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Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

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Das 13. H. von dem Zorn des Menschen/
"Gesetzgeber/ der ohne Erzürnen anordnet.
"Denn wenn es einem ehrlichen Manne zukäme/
"über die Boßheiten der Menschen sich zu erzür-
"nen/ so würde es auch nothwendig seyn/ daß
"er das Glücke böser Leute beneidete. Denn was
"ist unbilliger/ als daß die Gottlosen grünen und
"blühen/ und ihres Glücks so schändlich miß-
"brauchen/ für die kein Unglück gefunden wer-
"den könte/ das sie nicht verdienet hätten? Aber
"nichts desto weniger wird ein weiser Mann so
"wohl ihr Glücke ohne Beneidung/ als ihre
"Schelmstücken ohne Zorn ansehen.

45. Derowegen wolte ich auch lieber/ daß
man in gegenwärtiger Frage von der Unzuläßlig-
keit des Zorns sich der Distinction unter Zorn
und Eiffer nicht bedienete/ welches etliche zu
thun pflegen/ und den Zorn verwerffen; aber
den Eiffer für gut und zugelassen ausgeben.
Denn ich fürchte immer/ Zorn und Eiffer sey ei-
nes/ und der Eiffer sey eben auch eine Rach-
gierde.
Und das Menschliche Hertz erfinde nur
diese Distinction anderer Leute Eiffer als einen
unzuläßlichen Zorn zu schelten/ seinen eigenen
Zorn aber als einen zuläßlichen Eiffer zu entschul-
digen/ oder zu loben. Jch weiß ja wohl/ daß
man sagen könne/ der Eiffer sey keine Rachgier-
de/ sondern eine Betrübnüs über das Unrecht/
oder die Beleidigung/ die einem Frommen an-
gethan wird/ mit dem ernstlichen Vorsatz den
Beleidigenden davon abzuhalten/ oder ihn da-

hin

Das 13. H. von dem Zorn des Menſchen/
„Geſetzgeber/ der ohne Erzuͤrnen anordnet.
„Denn wenn es einem ehrlichen Manne zukaͤme/
„uͤber die Boßheiten der Menſchen ſich zu erzuͤr-
„nen/ ſo wuͤrde es auch nothwendig ſeyn/ daß
„er das Gluͤcke boͤſer Leute beneidete. Denn was
„iſt unbilliger/ als daß die Gottloſen gruͤnen und
„bluͤhen/ und ihres Gluͤcks ſo ſchaͤndlich miß-
„brauchen/ fuͤr die kein Ungluͤck gefunden wer-
„den koͤnte/ das ſie nicht verdienet haͤtten? Aber
„nichts deſto weniger wird ein weiſer Mann ſo
„wohl ihr Gluͤcke ohne Beneidung/ als ihre
„Schelmſtuͤcken ohne Zorn anſehen.

45. Derowegen wolte ich auch lieber/ daß
man in gegenwaͤrtiger Frage von der Unzulaͤßlig-
keit des Zorns ſich der Diſtinction unter Zorn
und Eiffer nicht bedienete/ welches etliche zu
thun pflegen/ und den Zorn verwerffen; aber
den Eiffer fuͤr gut und zugelaſſen ausgeben.
Denn ich fuͤrchte immer/ Zorn und Eiffer ſey ei-
nes/ und der Eiffer ſey eben auch eine Rach-
gierde.
Und das Menſchliche Hertz erfinde nur
dieſe Diſtinction anderer Leute Eiffer als einen
unzulaͤßlichen Zorn zu ſchelten/ ſeinen eigenen
Zorn aber als einen zulaͤßlichen Eiffer zu entſchul-
digen/ oder zu loben. Jch weiß ja wohl/ daß
man ſagen koͤnne/ der Eiffer ſey keine Rachgier-
de/ ſondern eine Betruͤbnuͤs uͤber das Unrecht/
oder die Beleidigung/ die einem Frommen an-
gethan wird/ mit dem ernſtlichen Vorſatz den
Beleidigenden davon abzuhalten/ oder ihn da-

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[440/0452] Das 13. H. von dem Zorn des Menſchen/ „Geſetzgeber/ der ohne Erzuͤrnen anordnet. „Denn wenn es einem ehrlichen Manne zukaͤme/ „uͤber die Boßheiten der Menſchen ſich zu erzuͤr- „nen/ ſo wuͤrde es auch nothwendig ſeyn/ daß „er das Gluͤcke boͤſer Leute beneidete. Denn was „iſt unbilliger/ als daß die Gottloſen gruͤnen und „bluͤhen/ und ihres Gluͤcks ſo ſchaͤndlich miß- „brauchen/ fuͤr die kein Ungluͤck gefunden wer- „den koͤnte/ das ſie nicht verdienet haͤtten? Aber „nichts deſto weniger wird ein weiſer Mann ſo „wohl ihr Gluͤcke ohne Beneidung/ als ihre „Schelmſtuͤcken ohne Zorn anſehen. 45. Derowegen wolte ich auch lieber/ daß man in gegenwaͤrtiger Frage von der Unzulaͤßlig- keit des Zorns ſich der Diſtinction unter Zorn und Eiffer nicht bedienete/ welches etliche zu thun pflegen/ und den Zorn verwerffen; aber den Eiffer fuͤr gut und zugelaſſen ausgeben. Denn ich fuͤrchte immer/ Zorn und Eiffer ſey ei- nes/ und der Eiffer ſey eben auch eine Rach- gierde. Und das Menſchliche Hertz erfinde nur dieſe Diſtinction anderer Leute Eiffer als einen unzulaͤßlichen Zorn zu ſchelten/ ſeinen eigenen Zorn aber als einen zulaͤßlichen Eiffer zu entſchul- digen/ oder zu loben. Jch weiß ja wohl/ daß man ſagen koͤnne/ der Eiffer ſey keine Rachgier- de/ ſondern eine Betruͤbnuͤs uͤber das Unrecht/ oder die Beleidigung/ die einem Frommen an- gethan wird/ mit dem ernſtlichen Vorſatz den Beleidigenden davon abzuhalten/ oder ihn da- hin

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/452>, abgerufen am 29.11.2024.