Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

Bild:

<< vorherige Seite

nächste Seite >>

Das 14. H. von der vernünfft. Kunst/

doch nicht so gar für schlimm halten/ als die un-
terste/ oder aber/ daß/ wenn sie auch schon die
Boßheit des herrschenden Affects erkennen/ sie
dennoch dafür halten/ es sey närrisch/ an die
Dämpffung derselben zu gedencken/ weil diese
Passion die Natur selbst sey die Natur aber zu
ändern sey unmüglich.

5. Denn man wird täglich anmercken kön-
nen/ daß viel Menschen einen solchen Haßge-
gen die Passiones haben/ die bey ihnen die un-
tersten sind/ daß sie auch an andern Menschen
dieselben am höchsten zu tadeln wissen. Zumahl
wenn sie in denenselben im höchsten Grad sind.
Also werden geile/ oder nach dem Politischen
Stylo der Welt/ sehr verliebte Menschen auf un-
verliebte Ehrgeitzige/ und diese hinwieder auf
jene/ die Wohllüstigen auf die Geld-Geitzigen/
und diese hinwieder auf jene/ verfoffene Men-
schen auf die/ so das Frauenvolck fleißig bedie-
nen/ und diese hinwieder auf jene schelten. Jm
Gegentheil wird man sehen/ daß/ wo wir nicht
aus Special-Ursachen etwa eines Hasses uns an-
ders bezeigen/ wir gemeiniglich die Laster des über
uns herrschenden Affects auch bey andern/ auch
wenn diese uns indifferent sind/ wenn sie schon
gröber ausgebrochen/ als bey uns/ in etwas zu
entschuldigen suchen. Also geben obgedachte
verliebte Leute über Hurer und Ehebrecher; Geld-
geitzige/ die dabey eine Wohllüstige Barmher-
tzigkeit haben/ über Diebe oder falsche Müntzer/

offters

Das 14. H. von der vernuͤnfft. Kunſt/

doch nicht ſo gar fuͤr ſchlimm halten/ als die un-
terſte/ oder aber/ daß/ wenn ſie auch ſchon die
Boßheit des herrſchenden Affects erkennen/ ſie
dennoch dafuͤr halten/ es ſey naͤrriſch/ an die
Daͤmpffung derſelben zu gedencken/ weil dieſe
Paſſion die Natur ſelbſt ſey die Natur aber zu
aͤndern ſey unmuͤglich.

5. Denn man wird taͤglich anmercken koͤn-
nen/ daß viel Menſchen einen ſolchen Haßge-
gen die Paſſiones haben/ die bey ihnen die un-
terſten ſind/ daß ſie auch an andern Menſchen
dieſelben am hoͤchſten zu tadeln wiſſen. Zumahl
wenn ſie in denenſelben im hoͤchſten Grad ſind.
Alſo werden geile/ oder nach dem Politiſchen
Stylo der Welt/ ſehr verliebte Menſchen auf un-
verliebte Ehrgeitzige/ und dieſe hinwieder auf
jene/ die Wohlluͤſtigen auf die Geld-Geitzigen/
und dieſe hinwieder auf jene/ verfoffene Men-
ſchen auf die/ ſo das Frauenvolck fleißig bedie-
nen/ und dieſe hinwieder auf jene ſchelten. Jm
Gegentheil wird man ſehen/ daß/ wo wir nicht
aus Special-Urſachen etwa eines Haſſes uns an-
ders bezeigen/ wir gemeiniglich die Laſter des uͤber
uns herrſchenden Affects auch bey andern/ auch
wenn dieſe uns indifferent ſind/ wenn ſie ſchon
groͤber ausgebrochen/ als bey uns/ in etwas zu
entſchuldigen ſuchen. Alſo geben obgedachte
verliebte Leute uͤber Hurer und Ehebrecher; Geld-
geitzige/ die dabey eine Wohlluͤſtige Barmher-
tzigkeit haben/ uͤber Diebe oder falſche Muͤntzer/

