Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Discours Welcher Gestalt man denen Frantzosen im gemeinen Leben und Wandel nachahmen solle. [Leipzig], [1690].

Bild:
<< vorherige Seite

ringste mehr/ welches uns von den vorigen eine Anzeigung geben
könte/ übrig blieben; ich meine ja sie würden uns als unechte Kir-
der und Bastardte anspeyen/ und uns eher mit unsern Frantzösi-
schen Bärtgen für feige und weibische Memmen als ansehnliche
wackere Männer achten; ich meine sie würden uns entweder ei-
nen derben und nachdrücklichen Verweiß geben; oder aber uns
nicht einmahl ihres Zorns würdig achtende mit einen bittern Ge-
lächter von sich stossen.

Auff diese Weise pflegt man öffters von unserer heutigen Le-
bens-Art und Wandel zu urtheilen; aber meines Bedünckens/
wenn man keine andere Ursachen wieder dieselbige fürbringen
kan/ möchte man wohl mit diesen in Ruhe stehen/ und die guten
alten Teutschen in ihren Gräbern ebenmäßig ruhen lassen. Es
ist von Anfang der Welt in denen meisten Republiqven so her-
gegangen/ daß die Sitten und Manieren zuleben sich hin und
wieder verändert haben; eines einzelen Menschen Wille ist ver-
änderlich/ wie solten denn so viele Menschen/ aus welchen das ge-
meine Wesen bestehet stets während einerley Lebens-Art behal-
ten? Aenderungen sind wohl ins gemein gefährlich/ aber des-
wegen nicht allemahl zuverwerffen/ weil man auch daß gute selten
ohne Gefahr erhalten kan. Dannenhero ist ungereimbt/ wenn
man ein geändertes Leben bloß wegen der Aenderung tadeln will
ohne zusehen ob man das Gute mit bösen/ oder dieses mit jenem
verwechselt habe. Die alten Teutschen waren wegen eines und
andern billig für uns zuloben; aber wer wolte leugnen/ daß wir
nicht auch in vielen Stucken einen mercklichen Vortheil für ih-
nen auffzuweisen hätten? Solte nun ein Teutscher von der Gat-
tung wie sie uns Tacitus beschreibet/ oder Dieterich von Verne
der edle Held elende (wie ihn das so genante Helden-Buch zum
öfftern betittelt) uns unsere Gebräuche durchhecheln wollen; so
halte ich gäntzlich dafür/ daß ihnen ängster werden solte/ als dem

alten

ringſte mehr/ welches uns von den vorigen eine Anzeigung geben
koͤnte/ uͤbrig blieben; ich meine ja ſie wuͤrden uns als unechte Kir-
der und Baſtardte anſpeyen/ und uns eher mit unſern Frantzoͤſi-
ſchen Baͤrtgen fuͤr feige und weibiſche Memmen als anſehnliche
wackere Maͤnner achten; ich meine ſie wuͤrden uns entweder ei-
nen derben und nachdruͤcklichen Verweiß geben; oder aber uns
nicht einmahl ihres Zorns wuͤrdig achtende mit einen bittern Ge-
laͤchter von ſich ſtoſſen.

