b. Das östliche Deutschland allein kann schwerlich so viele feine Wolle horvorbringen, daß der Preis derselben bis zu dem natürlichen Preise herabsinkt. Dies wird vielmehr erst dann geschehen, wenn Polen und Rußland die feine Schafzucht im Großen und mit Erfolg betrei- ben. Polen und Rußland sind in dieser Beziehung für den europäischen Markt das, was der Kreis der Vieh- zucht für den isolirten Staat ist. Wäre nun die Ver- muthung, daß das feine Schaf auf den Steppenweiden und auf den beständigen Weiden der Dreifelderwirthschaf- ten ansartet, begründet; so würde auch das östliche Deutschland noch lange Zeit vorzugsweise in dem Besitz der feinen Schäfereien bleiben: denn die wirksame Ver- pflanzung der feinen Heerden nach Polen und Rußland wäre dann an die Erhöhung der Kultur des Bodens, an die Einführung der Koppelwirthschaft statt der Drei- felderwirthschaft gebunden, und könnte nur langsamen Schritts vorwärts gehen. Einst, nach einem längern Zeit- raum, werden aber unstreitig auch diese Länder höher kultivirt seyn, und dann wird dort, wo der Boden eine noch geringere Landrente gibt als bei uns im östlichen Deutschland, auch die feine Schafzucht einträglicher seyn, als hier.
Aber ehe noch, durch den allmäligen Uebergang zu diesem Zustand, die feine Wolle bis auf ihren natürli- chen Preis herabgesunken ist, wird die feine Schafzucht in den reichern und höher kultivirten Ländern des west- lichen Europas, namentlich in Frankreich, schon längst unvortheilhaft geworden seyn. Die Vermehrung der fei- nen Schafe in den östlichen Staaten ist also mit einer Verminderung derselben in den westlichen Ländern verbun- den, wodurch die Periode des Uebergangs nothwendig sehr verlängert werden muß.
c. Wenn aber dies alles auch nicht wäre, wenn die
b. Das oͤſtliche Deutſchland allein kann ſchwerlich ſo viele feine Wolle horvorbringen, daß der Preis derſelben bis zu dem natuͤrlichen Preiſe herabſinkt. Dies wird vielmehr erſt dann geſchehen, wenn Polen und Rußland die feine Schafzucht im Großen und mit Erfolg betrei- ben. Polen und Rußland ſind in dieſer Beziehung fuͤr den europaͤiſchen Markt das, was der Kreis der Vieh- zucht fuͤr den iſolirten Staat iſt. Waͤre nun die Ver- muthung, daß das feine Schaf auf den Steppenweiden und auf den beſtaͤndigen Weiden der Dreifelderwirthſchaf- ten ansartet, begruͤndet; ſo wuͤrde auch das oͤſtliche Deutſchland noch lange Zeit vorzugsweiſe in dem Beſitz der feinen Schaͤfereien bleiben: denn die wirkſame Ver- pflanzung der feinen Heerden nach Polen und Rußland waͤre dann an die Erhoͤhung der Kultur des Bodens, an die Einfuͤhrung der Koppelwirthſchaft ſtatt der Drei- felderwirthſchaft gebunden, und koͤnnte nur langſamen Schritts vorwaͤrts gehen. Einſt, nach einem laͤngern Zeit- raum, werden aber unſtreitig auch dieſe Laͤnder hoͤher kultivirt ſeyn, und dann wird dort, wo der Boden eine noch geringere Landrente gibt als bei uns im oͤſtlichen Deutſchland, auch die feine Schafzucht eintraͤglicher ſeyn, als hier.
Aber ehe noch, durch den allmaͤligen Uebergang zu dieſem Zuſtand, die feine Wolle bis auf ihren natuͤrli- chen Preis herabgeſunken iſt, wird die feine Schafzucht in den reichern und hoͤher kultivirten Laͤndern des weſt- lichen Europas, namentlich in Frankreich, ſchon laͤngſt unvortheilhaft geworden ſeyn. Die Vermehrung der fei- nen Schafe in den oͤſtlichen Staaten iſt alſo mit einer Verminderung derſelben in den weſtlichen Laͤndern verbun- den, wodurch die Periode des Uebergangs nothwendig ſehr verlaͤngert werden muß.
