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Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

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Das 9. H. Von der Wohllust
ne Gebrauch scheinet uns zu widersprechen. Wenn
man was loben wil/ nennet man es zart und de-
licat.
Wer wolte nicht ein zartes und delicates
Frauenzimmer/ einer Weibesperson vorziehen/
die grob von Gliedern und Haut ist. Eine vor-
nehme Person hat gantz eine andere Natur als
gemeine und grobe Leute. Sie hat zärtere Fuß-
Sohlen/ und kan nicht auff dem Pflaster auch
nur von einen Hause zu dem andern gehen/ son-
dern muß fahren; Sie hat einen zärtern Rücken/
und kan nicht ruhen/ wenn auch unter drey Unter-
Betten eine kleine Erbse ihr Ungelegenheit macht;
Sie hat zärtere Hände/ und kan keine Lufft/ viel
weniger kalt Wasser vertragen; Sie hat eine
zärtere Nase/ und würde kranck werden/ wenn an
statt des gewöhnl. eingebisamten sie den gering-
sten verdrüßlichen Geruch leiden solte; Sie hat ei-
nen zärteren Geschmack und Magen/ und kan keine
grobe Speise noch Tranck vertragen; Da her-
gegen ein grober bäurischer Mensch wegen seiner
groben Füsse gantze Tage barfuß gehen/ wegen
seines harten Rückens auff harter Erde sanff-
te schlaffen/ wegen seiner plumpen Hände in rau-
her Lufft und kalten Wasser in die dauer arbeiten/
wegen seines bäurischen Gehirnes und unflätigen
Nasen keinen guten Geruch leiden/ und wegen
seines gemeinen Geschmacks die schlechteste
Speise und Tranck vertragen kan. Woraus
zu folgen scheinet/ daß die Zartheit und Zärt-
ligkeit kein Laster/ sondern eine sonderliche

Vor-

Das 9. H. Von der Wohlluſt
ne Gebrauch ſcheinet uns zu widerſprechen. Weñ
man was loben wil/ nennet man es zart und de-
licat.
Wer wolte nicht ein zartes und delicates
Frauenzimmer/ einer Weibesperſon vorziehen/
die grob von Gliedern und Haut iſt. Eine vor-
nehme Perſon hat gantz eine andere Natur als
gemeine und grobe Leute. Sie hat zaͤrtere Fuß-
Sohlen/ und kan nicht auff dem Pflaſter auch
nur von einen Hauſe zu dem andern gehen/ ſon-
dern muß fahren; Sie hat einen zaͤrtern Ruͤcken/
und kan nicht ruhen/ wenn auch unter drey Unter-
Betten eine kleine Erbſe ihr Ungelegenheit macht;
Sie hat zaͤrtere Haͤnde/ und kan keine Lufft/ viel
weniger kalt Waſſer vertragen; Sie hat eine
zaͤrtere Naſe/ und wuͤrde kranck werden/ wenn an
ſtatt des gewoͤhnl. eingebiſamten ſie den gering-
ſten verdruͤßlichẽ Geruch leiden ſolte; Sie hat ei-
nen zaͤrteren Geſchmack und Magen/ uñ kan keine
grobe Speiſe noch Tranck vertragen; Da her-
gegen ein grober baͤuriſcher Menſch wegen ſeiner
groben Fuͤſſe gantze Tage barfuß gehen/ wegen
ſeines harten Ruͤckens auff harter Erde ſanff-
te ſchlaffen/ wegen ſeiner plumpen Haͤnde in rau-
her Lufft und kalten Waſſer in die dauer arbeiten/
wegen ſeines baͤuriſchen Gehirnes und unflaͤtigen
Naſen keinen guten Geruch leiden/ und wegen
ſeines gemeinen Geſchmacks die ſchlechteſte
Speiſe und Tranck vertragen kan. Woraus
zu folgen ſcheinet/ daß die Zartheit und Zaͤrt-
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[202/0214] Das 9. H. Von der Wohlluſt ne Gebrauch ſcheinet uns zu widerſprechen. Weñ man was loben wil/ nennet man es zart und de- licat. Wer wolte nicht ein zartes und delicates Frauenzimmer/ einer Weibesperſon vorziehen/ die grob von Gliedern und Haut iſt. Eine vor- nehme Perſon hat gantz eine andere Natur als gemeine und grobe Leute. Sie hat zaͤrtere Fuß- Sohlen/ und kan nicht auff dem Pflaſter auch nur von einen Hauſe zu dem andern gehen/ ſon- dern muß fahren; Sie hat einen zaͤrtern Ruͤcken/ und kan nicht ruhen/ wenn auch unter drey Unter- Betten eine kleine Erbſe ihr Ungelegenheit macht; Sie hat zaͤrtere Haͤnde/ und kan keine Lufft/ viel weniger kalt Waſſer vertragen; Sie hat eine zaͤrtere Naſe/ und wuͤrde kranck werden/ wenn an ſtatt des gewoͤhnl. eingebiſamten ſie den gering- ſten verdruͤßlichẽ Geruch leiden ſolte; Sie hat ei- nen zaͤrteren Geſchmack und Magen/ uñ kan keine grobe Speiſe noch Tranck vertragen; Da her- gegen ein grober baͤuriſcher Menſch wegen ſeiner groben Fuͤſſe gantze Tage barfuß gehen/ wegen ſeines harten Ruͤckens auff harter Erde ſanff- te ſchlaffen/ wegen ſeiner plumpen Haͤnde in rau- her Lufft und kalten Waſſer in die dauer arbeiten/ wegen ſeines baͤuriſchen Gehirnes und unflaͤtigen Naſen keinen guten Geruch leiden/ und wegen ſeines gemeinen Geſchmacks die ſchlechteſte Speiſe und Tranck vertragen kan. Woraus zu folgen ſcheinet/ daß die Zartheit und Zaͤrt- ligkeit kein Laſter/ ſondern eine ſonderliche Vor-

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/214>, abgerufen am 22.11.2024.