Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Discours Welcher Gestalt man denen Frantzosen im gemeinen Leben und Wandel nachahmen solle. [Leipzig], [1690].

Bild:
<< vorherige Seite

deuten wird/ daß ich Frauenzimmer und Mannspersonen in eine
Classe gesetzet/ gleich als wenn es eben so leichte wäre jene als
diese gelehrt zumachen/ da doch bey uns für ein Wunder geach-
tet wird/ wenn eine Dame nur in einem einigen stück von der
Gelehrsamkeit etwas besitzet. Aber gleichwie ich einem ieden
gerne seine Meinung lasse; also getraue ich mir doch nicht allein
dieses/ was ich gesetzet/ mit guten Gründen zu behaupten/ sondern
gar darzuthun/ daß es viel leichter sey und mehr Succes zuhof-
fen/ ein Frauenzimmer von einem guten Verstande/ welche kein
Lateinisch verstehet/ auch nichts oder wenig von der Gelehr-
samkeit weiß/ als eine auch mit guten Verstande begabte
Mannsperson/ die aber darneben von Jugend auff sich mit dem
Latein geplackt/ auch wohl allbereit herrliche Zeugnüsse ihrer
Geschicklichkeit erhalten hat/ zu unterrichten/ nicht zwar als ob
die Lateinische Sprache die Gelehrsamkeit hindern solte (denn
wer wolte so unvernünfftig raisoniren?) sondern weil durch
die durchgehends gewöhnliche Lehr-Art viel ungegründet und
ohnnöthig zeug nebst den Latein in die Gemüther der Lehrlinge
eingepräget wird/ welches hernachmahls so feste klebet/ und
merckliche Verhinderungen bringet/ daß das tüchtige und ge-
scheide nicht hafften will. Eine neue Schreibetaffel nimmet das
jenige so man drauff schreibet gar leicht an; wenn aber eine
Schrifft eine geraume Zeit darauff stehen blieben/ wie schwer
gehet es doch zu/ wenn man hernach das erste auswischen will?
ist dann das erste gar auff eine Eselshaut geschrieben worden/ so
wische man wie man wil es werden die alten Buchstaben oder
Zahlen noch allezeit herfür gucken. Jn zweyen oder dreyen
Jahren kan man viel lehren und lernen. Gesetzt nun daß ein
Frauenzimmer manchmahl etwas Vanität hat/ welche zuvor-
hero etwan in einer vierteljährigen Zeit mit guter Art auff die
Seite geschaffet werden muß; so mangelt es doch denen jungen

Herrn
D 2

deuten wird/ daß ich Frauenzimmer und Mannsperſonen in eine
Claſſe geſetzet/ gleich als wenn es eben ſo leichte waͤre jene als
dieſe gelehrt zumachen/ da doch bey uns fuͤr ein Wunder geach-
tet wird/ wenn eine Dame nur in einem einigen ſtuͤck von der
Gelehrſamkeit etwas beſitzet. Aber gleichwie ich einem ieden
gerne ſeine Meinung laſſe; alſo getraue ich mir doch nicht allein
dieſes/ was ich geſetzet/ mit guten Gruͤnden zu behaupten/ ſondern
gar darzuthun/ daß es viel leichter ſey und mehr Succes zuhof-
fen/ ein Frauenzimmer von einem guten Verſtande/ welche kein
Lateiniſch verſtehet/ auch nichts oder wenig von der Gelehr-
ſamkeit weiß/ als eine auch mit guten Verſtande begabte
Mannsperſon/ die aber darneben von Jugend auff ſich mit dem
Latein geplackt/ auch wohl allbereit herrliche Zeugnuͤſſe ihrer
Geſchicklichkeit erhalten hat/ zu unterrichten/ nicht zwar als ob
die Lateiniſche Sprache die Gelehrſamkeit hindern ſolte (denn
wer wolte ſo unvernünfftig raiſoniren?) ſondern weil durch
die durchgehends gewoͤhnliche Lehr-Art viel ungegruͤndet und
ohnnoͤthig zeug nebſt den Latein in die Gemuͤther der Lehrlinge
eingepraͤget wird/ welches hernachmahls ſo feſte klebet/ und
merckliche Verhinderungen bringet/ daß das tuͤchtige und ge-
ſcheide nicht hafften will. Eine neue Schreibetaffel nimmet das
jenige ſo man drauff ſchreibet gar leicht an; wenn aber eine
Schrifft eine geraume Zeit darauff ſtehen blieben/ wie ſchwer
gehet es doch zu/ wenn man hernach das erſte auswiſchen will?
iſt dann das erſte gar auff eine Eſelshaut geſchrieben worden/ ſo
wiſche man wie man wil es werden die alten Buchſtaben oder
Zahlen noch allezeit herfuͤr gucken. Jn zweyen oder dreyen
Jahren kan man viel lehren und lernen. Geſetzt nun daß ein
Frauenzimmer manchmahl etwas Vanitaͤt hat/ welche zuvor-
hero etwan in einer vierteljaͤhrigen Zeit mit guter Art auff die
Seite geſchaffet werden muß; ſo mangelt es doch denen jungen

