Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Zweyter Theil. Halle, 1724.nicht unbekandt, daß wann es auch nach zwantzig, dreißig und mehr Jahren dahin kommet, daß endlich etwas definitive zu, und dem andern abgesprochen werden sollen, sich dennoch das gantze Werck wiederum in das Schattenwerck, und die apices Processus, oder ein solch schnödes Interlocut resolviret. Denn da fängt man an, entweder über der blossen Formalität, oder der legitimation, als in einem hohen judicio über diesen passum zwischen zweyen vornehmen Partheyen ein gantzes seculum (quod omnem ferme fidem excurrit) gestritten und doch nicht definitive erkant worden, von neuen wieder zu verfahren, oder man fällt auf eine vermeynte ineptitudinem libelli, darauf man doch, wann sie anders relevant gewesen, gleichwohl anfangs sehen sollen, da es dann erfolget, daß der Beklagte von der Klage, immassen sie anbracht, absolviret wird, wodurch aber nichts anders als dieses entstehet, daß nach so langer Zeit und vieler Geld-Splitterung der alte Proceß einen neuen, mit dem er so lange schwanger gegangen, ans Tages-Licht gebracht. So hat auch ferner vielmahls die Erfahrung bezeuget, daß wann gleich eine Sache definitive abgeurthelt gewesen, und in Terminis executivis oder executione rei judicatae bestanden, dennoch solche wohl noch 10. 20. und mehr Jahre, durch dergleichen Bey-Urthel aufgehalten, und zuvoraus auch durch den Mißbrauch der hierüber ergriffenen Appellationen durch zwey und drey Instantien, mit weitern Verlust vieler Zeit und Kosten getrieben, und die Justiz als eine Glocke ohne Kleppel geworden, ehe man den endlichen Effectum executionis in denen bekandten dreyen Actibus erreichet. Uber dieses alles aber hat es sich je zuweilen auch wohl dafür ansehen lassen, als ob die offtberührten Interlocuten zu dergleichen Beginnen denen Judiciis dienen müssen, daß wann man gesehen, daß das End-Urthel dem Parth, so man wohl gewolt, zuwieder ware, der andere Theil ex vago hoc & nimis laxo sententiarum interlocutoriarum & observantiarum arbitrio so lange herum getrieben worden, biß er endlich taedio litis aut sumtuum penuria sein gut Recht fahren lassen, und dem hierunter sich praevalirenden Wiedersacher preiß geben müssen. In so viel und noch weit mehr schädliche Effectus erstrecken sich nun die grosse Menge der leeren Bey Urthel; wann man aber davon kurtz reden, und dieselben beydes nach ihrer Natur und Würckungen consideriren will / so seynd sie wohl der eigentliche Fund und Grund, worauf man zeithero die edle Justiz, als ein Bild gantz ohne, oder doch nur von so verderblichen Wesen, leider mit Betrübniß ansehen muß, daß sie eben durch dieses special-Gebrechen vor andern zu einer solchen Cauponation oder obberühr- nicht unbekandt, daß wann es auch nach zwantzig, dreißig und mehr Jahren dahin kommet, daß endlich etwas definitive zu, und dem andern abgesprochen werden sollen, sich dennoch das gantze Werck wiederum in das Schattenwerck, und die apices Processus, oder ein solch schnödes Interlocut resolviret. Denn da fängt man an, entweder über der blossen Formalität, oder der legitimation, als in einem hohen judicio über diesen passum zwischen zweyen vornehmen Partheyen ein gantzes seculum (quod omnem ferme fidem excurrit) gestritten und doch nicht definitive erkant worden, von neuen wieder zu verfahren, oder man fällt auf eine vermeynte ineptitudinem libelli, darauf man doch, wann sie anders relevant gewesen, gleichwohl anfangs sehen sollen, da es dann erfolget, daß der Beklagte von der Klage, immassen sie anbracht, absolviret wird, wodurch aber nichts anders als dieses entstehet, daß nach so langer Zeit und vieler Geld-Splitterung der alte Proceß einen neuen, mit dem er so lange schwanger gegangen, ans Tages-Licht gebracht. So hat auch ferner vielmahls die Erfahrung bezeuget, daß wann gleich eine Sache definitive abgeurthelt gewesen, und in Terminis executivis oder executione rei judicatae bestanden, dennoch solche wohl noch 10. 