Auff dieſe Weiſe pflegt man oͤffters von unſerer heutigen Le-
bens-Art und Wandel zu urtheilen; aber meines Beduͤnckens/
wenn man keine andere Urſachen wieder dieſelbige fuͤrbringen
kan/ moͤchte man wohl mit dieſen in Ruhe ſtehen/ und die guten
alten Teutſchen in ihren Graͤbern ebenmaͤßig ruhen laſſen. Es
iſt von Anfang der Welt in denen meiſten Republiqven ſo her-
gegangen/ daß die Sitten und Manieren zuleben ſich hin und
wieder veraͤndert haben; eines einzelen Menſchen Wille iſt ver-
aͤnderlich/ wie ſolten denn ſo viele Menſchen/ aus welchen das ge-
meine Weſen beſtehet ſtets waͤhrend einerley Lebens-Art behal-
ten? Aenderungen ſind wohl ins gemein gefaͤhrlich/ aber des-
wegen nicht allemahl zuverwerffen/ weil man auch daß gute ſelten
ohne Gefahr erhalten kan. Dannenhero iſt ungereimbt/ wenn
man ein geaͤndertes Leben bloß wegen der Aenderung tadeln will
ohne zuſehen ob man das Gute mit boͤſen/ oder dieſes mit jenem
verwechſelt habe. Die alten Teutſchen waren wegen eines und
andern billig fuͤr uns zuloben; aber wer wolte leugnen/ daß wir
nicht auch in vielen Stucken einen mercklichen Vortheil fuͤr ih-
nen auffzuweiſen haͤtten? Solte nun ein Teutſcher von der Gat-
tung wie ſie uns Tacitus beſchreibet/ oder Dieterich von Verne
der edle Held elende (wie ihn das ſo genante Helden-Buch zum
oͤfftern betittelt) uns unſere Gebraͤuche durchhecheln wollen; ſo
halte ich gaͤntzlich dafuͤr/ daß ihnen aͤngſter werden ſolte/ als dem

