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[Thümmel, Moritz August von]: Wilhelmine oder der vermählte Pedant. [s. l.], 1764.

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nen seiner freygebigen Diöces und den Com-
plimenten gemeiner Pfarrherren gemästet.
So wird oft ein Knabe geängstet, wenn ihm
sein lachender Vater ein Stück kräftiges
Brod und eine einzelne wohlriechende Erd-
beere vorlegt. Was soll er wählen? Sein
Gaum verwirft, was sein hungriger Magen
verlangt; doch seine minutenlange Näsche-
rey verachtet das Elend des ganzen Tages --
Kurz entschlossen verschluckt er die Erdbeere-
und übertäubt das Murren seines Magens
durch erzwungene Gesänge. Eben so gewis
würde auch endlich der verliebte Magister
seine kleine Wilhelmine gewählt haben, wenn
nicht das feindliche Ohngefehr und der hä-
mische Neid den Unentschlossenen überrascht
und vier lange Jahre seine Liebe getäuscht
hätten.

Ein Spürhund der Schönheit, ein leicht-
fertiger Page, der einst in seinem Müßig-
gange diese ländliche Venus erblickte, prahl-

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nen ſeiner freygebigen Dioͤces und den Com-
plimenten gemeiner Pfarrherren gemaͤſtet.
So wird oft ein Knabe geaͤngſtet, wenn ihm
ſein lachender Vater ein Stuͤck kraͤftiges
Brod und eine einzelne wohlriechende Erd-
beere vorlegt. Was ſoll er waͤhlen? Sein
Gaum verwirft, was ſein hungriger Magen
verlangt; doch ſeine minutenlange Naͤſche-
rey verachtet das Elend des ganzen Tages —
Kurz entſchloſſen verſchluckt er die Erdbeere-
und uͤbertaͤubt das Murren ſeines Magens
durch erzwungene Geſaͤnge. Eben ſo gewis
wuͤrde auch endlich der verliebte Magiſter
ſeine kleine Wilhelmine gewaͤhlt haben, wenn
nicht das feindliche Ohngefehr und der haͤ-
miſche Neid den Unentſchloſſenen uͤberraſcht
und vier lange Jahre ſeine Liebe getaͤuſcht
haͤtten.

Ein Spuͤrhund der Schoͤnheit, ein leicht-
fertiger Page, der einſt in ſeinem Muͤßig-
gange dieſe laͤndliche Venus erblickte, prahl-

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[9/0013] nen ſeiner freygebigen Dioͤces und den Com- plimenten gemeiner Pfarrherren gemaͤſtet. So wird oft ein Knabe geaͤngſtet, wenn ihm ſein lachender Vater ein Stuͤck kraͤftiges Brod und eine einzelne wohlriechende Erd- beere vorlegt. Was ſoll er waͤhlen? Sein Gaum verwirft, was ſein hungriger Magen verlangt; doch ſeine minutenlange Naͤſche- rey verachtet das Elend des ganzen Tages — Kurz entſchloſſen verſchluckt er die Erdbeere- und uͤbertaͤubt das Murren ſeines Magens durch erzwungene Geſaͤnge. Eben ſo gewis wuͤrde auch endlich der verliebte Magiſter ſeine kleine Wilhelmine gewaͤhlt haben, wenn nicht das feindliche Ohngefehr und der haͤ- miſche Neid den Unentſchloſſenen uͤberraſcht und vier lange Jahre ſeine Liebe getaͤuſcht haͤtten. Ein Spuͤrhund der Schoͤnheit, ein leicht- fertiger Page, der einſt in ſeinem Muͤßig- gange dieſe laͤndliche Venus erblickte, prahl- te A 5

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Zitationshilfe: [Thümmel, Moritz August von]: Wilhelmine oder der vermählte Pedant. [s. l.], 1764, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thuemmel_wilhelmine_1764/13>, abgerufen am 04.05.2024.