Herrn
D 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0029" n="27"/>
deuten wird/ daß ich Frauenzimmer und Mannsper&#x017F;onen in eine<lb/>
Cla&#x017F;&#x017F;e ge&#x017F;etzet/ gleich als wenn es eben &#x017F;o leichte wa&#x0364;re jene als<lb/>
die&#x017F;e gelehrt zumachen/ da doch bey uns fu&#x0364;r ein Wunder geach-<lb/>
tet wird/ wenn eine Dame nur in einem einigen &#x017F;tu&#x0364;ck von der<lb/>
Gelehr&#x017F;amkeit etwas be&#x017F;itzet. Aber gleichwie ich einem ieden<lb/>
gerne &#x017F;eine Meinung la&#x017F;&#x017F;e; al&#x017F;o getraue ich mir doch nicht allein<lb/>
die&#x017F;es/ was ich ge&#x017F;etzet/ mit guten Gru&#x0364;nden zu behaupten/ &#x017F;ondern<lb/>
gar darzuthun/ daß es viel leichter &#x017F;ey und mehr <hi rendition="#aq">Succes</hi> zuhof-<lb/>
fen/ ein Frauenzimmer von einem guten Ver&#x017F;tande/ welche kein<lb/>
Lateini&#x017F;ch ver&#x017F;tehet/ auch nichts oder wenig von der Gelehr-<lb/>
&#x017F;amkeit weiß/ als eine auch mit guten Ver&#x017F;tande begabte<lb/>
Mannsper&#x017F;on/ die aber darneben von Jugend auff &#x017F;ich mit dem<lb/>
Latein geplackt/ auch wohl allbereit herrliche Zeugnu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e ihrer<lb/>
Ge&#x017F;chicklichkeit erhalten hat/ zu unterrichten/ nicht zwar als ob<lb/>
die Lateini&#x017F;che Sprache die Gelehr&#x017F;amkeit hindern &#x017F;olte (denn<lb/>
wer wolte &#x017F;o unvernünfftig <hi rendition="#aq">rai&#x017F;oni</hi>ren?) &#x017F;ondern weil durch<lb/>
die durchgehends gewo&#x0364;hnliche Lehr-Art viel ungegru&#x0364;ndet und<lb/>
ohnno&#x0364;thig zeug neb&#x017F;t den Latein in die Gemu&#x0364;ther der Lehrlinge<lb/>
eingepra&#x0364;get wird/ welches hernachmahls &#x017F;o fe&#x017F;te klebet/ und<lb/>
merckliche Verhinderungen bringet/ daß das tu&#x0364;chtige und ge-<lb/>
&#x017F;cheide nicht hafften will. Eine neue Schreibetaffel nimmet das<lb/>
jenige &#x017F;o man drauff &#x017F;chreibet gar leicht an; wenn aber eine<lb/>
Schrifft eine geraume Zeit darauff &#x017F;tehen blieben/ wie &#x017F;chwer<lb/>
gehet es doch zu/ wenn man hernach das er&#x017F;te auswi&#x017F;chen will?<lb/>
i&#x017F;t dann das er&#x017F;te gar auff eine E&#x017F;elshaut ge&#x017F;chrieben worden/ &#x017F;o<lb/>
wi&#x017F;che man wie man wil es werden die alten Buch&#x017F;taben oder<lb/>
Zahlen noch allezeit herfu&#x0364;r gucken. Jn zweyen oder dreyen<lb/>
Jahren kan man viel lehren und lernen. Ge&#x017F;etzt nun daß ein<lb/>
Frauenzimmer manchmahl etwas <hi rendition="#aq">Vani</hi>ta&#x0364;t hat/ welche zuvor-<lb/>
