Unter den Getreidearten säet und bauet man hier zwar auch Gerste; aber, welches merkwürdig ist, bloß zum Futter für die Pferde. Man mähet sie des Jahrs mehreremahl ab; zum erstenmahl gewöhnlich im August, wenn sie Aehren bekommen hat. Man sieht auch häufig Gerste in Bunden nach der Stadt zum Verkauf zu Pfer- defutter bringen. Auf dem Lande mähet man des Abends einige Bund ab, und wirft sie im Stalle, oder auch auf dem Hofe, wo die Pferde oft des Nachts bleiben und nur angebunden werden, den Pferden, wenn sie von der Arbeit oder von der Weide zu Hause kommen, zum Nachtfutter vor.
Jeder Bauer besitzt viel Vieh, Pferde, Ochsen, Kühe, Schafe, Lämmer, Ziegen, Enten und Gänse. Alles Vieh wird des Morgens ausgetrieben, muß den Tag über auf den Höhen und Bergen weiden, und kommt, wenn die Sonne untergeht, wieder zu Hause. Ein Sklave ist der Hirt. Des Nachts liegt alles Vieh unter freyem Himmel, jedoch jede Art für sich, auf einem Platze, der mit einer von Lehmsteinen erbaueten Mauer umgeben ist. Die Schafe sollen in Ansehung der Wolle hiedurch Schaden leiden. Ein angenehmer Anblick ist es, zu sehen, wie die Lämmer, welche man, so lange sie noch zart sind, zu Hause behält, des Abends ihren zurückkommenden Müttern entgegenlaufen. Sobald sich die Stimme der Mutter in weiter Entfernung kaum hö- ren zu lassen anfängt, fangen auch die hungrigen Lämmer schon an zu blöken, und ihnen eine Strecke entgegen zu laufen; wenn sie sie aber alsdann noch nicht ansichtig werden, laufen sie wieder zurück. Wenn die Mütter näher kommen, vermehrt sich das Geschrey, und die Lämmer laufen ihnen von neuem mit vollem Geblöke ent- gegen, und begleiten sie von da an zu Hause. Die hie-
Zweyte Abtheilung. Zweyter Abſchnitt.
Unter den Getreidearten ſaͤet und bauet man hier zwar auch Gerſte; aber, welches merkwuͤrdig iſt, bloß zum Futter fuͤr die Pferde. Man maͤhet ſie des Jahrs mehreremahl ab; zum erſtenmahl gewoͤhnlich im Auguſt, wenn ſie Aehren bekommen hat. Man ſieht auch haͤufig Gerſte in Bunden nach der Stadt zum Verkauf zu Pfer- defutter bringen. Auf dem Lande maͤhet man des Abends einige Bund ab, und wirft ſie im Stalle, oder auch auf dem Hofe, wo die Pferde oft des Nachts bleiben und nur angebunden werden, den Pferden, wenn ſie von der Arbeit oder von der Weide zu Hauſe kommen, zum Nachtfutter vor.
Jeder Bauer beſitzt viel Vieh, Pferde, Ochſen, Kuͤhe, Schafe, Laͤmmer, Ziegen, Enten und Gaͤnſe. Alles Vieh wird des Morgens ausgetrieben, muß den Tag uͤber auf den Hoͤhen und Bergen weiden, und kommt, wenn die Sonne untergeht, wieder zu Hauſe. Ein Sklave iſt der Hirt. Des Nachts liegt alles Vieh unter freyem Himmel, jedoch jede Art fuͤr ſich, auf einem Platze, der mit einer von Lehmſteinen erbaueten Mauer umgeben iſt. Die Schafe ſollen in Anſehung der Wolle hiedurch Schaden leiden. Ein angenehmer Anblick iſt es, zu ſehen, wie die Laͤmmer, welche man, ſo lange ſie noch zart ſind, zu Hauſe behaͤlt, des Abends ihren zuruͤckkommenden Muͤttern entgegenlaufen. Sobald ſich die Stimme der Mutter in weiter Entfernung kaum hoͤ- ren zu laſſen anfaͤngt, fangen auch die hungrigen Laͤmmer ſchon an zu bloͤken, und ihnen eine Strecke entgegen zu laufen; wenn ſie ſie aber alsdann noch nicht anſichtig werden, laufen ſie wieder zuruͤck. Wenn die Muͤtter naͤher kommen, vermehrt ſich das Geſchrey, und die Laͤmmer laufen ihnen von neuem mit vollem Gebloͤke ent- gegen, und begleiten ſie von da an zu Hauſe. Die hie-
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Zweyte Abtheilung. Zweyter Abſchnitt.
Unter den Getreidearten ſaͤet und bauet man hier
zwar auch Gerſte; aber, welches merkwuͤrdig iſt, bloß
zum Futter fuͤr die Pferde. Man maͤhet ſie des Jahrs
mehreremahl ab; zum erſtenmahl gewoͤhnlich im Auguſt,
wenn ſie Aehren bekommen hat. Man ſieht auch haͤufig
Gerſte in Bunden nach der Stadt zum Verkauf zu Pfer-
defutter bringen. Auf dem Lande maͤhet man des Abends
einige Bund ab, und wirft ſie im Stalle, oder auch auf
dem Hofe, wo die Pferde oft des Nachts bleiben und
nur angebunden werden, den Pferden, wenn ſie von
der Arbeit oder von der Weide zu Hauſe kommen, zum
Nachtfutter vor.
Jeder Bauer beſitzt viel Vieh, Pferde, Ochſen,
Kuͤhe, Schafe, Laͤmmer, Ziegen, Enten und Gaͤnſe.
Alles Vieh wird des Morgens ausgetrieben, muß den
Tag uͤber auf den Hoͤhen und Bergen weiden, und kommt,
wenn die Sonne untergeht, wieder zu Hauſe. Ein
Sklave iſt der Hirt. Des Nachts liegt alles Vieh unter
freyem Himmel, jedoch jede Art fuͤr ſich, auf einem
Platze, der mit einer von Lehmſteinen erbaueten Mauer
umgeben iſt. Die Schafe ſollen in Anſehung der Wolle
hiedurch Schaden leiden. Ein angenehmer Anblick iſt
es, zu ſehen, wie die Laͤmmer, welche man, ſo lange
ſie noch zart ſind, zu Hauſe behaͤlt, des Abends ihren
zuruͤckkommenden Muͤttern entgegenlaufen. Sobald ſich
die Stimme der Mutter in weiter Entfernung kaum hoͤ-
ren zu laſſen anfaͤngt, fangen auch die hungrigen Laͤmmer
ſchon an zu bloͤken, und ihnen eine Strecke entgegen zu
laufen; wenn ſie ſie aber alsdann noch nicht anſichtig
werden, laufen ſie wieder zuruͤck. Wenn die Muͤtter
naͤher kommen, vermehrt ſich das Geſchrey, und die
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Thunberg, Carl Peter: Reisen durch einen Theil von Europa, Afrika und Asien [...] in den Jahren 1770 bis 1779. Bd. 1. Übers. v. Christian Heinrich Groskurd. Berlin, 1792, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thunberg_reisen01_1792/150>, abgerufen am 25.11.2024.
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