alten
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0006" n="4"/>
ring&#x017F;te mehr/ welches uns von den vorigen eine Anzeigung geben<lb/>
ko&#x0364;nte/ u&#x0364;brig blieben; ich meine ja &#x017F;ie wu&#x0364;rden uns als unechte Kir-<lb/>
der und Ba&#x017F;tardte an&#x017F;peyen/ und uns eher mit un&#x017F;ern Frantzo&#x0364;&#x017F;i-<lb/>
&#x017F;chen Ba&#x0364;rtgen fu&#x0364;r feige und weibi&#x017F;che Memmen als an&#x017F;ehnliche<lb/>
wackere Ma&#x0364;nner achten; ich meine &#x017F;ie wu&#x0364;rden uns entweder ei-<lb/>
nen derben und nachdru&#x0364;cklichen Verweiß geben; oder aber uns<lb/>
nicht einmahl ihres Zorns wu&#x0364;rdig achtende mit einen bittern Ge-<lb/>
la&#x0364;chter von &#x017F;ich &#x017F;to&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Auff die&#x017F;e Wei&#x017F;e pflegt man o&#x0364;ffters von un&#x017F;erer heutigen Le-<lb/>
bens-Art und Wandel zu urtheilen; aber meines Bedu&#x0364;nckens/<lb/>
wenn man keine andere Ur&#x017F;achen wieder die&#x017F;elbige fu&#x0364;rbringen<lb/>
kan/ mo&#x0364;chte man wohl mit die&#x017F;en in Ruhe &#x017F;tehen/ und die guten<lb/>
alten Teut&#x017F;chen in ihren Gra&#x0364;bern ebenma&#x0364;ßig ruhen la&#x017F;&#x017F;en. Es<lb/>
i&#x017F;t von Anfang der Welt in denen mei&#x017F;ten <hi rendition="#aq">Republiqven</hi> &#x017F;o her-<lb/>
gegangen/ daß die Sitten und <hi rendition="#aq">Manier</hi>en zuleben &#x017F;ich hin und<lb/>
wieder vera&#x0364;ndert haben; eines einzelen Men&#x017F;chen Wille i&#x017F;t ver-<lb/>
a&#x0364;nderlich/ wie &#x017F;olten denn &#x017F;o viele Men&#x017F;chen/ aus welchen das ge-<lb/>
meine We&#x017F;en be&#x017F;tehet &#x017F;tets wa&#x0364;hrend einerley Lebens-Art behal-<lb/>
ten? Aenderungen &#x017F;ind wohl ins gemein gefa&#x0364;hrlich/ aber des-<lb/>
wegen nicht allemahl zuverwerffen/ weil man auch daß gute &#x017F;elten<lb/>
ohne Gefahr erhalten kan. Dannenhero i&#x017F;t ungereimbt/ wenn<lb/>
man ein gea&#x0364;ndertes Leben bloß wegen der Aenderung tadeln will<lb/>
ohne zu&#x017F;ehen ob man das Gute mit bo&#x0364;&#x017F;en/ oder die&#x017F;es mit jenem<lb/>
verwech&#x017F;elt habe. Die alten Teut&#x017F;chen waren wegen eines und<lb/>
andern billig fu&#x0364;r uns zuloben; aber wer wolte leugnen/ daß wir<lb/>
nicht auch in vielen Stucken einen mercklichen Vortheil fu&#x0364;r ih-<lb/>
nen auffzuwei&#x017F;en ha&#x0364;tten? Solte nun ein Teut&#x017F;cher von der Gat-<lb/>
tung wie &#x017F;ie uns <hi rendition="#aq">Tacitus</hi> be&#x017F;chreibet/ oder <hi rendition="#aq">Dieterich</hi> von Verne<lb/>
der <hi rendition="#fr">edle Held elende</hi> (wie ihn das &#x017F;o genante Helden-<hi rendition="#fr">Buch</hi> zum<lb/>
o&#x0364;fftern betittelt) uns un&#x017F;ere Gebra&#x0364;uche durchhecheln wollen; &#x017F;o<lb/>
halte ich ga&#x0364;ntzlich dafu&#x0364;r/ daß ihnen a&#x0364;ng&#x017F;ter werden &#x017F;olte/ als dem<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">alten</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[4/0006] ringſte mehr/ welches uns von den vorigen eine Anzeigung geben koͤnte/ uͤbrig blieben; ich meine ja ſie wuͤrden uns als unechte Kir- der und Baſtardte anſpeyen/ und uns eher mit unſern Frantzoͤſi- ſchen Baͤrtgen fuͤr feige und weibiſche Memmen als anſehnliche wackere Maͤnner achten; ich meine ſie wuͤrden uns entweder ei- nen derben und nachdruͤcklichen Verweiß geben; oder aber uns nicht einmahl ihres Zorns wuͤrdig achtende mit einen bittern Ge- laͤchter von ſich ſtoſſen. Auff dieſe Weiſe pflegt man oͤffters von unſerer heutigen Le- bens-Art und Wandel zu urtheilen; aber meines Beduͤnckens/ wenn man keine andere Urſachen wieder dieſelbige fuͤrbringen kan/ moͤchte man wohl mit dieſen in Ruhe ſtehen/ und die guten alten Teutſchen in ihren Graͤbern ebenmaͤßig ruhen laſſen. Es iſt von Anfang der Welt in denen meiſten Republiqven ſo her- gegangen/ daß die Sitten und Manieren zuleben ſich hin und wieder veraͤndert haben; eines einzelen Menſchen Wille iſt ver- aͤnderlich/ wie ſolten denn ſo viele Menſchen/ aus welchen das ge- meine Weſen beſtehet ſtets waͤhrend einerley Lebens-Art behal- ten? Aenderungen ſind wohl ins gemein gefaͤhrlich/ aber des- wegen nicht allemahl zuverwerffen/ weil man auch daß gute ſelten ohne Gefahr erhalten kan. Dannenhero iſt ungereimbt/ wenn man ein geaͤndertes Leben bloß wegen der Aenderung tadeln will ohne zuſehen ob man das Gute mit boͤſen/ oder dieſes mit jenem verwechſelt habe. Die alten Teutſchen waren wegen eines und andern billig fuͤr uns zuloben; aber wer wolte leugnen/ daß wir nicht auch in vielen Stucken einen mercklichen Vortheil fuͤr ih- nen auffzuweiſen haͤtten? Solte nun ein Teutſcher von der Gat- tung wie ſie uns Tacitus beſchreibet/ oder Dieterich von Verne der edle Held elende (wie ihn das ſo genante Helden-Buch zum oͤfftern betittelt) uns unſere Gebraͤuche durchhecheln wollen; ſo halte ich gaͤntzlich dafuͤr/ daß ihnen aͤngſter werden ſolte/ als dem alten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_discours_1690
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_discours_1690/6
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Discours Welcher Gestalt man denen Frantzosen im gemeinen Leben und Wandel nachahmen solle. [Leipzig], [1690], S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_discours_1690/6>, abgerufen am 22.11.2024.