Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

Bild:
<< vorherige Seite

Das 1. Hauptst. von denen Ursachen
men/ weil Er hierinnen die Art und Weise nach
den guten zutrachten und das böse zufliehen
gäntzlich umbkehret. Der Grund seiner Liebe
gegen andere Menschen solte seyn/ weil Er sie
schon geprüffet und erkennet hätte/ daß sie so wei-
se und tugendhafft wären/ daß Sie in Jhrem
Thun und Laßen nach warhafftig guten Dingen
strebeten/ und die bösen meideten. So aber
verleitet Jhn dieses Vorurtheil dahin/ daß Er
das vor gut und böse hält/ was die Leute/ auff die
er seine Liebe unvernünfftiger Weise geworffen/
thun oder laßen.

49. Daß aber dieses Vorurtheil das gantze
menschliche Geschlecht in allen Alter und
Ständen
eingenommen habe/ weiset aber-
mahls die tägliche Erfahrung. Ein Kind wird
angetrieben die Hand in das Feuer zuhalten/
wenn ein anderer Mensch Jhm darinnen vorge-
het/ ja wenn es sich gleich etwas gebrannt hat/ und
ein erwachsener Mensch fähret mit d Hand durchs
Feuer/ wird man doch gewahr werden/ wie die-
se Begierde mit der Furcht gleichsam streite/ auch
nach Gelegenheit der Umbstände zuweilen über-
winde. Die Erwachsenen essen und trincken
dasjenige begierig/ was sie sehen/ daß andere in
Gesellschafft mit Begierde essen und trincken/
und wenn sie schon zuvor einen Eckel und keinen
Appetit hätten/ wird doch der Appetit dadurch
erwecket. Wenn ein berühmter Gelehrter/
oder ein erfahrner Buchführer ein Buch kauf-

fet/

Das 1. Hauptſt. von denen Urſachen
men/ weil Er hierinnen die Art und Weiſe nach
den guten zutrachten und das boͤſe zufliehen
gaͤntzlich umbkehret. Der Grund ſeiner Liebe
gegen andere Menſchen ſolte ſeyn/ weil Er ſie
ſchon gepruͤffet und erkennet haͤtte/ daß ſie ſo wei-
ſe und tugendhafft waͤren/ daß Sie in Jhrem
Thun und Laßen nach warhafftig guten Dingen
ſtrebeten/ und die boͤſen meideten. So aber
verleitet Jhn dieſes Vorurtheil dahin/ daß Er
das vor gut und boͤſe haͤlt/ was die Leute/ auff die
er ſeine Liebe unvernuͤnfftiger Weiſe geworffen/
thun oder laßen.

49. Daß aber dieſes Vorurtheil das gantze
menſchliche Geſchlecht in allen Alter und
Staͤnden
eingenommen habe/ weiſet aber-
mahls die taͤgliche Erfahrung. Ein Kind wird
angetrieben die Hand in das Feuer zuhalten/
wenn ein anderer Menſch Jhm darinnen vorge-
het/ ja wenn es ſich gleich etwas gebrañt hat/ und
ein erwachſener Menſch faͤhret mit d̕ Hand durchs
Feuer/ wird man doch gewahr werden/ wie die-
ſe Begierde mit der Furcht gleichſam ſtreite/ auch
nach Gelegenheit der Umbſtaͤnde zuweilen uͤber-
winde. Die Erwachſenen eſſen und trincken
dasjenige begierig/ was ſie ſehen/ daß andere in
Geſellſchafft mit Begierde eſſen und trincken/
und wenn ſie ſchon zuvor einen Eckel und keinen
Appetit haͤtten/ wird doch der Appetit dadurch
erwecket. Wenn ein beruͤhmter Gelehrter/
oder ein erfahrner Buchfuͤhrer ein Buch kauf-

