Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.vernünfftigen Liebe überhaupt. Freundschafft ohne Absehen auff den Eigennutz/noch vernünfftige Liebe/ ohne Begierde sich durch die Leibes/ Vermischung zu belustigen an- treffen; weil fast alles in der Bestialität stecket/ und solcher gestallt/ als es durchgehends so zu ge- schehen pfleget/ die Laster der Tugend Nahmen angenommen haben; da doch bey wahrer Freund- schafft/ da eine rechte Vereinigung der Gemüther ist/ ja so ein grosses Vergnügen empfunden wer- den kan/ als bey der vernünfftigen Frauen-Liebe. 9. Derowegen so mercke/ daß alles dasjenige/ 10. Bey dieser Bewandniß aber ist es ein wie- ausser R
vernuͤnfftigen Liebe uͤberhaupt. Freundſchafft ohne Abſehen auff den Eigennutz/noch vernuͤnfftige Liebe/ ohne Begierde ſich durch die Leibes/ Vermiſchung zu beluſtigen an- treffen; weil faſt alles in der Beſtialitaͤt ſtecket/ und ſolcher geſtallt/ als es durchgehends ſo zu ge- ſchehen pfleget/ die Laſter der Tugend Nahmen angenommen haben; da doch bey wahrer Freund- ſchafft/ da eine rechte Vereinigung der Gemuͤther iſt/ ja ſo ein groſſes Vergnuͤgen empfunden wer- den kan/ als bey der vernuͤnfftigen Frauen-Liebe. 9. Derowegen ſo mercke/ daß alles dasjenige/ 10. Bey dieſer Bewandniß aber iſt es ein wie- auſſer R
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vernuͤnfftigen Liebe uͤberhaupt.
Freundſchafft ohne Abſehen auff den Eigennutz/
noch vernuͤnfftige Liebe/ ohne Begierde ſich
durch die Leibes/ Vermiſchung zu beluſtigen an-
treffen; weil faſt alles in der Beſtialitaͤt ſtecket/
und ſolcher geſtallt/ als es durchgehends ſo zu ge-
ſchehen pfleget/ die Laſter der Tugend Nahmen
angenommen haben; da doch bey wahrer Freund-
ſchafft/ da eine rechte Vereinigung der Gemuͤther
iſt/ ja ſo ein groſſes Vergnuͤgen empfunden wer-
den kan/ als bey der vernuͤnfftigen Frauen-Liebe.
9. Derowegen ſo mercke/ daß alles dasjenige/
was wir in dieſem Capitel von der vernuͤnffti-
gen Liebe handeln werden/ auff gleiche Maſſe
von der Freundſchafft und Liebe zu verſtehen
ſey/ und daß man alſo die vernuͤnfftige Liebe der
Perſonen anders Geſchlechts nicht aus dem
Eheſtand allein judiciren muͤſſe/ weil nicht nur/ als
ob erwehnet/ die Liebe ehelicher Perſonen meiſten-
theils mehr unvernuͤnfftig als vernuͤnfftig iſt/ ſon-
dern auch/ weil wir im folgenden Hauptſtuͤck die
vernuͤnfftige Liebe unter Ehe-Leuten als einen
Schluß aus dieſen Capitel herleiten werden/ und
alſo dieſer Schluß keine Grund Regel ſeyn kan/
die vernuͤnfftige Liebe uͤberhaupt zu erkennen.
10. Bey dieſer Bewandniß aber iſt es ein wie-
wohl gemeiner aber hoͤchſtſehaͤdlicher Jrrthum/
daß man nicht allein von Jugend auff Perſo-
nen unterſchiedenen Geſchlechtes mit einan-
der vernuͤnfftig umbzugehen nicht ange-
wehnet/ ſondern auch/ wenn ſie erwachſen ſind/
auſſer
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 261[257]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/289>, abgerufen am 25.07.2024. |