Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691].

Bild:
<< vorherige Seite

von anderer Meinungen zu urtheilen.
der IV. Lection uns wenden: Urtheile
nicht von einem Buche/ wenn du
die Geschickligkeit anderer Meinun-
gen zuverstehen/ oder den
habitum
interpretandi
nicht besitzest. Es ist
wohl wahr/ wenn du ein Buch nicht gelesen/
wie woltest du davon urtheilen? Alleine es
ist das lesen nicht genung hierzu/ sondern du
must es auch verstehen. Nun kanst du aber
kein Buch recht und wohl verstehen/ wenn du
nicht die Grund-Regeln der Auslegung wohl
zu practiciren weist.

46. Wenn wir nun ein wenig unter de-
nen Gelehrten uns umsehen/ wie sehr wenig
unter denenselben sind/ die sich mit Fleiß um
die Lehre von der Auslegung bekümmern/
und wie viel ihrer doch sich unterfangen täg-
lich von andern Schrifften zu urtheilen/ so
werden wir abermahls gewahr/ daß wir uns
desto fleißiger vor diesem Vorurtheil in acht
zu nehmen haben/ je gemeiner es vielen ist.

47. Zwar ist es nicht zu läugnen/ daß es den
meisten Gelehrten die von andern Büchern ü-
bel urtheilen/ weil sie selbige übel auslegen/ nicht
so wohl am Verstande der Regeln der Ausle-
gung/ der sehr leichte ist/ als an guten Willen

die-

von anderer Meinungen zu urtheilen.
der IV. Lection uns wenden: Urtheile
nicht von einem Buche/ wenn du
die Geſchickligkeit anderer Meinun-
gen zuverſtehen/ oder den
habitum
interpretandi
nicht beſitzeſt. Es iſt
wohl wahr/ wenn du ein Buch nicht geleſen/
wie wolteſt du davon urtheilen? Alleine es
iſt das leſen nicht genung hierzu/ ſondern du
muſt es auch verſtehen. Nun kanſt du aber
kein Buch recht und wohl verſtehen/ wenn du
nicht die Grund-Regeln der Auslegung wohl
zu practiciren weiſt.

46. Wenn wir nun ein wenig unter de-
nen Gelehrten uns umſehen/ wie ſehr wenig
unter denenſelben ſind/ die ſich mit Fleiß um
die Lehre von der Auslegung bekuͤmmern/
und wie viel ihrer doch ſich unterfangen taͤg-
lich von andern Schrifften zu urtheilen/ ſo
werden wir abermahls gewahr/ daß wir uns
deſto fleißiger vor dieſem Vorurtheil in acht
zu nehmen haben/ je gemeiner es vielen iſt.

47. Zwar iſt es nicht zu laͤugnen/ daß es den
meiſten Gelehrten die von andern Buͤchern uͤ-
bel urtheilen/ weil ſie ſelbige uͤbel auslegen/ nicht
ſo wohl am Verſtande der Regeln der Ausle-
gung/ der ſehr leichte iſt/ als an guten Willen

die-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0281" n="255"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">von anderer Meinungen zu urtheilen.</hi></fw><lb/>
der <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">IV. Lection</hi></hi> uns wenden: <hi rendition="#fr">Urtheile<lb/>
nicht von einem Buche/ wenn du<lb/>
die Ge&#x017F;chickligkeit anderer Meinun-<lb/>
gen zuver&#x017F;tehen/ oder den</hi> <hi rendition="#aq">habitum<lb/>
interpretandi</hi> <hi rendition="#fr">nicht be&#x017F;itze&#x017F;t.</hi> Es i&#x017F;t<lb/>
wohl wahr/ wenn du ein Buch nicht gele&#x017F;en/<lb/>
wie wolte&#x017F;t du davon urtheilen? Alleine es<lb/>
i&#x017F;t das le&#x017F;en nicht genung hierzu/ &#x017F;ondern du<lb/>
mu&#x017F;t es auch ver&#x017F;tehen. Nun kan&#x017F;t du aber<lb/>
kein Buch recht und wohl ver&#x017F;tehen/ wenn du<lb/>
nicht die Grund-Regeln der Auslegung wohl<lb/>
zu <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">practicir</hi></hi>en wei&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>46. Wenn wir nun ein wenig unter de-<lb/>
nen Gelehrten uns um&#x017F;ehen/ wie &#x017F;ehr wenig<lb/>
unter denen&#x017F;elben &#x017F;ind/ die &#x017F;ich mit Fleiß um<lb/>
die Lehre von der Auslegung beku&#x0364;mmern/<lb/>
und wie viel ihrer doch &#x017F;ich unterfangen ta&#x0364;g-<lb/>
lich von andern Schrifften zu urtheilen/ &#x017F;o<lb/>
werden wir abermahls gewahr/ daß wir uns<lb/>
de&#x017F;to fleißiger vor die&#x017F;em Vorurtheil in acht<lb/>
zu nehmen haben/ je gemeiner es vielen i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>47. Zwar i&#x017F;t es nicht zu la&#x0364;ugnen/ daß es den<lb/>
mei&#x017F;ten Gelehrten die von andern Bu&#x0364;chern u&#x0364;-<lb/>
bel urtheilen/ weil &#x017F;ie &#x017F;elbige u&#x0364;bel auslegen/ nicht<lb/>
&#x017F;o wohl am <hi rendition="#fr">Ver&#x017F;tande</hi> der Regeln der Ausle-<lb/>
gung/ der &#x017F;ehr leichte i&#x017F;t/ als an <hi rendition="#fr">guten Willen</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[255/0281] von anderer Meinungen zu urtheilen. der IV. Lection uns wenden: Urtheile nicht von einem Buche/ wenn du die Geſchickligkeit anderer Meinun- gen zuverſtehen/ oder den habitum interpretandi nicht beſitzeſt. Es iſt wohl wahr/ wenn du ein Buch nicht geleſen/ wie wolteſt du davon urtheilen? Alleine es iſt das leſen nicht genung hierzu/ ſondern du muſt es auch verſtehen. Nun kanſt du aber kein Buch recht und wohl verſtehen/ wenn du nicht die Grund-Regeln der Auslegung wohl zu practiciren weiſt. 46. Wenn wir nun ein wenig unter de- nen Gelehrten uns umſehen/ wie ſehr wenig unter denenſelben ſind/ die ſich mit Fleiß um die Lehre von der Auslegung bekuͤmmern/ und wie viel ihrer doch ſich unterfangen taͤg- lich von andern Schrifften zu urtheilen/ ſo werden wir abermahls gewahr/ daß wir uns deſto fleißiger vor dieſem Vorurtheil in acht zu nehmen haben/ je gemeiner es vielen iſt. 47. Zwar iſt es nicht zu laͤugnen/ daß es den meiſten Gelehrten die von andern Buͤchern uͤ- bel urtheilen/ weil ſie ſelbige uͤbel auslegen/ nicht ſo wohl am Verſtande der Regeln der Ausle- gung/ der ſehr leichte iſt/ als an guten Willen die-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691/281
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691], S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691/281>, abgerufen am 27.11.2024.