Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.Das 4. Hauptst. von der vernünfftigen sondern sie suchet sie durch auffrichtige tugend-haffte Thaten und kleine Gefälligkeiten zu verdienen/ und empfindet destomehr Vergnü- gen/ je freywilliger die geliebte Person diese Dien- ste damit zu belohnen trachtet. Sie ist fähig umb das schönste Weibes-Bild/ daß sie brün- stig liebet/ nahe zu seyn/ und sie wieder ihren Willen nicht anzurühren. Ja sie würde sich selbst/ die gröste Gewalt anthun/ wenn sich die geliebte Person ihren Schutz unterwirfft/ ihre Schwachheit und daß sie denen Liebes-Rei- tzungen nicht länger zu wiederstehen vermögend sey/ bekennet/ aber daneben mit einen keuschen Vertrauen ihre Ehre zu beobachten ernstlich bit- tet/ eher sie sich unterfangen solte/ dieselbe durch die geringste Gewalt oder Mißbrauch des gegen sie gehabten Vertrauens zu kräncken. Da hingegentheil eine unvernünfftige Liebe entw e- der den Begierden mit Gewalt/ oder durch ver- führerische falsche Versprechungen/ oder er- dichtete Verzweiffelung zu stillen trachtet/ und durch eine entweder wahrhafftige oder erdich- tete Weigerung nur brennender gemacht wird/ auch sich es für eine Schande achten wür- de/ wenn es diese gute Gelegenheit/ darinnen man sein Unvermögen gestehet/ ferneren Wie- derstand zu leisten/ verabsäumen solte. Und wer diese edlen allhier beschriebenen Regungen bey sich niemahlen empfunden/ darff sich nur ge- wiß versichern/ daß er noch sehr tieff in der Bestia- lität stecke. 57. Fer-
Das 4. Hauptſt. von der vernuͤnfftigen ſondern ſie ſuchet ſie durch auffrichtige tugend-haffte Thaten und kleine Gefaͤlligkeiten zu verdienen/ und empfindet deſtomehr Vergnuͤ- gen/ je freywilliger die geliebte Perſon dieſe Dien- ſte damit zu belohnen trachtet. Sie iſt faͤhig umb das ſchoͤnſte Weibes-Bild/ daß ſie bruͤn- ſtig liebet/ nahe zu ſeyn/ und ſie wieder ihren Willen nicht anzuruͤhren. Ja ſie wuͤrde ſich ſelbſt/ die groͤſte Gewalt anthun/ wenn ſich die geliebte Perſon ihren Schutz unterwirfft/ ihre Schwachheit und daß ſie denen Liebes-Rei- tzungen nicht laͤnger zu wiederſtehen vermoͤgend ſey/ bekennet/ aber daneben mit einen keuſchen Vertrauen ihre Ehre zu beobachten ernſtlich bit- tet/ eher ſie ſich unterfangen ſolte/ dieſelbe durch die geringſte Gewalt oder Mißbrauch des gegen ſie gehabten Vertrauens zu kraͤncken. Da hingegentheil eine unvernuͤnfftige Liebe entw e- der den Begierden mit Gewalt/ oder durch ver- fuͤhreriſche falſche Verſprechungen/ oder er- dichtete Verzweiffelung zu ſtillen trachtet/ und durch eine entweder wahrhafftige oder erdich- tete Weigerung nur brennender gemacht wird/ auch ſich es fuͤr eine Schande achten wuͤr- de/ wenn es dieſe gute Gelegenheit/ darinnen man ſein Unvermoͤgen geſtehet/ ferneren Wie- derſtand zu leiſten/ verabſaͤumen ſolte. Und wer dieſe edlen allhier beſchriebenen Regungen bey ſich niemahlen empfunden/ darff ſich nur ge- wiß verſichern/ daß er noch ſehr tieff in der Beſtia- litaͤt ſtecke. 57. Fer-
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Das 4. Hauptſt. von der vernuͤnfftigen
ſondern ſie ſuchet ſie durch auffrichtige tugend-
haffte Thaten und kleine Gefaͤlligkeiten zu
verdienen/ und empfindet deſtomehr Vergnuͤ-
gen/ je freywilliger die geliebte Perſon dieſe Dien-
ſte damit zu belohnen trachtet. Sie iſt faͤhig
umb das ſchoͤnſte Weibes-Bild/ daß ſie bruͤn-
ſtig liebet/ nahe zu ſeyn/ und ſie wieder ihren
Willen nicht anzuruͤhren. Ja ſie wuͤrde ſich
ſelbſt/ die groͤſte Gewalt anthun/ wenn ſich die
geliebte Perſon ihren Schutz unterwirfft/ ihre
Schwachheit und daß ſie denen Liebes-Rei-
tzungen nicht laͤnger zu wiederſtehen vermoͤgend
ſey/ bekennet/ aber daneben mit einen keuſchen
Vertrauen ihre Ehre zu beobachten ernſtlich bit-
tet/ eher ſie ſich unterfangen ſolte/ dieſelbe durch
die geringſte Gewalt oder Mißbrauch des gegen
ſie gehabten Vertrauens zu kraͤncken. Da
hingegentheil eine unvernuͤnfftige Liebe entw e-
der den Begierden mit Gewalt/ oder durch ver-
fuͤhreriſche falſche Verſprechungen/ oder er-
dichtete Verzweiffelung zu ſtillen trachtet/ und
durch eine entweder wahrhafftige oder erdich-
tete Weigerung nur brennender gemacht
wird/ auch ſich es fuͤr eine Schande achten wuͤr-
de/ wenn es dieſe gute Gelegenheit/ darinnen
man ſein Unvermoͤgen geſtehet/ ferneren Wie-
derſtand zu leiſten/ verabſaͤumen ſolte. Und
wer dieſe edlen allhier beſchriebenen Regungen
bey ſich niemahlen empfunden/ darff ſich nur ge-
wiß verſichern/ daß er noch ſehr tieff in der Beſtia-
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/216>, abgerufen am 04.07.2024. |