Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.Das 14. H. von der vernünfft. Kunst/ Er spricht: Es ist doch gar so ein närrisch und thö-richt Wesen/ daß die Menschen um einen eitelen Blick/ um einen Wind voll Lob/ um ein Knie- beugen andrer Leute/ so viel Verdruß und Unge- mach/ ja Sclaverey ausstehen/ daß sie sich dar- über erzürnen/ wenn ihnen jemand keine gute Mine macht/ oder nicht wohl von sie redet. Das nimmt ihnen ja weder an ihrer Gesundheit/ noch an ihrem Vermögen etwas. Aber die Wohl- lust ist doch gar zu eine süsse Sünde. Der Wein sie- het so schön/ es ist so eine edle Gabe GOttes/ wer wolte sich nicht drüber freuen? Die Liebe ei- nes Geschlechts gegen das andere steckt in der Natur/ wer wil die ändern? Sässe mir die Wohllust in meinem kostbarsten Kleide/ oder in dem theuersten Edelgesteine/ ich wolte sie aus- schneiden oder ausreissen. Aber so steckt mir die- selbe in meinem wesentlichen Fleische und Blute. Mit dem Geld-Geitzigen ist es eben so beschaf- fen/ der weiß so viel wider die Wohllust und den Ehr-Geitz zu sagen/ und seine lüsternde Begierde zu entschuldigen/ und sie zu der Na- tur zu machen/ auch deswegen ihre Ausbes- serung als unnöthig oder unmöglich zu unter- lassen. 6. Hiermit aber ist alle Besserung/ das hütet/
Das 14. H. von der vernuͤnfft. Kunſt/ Er ſpricht: Es iſt doch gar ſo ein naͤrriſch und thoͤ-richt Weſen/ daß die Menſchen um einen eitelen Blick/ um einen Wind voll Lob/ um ein Knie- beugen andrer Leute/ ſo viel Verdruß und Unge- mach/ ja Sclaverey ausſtehen/ daß ſie ſich dar- uͤber erzuͤrnen/ wenn ihnen jemand keine gute Mine macht/ oder nicht wohl von ſie redet. Das nimmt ihnen ja weder an ihrer Geſundheit/ noch an ihrem Vermoͤgen etwas. Aber die Wohl- luſt iſt doch gaꝛ zu eine ſuͤſſe Suͤnde. Deꝛ Wein ſie- het ſo ſchoͤn/ es iſt ſo eine edle Gabe GOttes/ wer wolte ſich nicht druͤber freuen? Die Liebe ei- nes Geſchlechts gegen das andere ſteckt in der Natur/ wer wil die aͤndern? Saͤſſe mir die Wohlluſt in meinem koſtbarſten Kleide/ oder in dem theuerſten Edelgeſteine/ ich wolte ſie aus- ſchneiden oder ausreiſſen. Aber ſo ſteckt mir die- ſelbe in meinem weſentlichen Fleiſche und Blute. Mit dem Geld-Geitzigen iſt es eben ſo beſchaf- fen/ der weiß ſo viel wider die Wohlluſt und den Ehr-Geitz zu ſagen/ und ſeine luͤſternde Begierde zu entſchuldigen/ und ſie zu der Na- tur zu machen/ auch deswegen ihre Ausbeſ- ſerung als unnoͤthig oder unmoͤglich zu unter- laſſen. 6. Hiermit aber iſt alle Beſſerung/ das huͤtet/
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Das 14. H. von der vernuͤnfft. Kunſt/
Er ſpricht: Es iſt doch gar ſo ein naͤrriſch und thoͤ-
richt Weſen/ daß die Menſchen um einen eitelen
Blick/ um einen Wind voll Lob/ um ein Knie-
beugen andrer Leute/ ſo viel Verdruß und Unge-
mach/ ja Sclaverey ausſtehen/ daß ſie ſich dar-
uͤber erzuͤrnen/ wenn ihnen jemand keine gute
Mine macht/ oder nicht wohl von ſie redet. Das
nimmt ihnen ja weder an ihrer Geſundheit/ noch
an ihrem Vermoͤgen etwas. Aber die Wohl-
luſt iſt doch gaꝛ zu eine ſuͤſſe Suͤnde. Deꝛ Wein ſie-
het ſo ſchoͤn/ es iſt ſo eine edle Gabe GOttes/
wer wolte ſich nicht druͤber freuen? Die Liebe ei-
nes Geſchlechts gegen das andere ſteckt in der
Natur/ wer wil die aͤndern? Saͤſſe mir die
Wohlluſt in meinem koſtbarſten Kleide/ oder
in dem theuerſten Edelgeſteine/ ich wolte ſie aus-
ſchneiden oder ausreiſſen. Aber ſo ſteckt mir die-
ſelbe in meinem weſentlichen Fleiſche und Blute.
Mit dem Geld-Geitzigen iſt es eben ſo beſchaf-
fen/ der weiß ſo viel wider die Wohlluſt und
den Ehr-Geitz zu ſagen/ und ſeine luͤſternde
Begierde zu entſchuldigen/ und ſie zu der Na-
tur zu machen/ auch deswegen ihre Ausbeſ-
ſerung als unnoͤthig oder unmoͤglich zu unter-
laſſen.
6. Hiermit aber iſt alle Beſſerung/ das
iſt/ alle Vermeidung der Laſter und Strebung
nach der Tugend vergebens. Denn der Menſch
thut alsdenn ſtets nach ſeinem herrſchenden boͤ-
ſen Affect, und thut nichts mehr/ als daß er ſich
huͤtet/
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