Nie findet man unter ihnen eine
Spur von der kindiſchen Eitelkeit und albernen Putzluſt,
die man bey andern Aſiatiſchen und Afrikaniſchen Voͤl-
kern ſo haͤufig antrifft, welche ſich mit Muſcheln, Glas-
korallen, blanken Metallblaͤttchen, und dergleichen
ſchmuͤcken. Eben ſo wenig aber kennen ſie den unnuͤtzen
und nur glaͤnzenden Schmuck und Prunk der Europaͤer
mit Gold, Silber, Juwelen und was mehr dahin ge-
hoͤrt. Auch ahmen ſie in keinem Stuͤcke auslaͤndiſchen
Luxus nach, ſondern machen aus einheimiſchen Produ-
cten huͤbſche Kleider, wohlſchmeckende Gerichte und vor-
treffliche Waffen.

Freyheit iſt das Leben der Japaner; keine ſolche,
die in Ungebundenheit, Muthwillen und Eigengewalt
uͤbergeht, ſondern die durch Geſetze auf die gehoͤrige Art
eingeſchraͤnkt iſt. Viele glauben zwar, der gemeine
Mann in Japan ſey nichts anders, als Sklave einer de-
ſpotiſchen Regierung, weil die Geſetze ſehr ſtreng ſind.
Aber ein Knecht, der ſich auf ein Jahr bey einem Herrn
vermiethet, iſt darum kein Sklave und ein Soldat,
der auf gewiſſe, oft viele Jahre, gemiethet und viel
ſchaͤrfer gehalten wird, iſt ebenfalls darum kein Sklave,
ob er gleich den ſtrengſten Befehlen ſeiner Vorgeſetzten

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[156/0190] Fuͤnfte Abtheilung. Zweyter Abſchnitt. hingedrungen ſind, moͤglich iſt. Zu den aufgeklaͤrteſten Nationen kann man ſie freylich nicht rechnen. Aber wenn man ſie den ſo genannten wilden Nationen beyzaͤh- len wollte, ſo wuͤrde man ihnen großes Unrecht thun. Vielmehr verdienen ſie unter den geſittetſten einen Platz. Ihre jetzige Regierungsform, die Einrichtung und Art ihres Handels mit den Auslaͤndern, ihre Kuͤnſte und Handwerke, ihr Ueberfluß an allem Nothwendigen, und ſo manches andre, ſind unwiderſprechliche Beweiſe ihres Verſtandes, ihrer Klugheit, und ihrer ernſthaften und reellen Denkungsart. Nie findet man unter ihnen eine Spur von der kindiſchen Eitelkeit und albernen Putzluſt, die man bey andern Aſiatiſchen und Afrikaniſchen Voͤl- kern ſo haͤufig antrifft, welche ſich mit Muſcheln, Glas- korallen, blanken Metallblaͤttchen, und dergleichen ſchmuͤcken. Eben ſo wenig aber kennen ſie den unnuͤtzen und nur glaͤnzenden Schmuck und Prunk der Europaͤer mit Gold, Silber, Juwelen und was mehr dahin ge- hoͤrt. Auch ahmen ſie in keinem Stuͤcke auslaͤndiſchen Luxus nach, ſondern machen aus einheimiſchen Produ- cten huͤbſche Kleider, wohlſchmeckende Gerichte und vor- treffliche Waffen. Freyheit iſt das Leben der Japaner; keine ſolche, die in Ungebundenheit, Muthwillen und Eigengewalt uͤbergeht, ſondern die durch Geſetze auf die gehoͤrige Art eingeſchraͤnkt iſt. Viele glauben zwar, der gemeine Mann in Japan ſey nichts anders, als Sklave einer de- ſpotiſchen Regierung, weil die Geſetze ſehr ſtreng ſind. Aber ein Knecht, der ſich auf ein Jahr bey einem Herrn vermiethet, iſt darum kein Sklave und ein Soldat, der auf gewiſſe, oft viele Jahre, gemiethet und viel ſchaͤrfer gehalten wird, iſt ebenfalls darum kein Sklave, ob er gleich den ſtrengſten Befehlen ſeiner Vorgeſetzten

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Zitationshilfe: Thunberg, Carl Peter: Reisen durch einen Theil von Europa, Afrika und Asien [...] in den Jahren 1770 bis 1779. Bd. 2. Übers. v. Christian Heinrich Groskurd. Berlin, 1794, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thunberg_reisen02_1794/190>, abgerufen am 23.11.2024.