20. und mehr Jahre, durch dergleichen Bey-Urthel aufgehalten, und zuvoraus auch durch den Mißbrauch der hierüber ergriffenen Appellationen durch zwey und drey Instantien, mit weitern Verlust vieler Zeit und Kosten getrieben, und die Justiz als eine Glocke ohne Kleppel geworden, ehe man den endlichen Effectum executionis in denen bekandten dreyen Actibus erreichet. Uber dieses alles aber hat es sich je zuweilen auch wohl dafür ansehen lassen, als ob die offtberührten Interlocuten zu dergleichen Beginnen denen Judiciis dienen müssen, daß wann man gesehen, daß das End-Urthel dem Parth, so man wohl gewolt, zuwieder ware, der andere Theil ex vago hoc & nimis laxo sententiarum interlocutoriarum & observantiarum arbitrio so lange herum getrieben worden, biß er endlich taedio litis aut sumtuum penuria sein gut Recht fahren lassen, und dem hierunter sich praevalirenden Wiedersacher preiß geben müssen. In so viel und noch weit mehr schädliche Effectus erstrecken sich nun die grosse Menge der leeren Bey Urthel; wann man aber davon kurtz reden, und dieselben beydes nach ihrer Natur und Würckungen consideriren will / so seynd sie wohl der eigentliche Fund und Grund, worauf man zeithero die edle Justiz, als ein Bild gantz ohne, oder doch nur von so verderblichen Wesen, leider mit Betrübniß ansehen muß, daß sie eben durch dieses special-Gebrechen vor andern zu einer solchen Cauponation oder obberühr- <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0016" n="8"/> nicht unbekandt, daß wann es auch nach zwantzig, dreißig und mehr Jahren dahin kommet, daß endlich etwas definitive zu, und dem andern abgesprochen werden sollen, sich dennoch das gantze Werck wiederum in das Schattenwerck, und die apices Processus, oder ein solch schnödes Interlocut resolviret. Denn da fängt man an, entweder über der blossen Formalität, oder der legitimation, als in einem hohen judicio über diesen passum zwischen zweyen vornehmen Partheyen ein gantzes seculum (quod omnem ferme fidem excurrit) gestritten und doch nicht definitive erkant worden, von neuen wieder zu verfahren, oder man fällt auf eine vermeynte ineptitudinem libelli, darauf man doch, wann sie anders relevant gewesen, gleichwohl anfangs sehen sollen, da es dann erfolget, daß der Beklagte von der Klage, immassen sie anbracht, absolviret wird, wodurch aber nichts anders als dieses entstehet, daß nach so langer Zeit und vieler Geld-Splitterung der alte Proceß einen neuen, mit dem er so lange schwanger gegangen, ans Tages-Licht gebracht. So hat auch ferner vielmahls die Erfahrung bezeuget, daß wann gleich eine Sache definitive abgeurthelt gewesen, und in Terminis executivis oder executione rei judicatae bestanden, dennoch solche wohl noch 10. 20. und mehr Jahre, durch dergleichen Bey-Urthel aufgehalten, und zuvoraus auch durch den Mißbrauch der hierüber ergriffenen Appellationen durch zwey und drey Instantien, mit weitern Verlust vieler Zeit und Kosten getrieben, und die Justiz als eine Glocke ohne Kleppel geworden, ehe man den endlichen Effectum executionis in denen bekandten dreyen Actibus erreichet. Uber dieses alles aber hat es sich je zuweilen auch wohl dafür ansehen lassen, als ob die offtberührten Interlocuten zu dergleichen Beginnen denen Judiciis dienen müssen, daß wann man gesehen, daß das End-Urthel dem Parth, so man wohl gewolt, zuwieder ware, der