fet/
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0040" n="28"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das 1. Haupt&#x017F;t. von denen Ur&#x017F;achen</hi></fw><lb/><choice><sic>&#xFFFC;en</sic><corr>men</corr></choice>/ weil Er hierinnen die Art und Wei&#x017F;e nach<lb/>
den guten zutrachten und das bo&#x0364;&#x017F;e zufliehen<lb/>
ga&#x0364;ntzlich umbkehret. Der Grund &#x017F;einer Liebe<lb/>
gegen andere <choice><sic>M<supplied>e</supplied>n&#x017F;chen</sic><corr>Men&#x017F;chen</corr></choice> &#x017F;olte &#x017F;eyn/ weil Er &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;chon gepru&#x0364;ffet und erkennet ha&#x0364;tte/ daß &#x017F;ie &#x017F;o wei-<lb/>
&#x017F;e und tugendhafft wa&#x0364;ren/ daß Sie in Jhrem<lb/>
Thun und Laßen nach warhafftig guten Dingen<lb/>
&#x017F;trebeten/ und die bo&#x0364;&#x017F;en meideten. So aber<lb/>
verleitet Jhn die&#x017F;es Vorurtheil dahin/ daß Er<lb/>
das vor gut und bo&#x0364;&#x017F;e ha&#x0364;lt/ was die Leute/ auff die<lb/>
er &#x017F;eine Liebe unvernu&#x0364;nfftiger Wei&#x017F;e geworffen/<lb/>
thun oder laßen.</p><lb/>
        <p>49. Daß aber die&#x017F;es Vorurtheil <hi rendition="#fr">das gantze<lb/>
men&#x017F;chliche Ge&#x017F;chlecht in allen Alter und<lb/>
Sta&#x0364;nden</hi> eingenommen habe/ wei&#x017F;et aber-<lb/>
mahls die ta&#x0364;gliche Erfahrung. Ein <hi rendition="#fr">Kind</hi> wird<lb/>
angetrieben <hi rendition="#fr">die Hand in das Feuer zuhalten/</hi><lb/>
wenn ein anderer Men&#x017F;ch Jhm darinnen vorge-<lb/>
het/ ja wenn es &#x017F;ich gleich etwas gebran&#x0303;t hat/ und<lb/>
ein erwach&#x017F;ener Men&#x017F;ch fa&#x0364;hret mit d&#x0315; Hand durchs<lb/>
Feuer/ wird man doch gewahr werden/ wie die-<lb/>
&#x017F;e Begierde mit der Furcht gleich&#x017F;am &#x017F;treite/ auch<lb/>
nach Gelegenheit der Umb&#x017F;ta&#x0364;nde zuweilen u&#x0364;ber-<lb/>
winde. Die <hi rendition="#fr">Erwach&#x017F;enen e&#x017F;&#x017F;en</hi> und <hi rendition="#fr">trincken</hi><lb/>
dasjenige begierig/ was &#x017F;ie &#x017F;ehen/ daß andere in<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chafft mit Begierde e&#x017F;&#x017F;en und trincken/<lb/>
und wenn &#x017F;ie &#x017F;chon zuvor einen Eckel und keinen<lb/>
Appetit ha&#x0364;tten/ wird doch der Appetit dadurch<lb/>
erwecket. Wenn ein beru&#x0364;hmter <hi rendition="#fr">Gelehrter/</hi><lb/>
oder ein erfahrner <hi rendition="#fr">Buchfu&#x0364;hrer</hi> ein <hi rendition="#fr">Buch kauf-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">fet/</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[28/0040] Das 1. Hauptſt. von denen Urſachen men/ weil Er hierinnen die Art und Weiſe nach den guten zutrachten und das boͤſe zufliehen gaͤntzlich umbkehret. Der Grund ſeiner Liebe gegen andere Menſchen ſolte ſeyn/ weil Er ſie ſchon gepruͤffet und erkennet haͤtte/ daß ſie ſo wei- ſe und tugendhafft waͤren/ daß Sie in Jhrem Thun und Laßen nach warhafftig guten Dingen ſtrebeten/ und die boͤſen meideten. So aber verleitet Jhn dieſes Vorurtheil dahin/ daß Er das vor gut und boͤſe haͤlt/ was die Leute/ auff die er ſeine Liebe unvernuͤnfftiger Weiſe geworffen/ thun oder laßen. 49. Daß aber dieſes Vorurtheil das gantze menſchliche Geſchlecht in allen Alter und Staͤnden eingenommen habe/ weiſet aber- mahls die taͤgliche Erfahrung. Ein Kind wird angetrieben die Hand in das Feuer zuhalten/ wenn ein anderer Menſch Jhm darinnen vorge- het/ ja wenn es ſich gleich etwas gebrañt hat/ und ein erwachſener Menſch faͤhret mit d̕ Hand durchs Feuer/ wird man doch gewahr werden/ wie die- ſe Begierde mit der Furcht gleichſam ſtreite/ auch nach Gelegenheit der Umbſtaͤnde zuweilen uͤber- winde. Die Erwachſenen eſſen und trincken dasjenige begierig/ was ſie ſehen/ daß andere in Geſellſchafft mit Begierde eſſen und trincken/ und wenn ſie ſchon zuvor einen Eckel und keinen Appetit haͤtten/ wird doch der Appetit dadurch erwecket. Wenn ein beruͤhmter Gelehrter/ oder ein erfahrner Buchfuͤhrer ein Buch kauf- fet/

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/40
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/40>, abgerufen am 24.11.2024.