c. Wenn aber dies alles auch nicht waͤre, wenn die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0243"n="229"/><p><hirendition="#aq">b.</hi> Das oͤſtliche Deutſchland allein kann ſchwerlich ſo<lb/>
viele feine Wolle horvorbringen, daß der Preis derſelben<lb/>
bis zu dem natuͤrlichen Preiſe herabſinkt. Dies wird<lb/>
vielmehr erſt dann geſchehen, wenn Polen und Rußland<lb/>
die feine Schafzucht im Großen und mit Erfolg betrei-<lb/>
ben. Polen und Rußland ſind in dieſer Beziehung fuͤr<lb/>
den europaͤiſchen Markt das, was der Kreis der Vieh-<lb/>
zucht fuͤr den iſolirten Staat iſt. Waͤre nun die Ver-<lb/>
muthung, daß das feine Schaf auf den Steppenweiden<lb/>
und auf den beſtaͤndigen Weiden der Dreifelderwirthſchaf-<lb/>
ten ansartet, begruͤndet; ſo wuͤrde auch das oͤſtliche<lb/>
Deutſchland noch lange Zeit vorzugsweiſe in dem Beſitz<lb/>
der feinen Schaͤfereien bleiben: denn die wirkſame Ver-<lb/>
pflanzung der feinen Heerden nach Polen und Rußland<lb/>
waͤre dann an die Erhoͤhung der Kultur des Bodens,<lb/>
an die Einfuͤhrung der Koppelwirthſchaft ſtatt der Drei-<lb/>
felderwirthſchaft gebunden, und koͤnnte nur langſamen<lb/>
Schritts vorwaͤrts gehen. Einſt, nach einem laͤngern Zeit-<lb/>
raum, werden aber unſtreitig auch dieſe Laͤnder hoͤher<lb/>
kultivirt ſeyn, und dann wird dort, wo der Boden eine<lb/>
noch geringere Landrente gibt als bei uns im oͤſtlichen<lb/>
Deutſchland, auch die feine Schafzucht eintraͤglicher ſeyn,<lb/>
als hier.</p><lb/><p>Aber ehe noch, durch den allmaͤligen Uebergang zu<lb/>
dieſem Zuſtand, die feine Wolle bis auf ihren natuͤrli-<lb/>
chen Preis herabgeſunken iſt, wird die feine Schafzucht<lb/>
in den reichern und hoͤher kultivirten Laͤndern des weſt-<lb/>
lichen Europas, namentlich in Frankreich, ſchon laͤngſt<lb/>
unvortheilhaft geworden ſeyn. Die Vermehrung der fei-<lb/>
nen Schafe in den oͤſtlichen Staaten iſt alſo mit einer<lb/>
Verminderung derſelben in den weſtlichen Laͤndern verbun-<lb/>
den, wodurch die Periode des Uebergangs nothwendig<lb/>ſehr verlaͤngert werden muß.</p><lb/><p><hirendition="#aq">c.</hi> Wenn aber dies alles auch nicht waͤre, wenn die<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[229/0243]
b. Das oͤſtliche Deutſchland allein kann ſchwerlich ſo
viele feine Wolle horvorbringen, daß der Preis derſelben
bis zu dem natuͤrlichen Preiſe herabſinkt. Dies wird
vielmehr erſt dann geſchehen, wenn Polen und Rußland
die feine Schafzucht im Großen und mit Erfolg betrei-
ben. Polen und Rußland ſind in dieſer Beziehung fuͤr
den europaͤiſchen Markt das, was der Kreis der Vieh-
zucht fuͤr den iſolirten Staat iſt. Waͤre nun die Ver-
muthung, daß das feine Schaf auf den Steppenweiden
und auf den beſtaͤndigen Weiden der Dreifelderwirthſchaf-
ten ansartet, begruͤndet; ſo wuͤrde auch das oͤſtliche
Deutſchland noch lange Zeit vorzugsweiſe in dem Beſitz
der feinen Schaͤfereien bleiben: denn die wirkſame Ver-
pflanzung der feinen Heerden nach Polen und Rußland
waͤre dann an die Erhoͤhung der Kultur des Bodens,
an die Einfuͤhrung der Koppelwirthſchaft ſtatt der Drei-
felderwirthſchaft gebunden, und koͤnnte nur langſamen
Schritts vorwaͤrts gehen. Einſt, nach einem laͤngern Zeit-
raum, werden aber unſtreitig auch dieſe Laͤnder hoͤher
kultivirt ſeyn, und dann wird dort, wo der Boden eine
noch geringere Landrente gibt als bei uns im oͤſtlichen
Deutſchland, auch die feine Schafzucht eintraͤglicher ſeyn,
als hier.
Aber ehe noch, durch den allmaͤligen Uebergang zu
dieſem Zuſtand, die feine Wolle bis auf ihren natuͤrli-
chen Preis herabgeſunken iſt, wird die feine Schafzucht
in den reichern und hoͤher kultivirten Laͤndern des weſt-
lichen Europas, namentlich in Frankreich, ſchon laͤngſt
unvortheilhaft geworden ſeyn. Die Vermehrung der fei-
nen Schafe in den oͤſtlichen Staaten iſt alſo mit einer
Verminderung derſelben in den weſtlichen Laͤndern verbun-
den, wodurch die Periode des Uebergangs nothwendig
ſehr verlaͤngert werden muß.
c. Wenn aber dies alles auch nicht waͤre, wenn die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Thünen, Johann Heinrich von: Der isolirte Staat in Beziehung auf Landwirthschaft und Nationalökonomie. Hamburg, 1826, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thuenen_staat_1826/243>, abgerufen am 07.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.