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Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

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eigentlich beschrieben werden müssen.
Lassen nach demselben dirigiret/ thut er et-
was.

10. Wenn man aber den Affect eine Gemüths-
neigung nennet/ sieht man mehr auff das Thun
als das Leiden des Willens. Und müssen wir
uns dannenhero hüten/ daß wir den Affect nicht
mit Cartesio für ein bloßes Leiden oder Empfin-
den/ oder Sinnligkeit der Seele
ausgeben/ f)
denn er verstehet nur hierdurch die Empfindung
der Leibes-Bewegung/ oder der Gemüths-
Bewegung
; so ist dieses der Affect nicht/ weil
die Empfindung im Verstande/ der empfindende
Affect aber im Willen ist.

11. Nichts destoweniger aber können wir den
Affect wohl in einen gewissen Verstande eine Ge-
müthsleidenschafft
nennen/ weil das Gemüthe/
als obgemeldet/ bey dem Affect sich nicht von sich
selbst beweget/ sondern von der innerlichen Lei-
bes-Bewegung an
getrieben wird. Jn diesem
Verstande haben wir auch in der Vernunfft Leh-
re etliche Gedancken des Menschen leidende ge-
nenet/ ob schon das Dencken überhaupt ein thun
ist.

12. Weil nun der Affect eine Bewegung/
Neigung
und Leidenschafft der Menschlichen
Seelen ist/ so folget nun ferner/ daß wir erwegen/
ob er in dem Menschlichen Verstande oder Wil-
len sey? Alle Philosophi setzen Jhn in den Willen

oder
f) cap. 2, n. 31. f. 62.

eigentlich beſchrieben werden muͤſſen.
Laſſen nach demſelben dirigiret/ thut er et-
was.

10. Wenn man aber den Affect eine Gemuͤths-
neigung nennet/ ſieht man mehr auff das Thun
als das Leiden des Willens. Und muͤſſen wir
uns dannenhero huͤten/ daß wir den Affect nicht
mit Carteſio fuͤr ein bloßes Leiden oder Empfin-
den/ oder Sinnligkeit der Seele
ausgeben/ f)
denn er verſtehet nur hierdurch die Empfindung
der Leibes-Bewegung/ oder der Gemuͤths-
Bewegung
; ſo iſt dieſes der Affect nicht/ weil
die Empfindung im Verſtande/ der empfindende
Affect aber im Willen iſt.

11. Nichts deſtoweniger aber koͤnnen wir den
Affect wohl in einen gewiſſen Verſtande eine Ge-
muͤthsleidenſchafft
nennen/ weil das Gemuͤthe/
als obgemeldet/ bey dem Affect ſich nicht von ſich
ſelbſt beweget/ ſondern von der innerlichen Lei-
bes-Bewegung an
getrieben wird. Jn dieſem
Verſtande haben wir auch in der Vernunfft Leh-
re etliche Gedancken des Menſchen leidende ge-
nenet/ ob ſchon das Dencken uͤberhaupt ein thun
iſt.

12. Weil nun der Affect eine Bewegung/
Neigung
und Leidenſchafft der Menſchlichen
Seelen iſt/ ſo folget nun ferner/ daß wir erwegen/
ob er in dem Menſchlichen Verſtande oder Wil-
len ſey? Alle Philoſophi ſetzen Jhn in den Willen

oder
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[77/0089] eigentlich beſchrieben werden muͤſſen. Laſſen nach demſelben dirigiret/ thut er et- was. 10. Wenn man aber den Affect eine Gemuͤths- neigung nennet/ ſieht man mehr auff das Thun als das Leiden des Willens. Und muͤſſen wir uns dannenhero huͤten/ daß wir den Affect nicht mit Carteſio fuͤr ein bloßes Leiden oder Empfin- den/ oder Sinnligkeit der Seele ausgeben/ f) denn er verſtehet nur hierdurch die Empfindung der Leibes-Bewegung/ oder der Gemuͤths- Bewegung; ſo iſt dieſes der Affect nicht/ weil die Empfindung im Verſtande/ der empfindende Affect aber im Willen iſt. 11. Nichts deſtoweniger aber koͤnnen wir den Affect wohl in einen gewiſſen Verſtande eine Ge- muͤthsleidenſchafft nennen/ weil das Gemuͤthe/ als obgemeldet/ bey dem Affect ſich nicht von ſich ſelbſt beweget/ ſondern von der innerlichen Lei- bes-Bewegung angetrieben wird. Jn dieſem Verſtande haben wir auch in der Vernunfft Leh- re etliche Gedancken des Menſchen leidende ge- nenet/ ob ſchon das Dencken uͤberhaupt ein thun iſt. 12. Weil nun der Affect eine Bewegung/ Neigung und Leidenſchafft der Menſchlichen Seelen iſt/ ſo folget nun ferner/ daß wir erwegen/ ob er in dem Menſchlichen Verſtande oder Wil- len ſey? Alle Philoſophi ſetzen Jhn in den Willen oder f) cap. 2, n. 31. f. 62.

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/89>, abgerufen am 30.04.2024.