offters

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0474" n="462"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das 14. H. von der vernu&#x0364;nfft. Kun&#x017F;t/</hi></fw><lb/>
doch nicht &#x017F;o gar fu&#x0364;r &#x017F;chlimm halten/ als die un-<lb/>
ter&#x017F;te/ oder aber/ daß/ wenn &#x017F;ie auch &#x017F;chon die<lb/>
Boßheit des herr&#x017F;chenden <hi rendition="#aq">Affects</hi> erkennen/ &#x017F;ie<lb/>
dennoch dafu&#x0364;r halten/ es &#x017F;ey na&#x0364;rri&#x017F;ch/ an die<lb/>
Da&#x0364;mpffung der&#x017F;elben zu gedencken/ weil die&#x017F;e<lb/><hi rendition="#aq">Pa&#x017F;&#x017F;ion</hi> die Natur &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ey <hi rendition="#fr">die Natur aber zu<lb/>
a&#x0364;ndern &#x017F;ey unmu&#x0364;glich.</hi></p><lb/>
        <p>5. Denn man wird ta&#x0364;glich anmercken ko&#x0364;n-<lb/>
nen/ daß viel Men&#x017F;chen <hi rendition="#fr">einen &#x017F;olchen Haßge-<lb/>
gen die</hi> <hi rendition="#aq">Pa&#x017F;&#x017F;iones</hi> <hi rendition="#fr">haben/ die bey ihnen die un-<lb/>
ter&#x017F;ten &#x017F;ind/</hi> daß &#x017F;ie auch an andern Men&#x017F;chen<lb/>
die&#x017F;elben am ho&#x0364;ch&#x017F;ten zu tadeln wi&#x017F;&#x017F;en. Zumahl<lb/>
wenn &#x017F;ie in denen&#x017F;elben im ho&#x0364;ch&#x017F;ten Grad &#x017F;ind.<lb/>
Al&#x017F;o werden geile/ oder nach dem Politi&#x017F;chen<lb/><hi rendition="#aq">Stylo</hi> der Welt/ &#x017F;ehr verliebte Men&#x017F;chen auf un-<lb/>
verliebte Ehrgeitzige/ und die&#x017F;e hinwieder auf<lb/>
jene/ die Wohllu&#x0364;&#x017F;tigen auf die Geld-Geitzigen/<lb/>
und die&#x017F;e hinwieder auf jene/ verfoffene Men-<lb/>
&#x017F;chen auf die/ &#x017F;o das Frauenvolck fleißig bedie-<lb/>
nen/ und die&#x017F;e hinwieder auf jene &#x017F;chelten. Jm<lb/>
Gegentheil wird man &#x017F;ehen/ daß/ wo wir nicht<lb/>
aus <hi rendition="#aq">Special-</hi>Ur&#x017F;achen etwa eines Ha&#x017F;&#x017F;es uns an-<lb/>
ders bezeigen/ wir gemeiniglich die La&#x017F;ter des u&#x0364;ber<lb/>
uns herr&#x017F;chenden <hi rendition="#aq">Affects</hi> auch bey andern/ auch<lb/>
wenn die&#x017F;e uns <hi rendition="#aq">indifferent</hi> &#x017F;ind/ wenn &#x017F;ie &#x017F;chon<lb/>
gro&#x0364;ber ausgebrochen/ als bey uns/ in etwas zu<lb/>
ent&#x017F;chuldigen &#x017F;uchen. Al&#x017F;o geben obgedachte<lb/>
verliebte Leute u&#x0364;ber Hurer und Ehebrecher; Geld-<lb/>
geitzige/ die dabey eine Wohllu&#x0364;&#x017F;tige Barmher-<lb/>
tzigkeit haben/ u&#x0364;ber Diebe oder fal&#x017F;che Mu&#x0364;ntzer/<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">offters</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>

[462/0474] Das 14. H. von der vernuͤnfft. Kunſt/ doch nicht ſo gar fuͤr ſchlimm halten/ als die un- terſte/ oder aber/ daß/ wenn ſie auch ſchon die Boßheit des herrſchenden Affects erkennen/ ſie dennoch dafuͤr halten/ es ſey naͤrriſch/ an die Daͤmpffung derſelben zu gedencken/ weil dieſe Paſſion die Natur ſelbſt ſey die Natur aber zu aͤndern ſey unmuͤglich. 5. Denn man wird taͤglich anmercken koͤn- nen/ daß viel Menſchen einen ſolchen Haßge- gen die Paſſiones haben/ die bey ihnen die un- terſten ſind/ daß ſie auch an andern Menſchen dieſelben am hoͤchſten zu tadeln wiſſen. Zumahl wenn ſie in denenſelben im hoͤchſten Grad ſind. Alſo werden geile/ oder nach dem Politiſchen Stylo der Welt/ ſehr verliebte Menſchen auf un- verliebte Ehrgeitzige/ und dieſe hinwieder auf jene/ die Wohlluͤſtigen auf die Geld-Geitzigen/ und dieſe hinwieder auf jene/ verfoffene Men- ſchen auf die/ ſo das Frauenvolck fleißig bedie- nen/ und dieſe hinwieder auf jene ſchelten. Jm Gegentheil wird man ſehen/ daß/ wo wir nicht aus Special-Urſachen etwa eines Haſſes uns an- ders bezeigen/ wir gemeiniglich die Laſter des uͤber uns herrſchenden Affects auch bey andern/ auch wenn dieſe uns indifferent ſind/ wenn ſie ſchon groͤber ausgebrochen/ als bey uns/ in etwas zu entſchuldigen ſuchen. Alſo geben obgedachte verliebte Leute uͤber Hurer und Ehebrecher; Geld- geitzige/ die dabey eine Wohlluͤſtige Barmher- tzigkeit haben/ uͤber Diebe oder falſche Muͤntzer/ offters

Suche im Werk

Informationen zum Werk

Titeldaten
Verfügbarkeit Text (TEI-XML-, HTML-, TCF-, E-Book-Fassung): CC BY-SA 4.0.
Nutzungsbedingungen

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ^?

Language Resource Switchboard^?

Resource/URL übermitteln

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk:	https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696
URL zu dieser Seite:	https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/474
Zitationshilfe:	Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/474>, abgerufen am 22.12.2024.

Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer Creative-Commons-Lizenz. Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken. Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.

Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.

2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de.

Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.