andere Theil ex vago hoc & nimis laxo sententiarum interlocutoriarum & observantiarum arbitrio so lange herum getrieben worden, biß er endlich taedio litis aut sumtuum penuria sein gut Recht fahren lassen, und dem hierunter sich praevalirenden Wiedersacher preiß geben müssen. In so viel und noch weit mehr schädliche Effectus erstrecken sich nun die grosse Menge der leeren Bey Urthel; wann man aber davon kurtz reden, und dieselben beydes nach ihrer Natur und Würckungen consideriren will / so seynd sie wohl der eigentliche Fund und Grund, worauf man zeithero die edle Justiz, als ein Bild gantz ohne, oder doch nur von so verderblichen Wesen, leider mit Betrübniß ansehen muß, daß sie eben durch dieses special-Gebrechen vor andern zu einer solchen Cauponation oder obberühr- </p> </div> </body> </text> </TEI> [8/0016]
nicht unbekandt, daß wann es auch nach zwantzig, dreißig und mehr Jahren dahin kommet, daß endlich etwas definitive zu, und dem andern abgesprochen werden sollen, sich dennoch das gantze Werck wiederum in das Schattenwerck, und die apices Processus, oder ein solch schnödes Interlocut resolviret. Denn da fängt man an, entweder über der blossen Formalität, oder der legitimation, als in einem hohen judicio über diesen passum zwischen zweyen vornehmen Partheyen ein gantzes seculum (quod omnem ferme fidem excurrit) gestritten und doch nicht definitive erkant worden, von neuen wieder zu verfahren, oder man fällt auf eine vermeynte ineptitudinem libelli, darauf man doch, wann sie anders relevant gewesen, gleichwohl anfangs sehen sollen, da es dann erfolget, daß der Beklagte von der Klage, immassen sie anbracht, absolviret wird, wodurch aber nichts anders als dieses entstehet, daß nach so langer Zeit und vieler Geld-Splitterung der alte Proceß einen neuen, mit dem er so lange schwanger gegangen, ans Tages-Licht gebracht. So hat auch ferner vielmahls die Erfahrung bezeuget, daß wann gleich eine Sache definitive abgeurthelt gewesen, und in Terminis executivis oder executione rei judicatae bestanden, dennoch solche wohl noch 10. 20. und mehr Jahre, durch dergleichen Bey-Urthel aufgehalten, und zuvoraus auch durch den Mißbrauch der hierüber ergriffenen Appellationen durch zwey und drey Instantien, mit weitern Verlust vieler Zeit und Kosten getrieben, und die Justiz als eine Glocke ohne Kleppel geworden, ehe man den endlichen Effectum executionis in denen bekandten dreyen Actibus erreichet. Uber dieses alles aber hat es sich je zuweilen auch wohl dafür ansehen lassen, als ob die offtberührten Interlocuten zu dergleichen Beginnen denen Judiciis dienen müssen, daß wann man gesehen, daß das End-Urthel dem Parth, so man wohl gewolt, zuwieder ware, der andere Theil ex vago hoc & nimis laxo sententiarum interlocutoriarum & observantiarum arbitrio so lange herum getrieben worden, biß er endlich taedio litis aut sumtuum penuria sein gut Recht fahren lassen, und dem hierunter sich praevalirenden Wiedersacher preiß geben müssen. In so viel und noch weit mehr schädliche Effectus erstrecken sich nun die grosse Menge der leeren Bey Urthel; wann man aber davon kurtz reden, und dieselben beydes nach ihrer Natur und Würckungen consideriren will / so seynd sie wohl der eigentliche Fund und Grund, worauf man zeithero die edle Justiz, als ein Bild gantz ohne, oder doch nur von so verderblichen Wesen, leider mit Betrübniß ansehen muß, daß sie eben durch dieses special-Gebrechen vor andern zu einer solchen Cauponation oder obberühr-
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Zweyter Theil. Halle, 1724, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ernsthaffte02_1724/16>, abgerufen am 16.02.2025. |