hero etwan in einer viertelja&#x0364;hrigen Zeit mit guter Art auff die<lb/>
Seite ge&#x017F;chaffet werden muß; &#x017F;o mangelt es doch denen jungen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D 2</fw><fw place="bottom" type="catch">Herrn</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[27/0029] deuten wird/ daß ich Frauenzimmer und Mannsperſonen in eine Claſſe geſetzet/ gleich als wenn es eben ſo leichte waͤre jene als dieſe gelehrt zumachen/ da doch bey uns fuͤr ein Wunder geach- tet wird/ wenn eine Dame nur in einem einigen ſtuͤck von der Gelehrſamkeit etwas beſitzet. Aber gleichwie ich einem ieden gerne ſeine Meinung laſſe; alſo getraue ich mir doch nicht allein dieſes/ was ich geſetzet/ mit guten Gruͤnden zu behaupten/ ſondern gar darzuthun/ daß es viel leichter ſey und mehr Succes zuhof- fen/ ein Frauenzimmer von einem guten Verſtande/ welche kein Lateiniſch verſtehet/ auch nichts oder wenig von der Gelehr- ſamkeit weiß/ als eine auch mit guten Verſtande begabte Mannsperſon/ die aber darneben von Jugend auff ſich mit dem Latein geplackt/ auch wohl allbereit herrliche Zeugnuͤſſe ihrer Geſchicklichkeit erhalten hat/ zu unterrichten/ nicht zwar als ob die Lateiniſche Sprache die Gelehrſamkeit hindern ſolte (denn wer wolte ſo unvernünfftig raiſoniren?) ſondern weil durch die durchgehends gewoͤhnliche Lehr-Art viel ungegruͤndet und ohnnoͤthig zeug nebſt den Latein in die Gemuͤther der Lehrlinge eingepraͤget wird/ welches hernachmahls ſo feſte klebet/ und merckliche Verhinderungen bringet/ daß das tuͤchtige und ge- ſcheide nicht hafften will. Eine neue Schreibetaffel nimmet das jenige ſo man drauff ſchreibet gar leicht an; wenn aber eine Schrifft eine geraume Zeit darauff ſtehen blieben/ wie ſchwer gehet es doch zu/ wenn man hernach das erſte auswiſchen will? iſt dann das erſte gar auff eine Eſelshaut geſchrieben worden/ ſo wiſche man wie man wil es werden die alten Buchſtaben oder Zahlen noch allezeit herfuͤr gucken. Jn zweyen oder dreyen Jahren kan man viel lehren und lernen. Geſetzt nun daß ein Frauenzimmer manchmahl etwas Vanitaͤt hat/ welche zuvor- hero etwan in einer vierteljaͤhrigen Zeit mit guter Art auff die Seite geſchaffet werden muß; ſo mangelt es doch denen jungen Herrn D 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_discours_1690
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_discours_1690/29
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Discours Welcher Gestalt man denen Frantzosen im gemeinen Leben und Wandel nachahmen solle. [Leipzig], [1690], S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_discours_1690/29>, abgerufen am 22.11.2024.