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Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

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Das 6. H. Ob die Gemüths-Neig.
kömmt. Wir halten es zwar nicht mit denen
Stoickern/
die alle Affecten für böse ausrieffen/
weil sie die Affecten nicht recht beschrieben. Aber
was den Zorn betrifft/ können wir auch der Nach-
folger des
Aristotelis Parthey wider die Stoi-
cker nicht beypflichten. Denn der Zorn ist seinem
Wesen nach/ und weil er eine Begierde ist/ sich
zu rächen/ oder dem Beleidiger etwas böses zu
zufügen/ böse. Und hätten dannenhero die Aristo-
telici
besser gethan/ sie hätten den Zorn gar nicht
unter die Affecten gerechnet/ welches die Stoicker
wohl thun konten/ die alle Affecten für böse hielten.
Oder wenn die Peripatetici den Zorn für indifferent
halten/ warumb halten sie nicht auch den Geld-
Geitz oder den Neid für indifferent? Denn es ist
mir niemand unter denen Philosophis bekant/ der
den Neid nicht für eine böse Gemüths-Neigung
halte.

33. Wolte man gleich sagen/ es hätten die
Peripatetici die guten und bösen Affecten nur nach
der andern
Regel unterschieden/ und die jenigen
für böse gehalten/ in denen eine allzuhefftige Be-
wegung gewesen/ diese für gut oder doch indiffe-
rent,
darinnen die Bewegung mäßig; so würde
sie doch diese Entschuldigung wenig helffen/ weil
eines theils die Nothwendigkeit der ersten Regel/
in Beurtheilung guter und böser Gemüths-Nei-
gungen/ oben allbereit erwiesen worden/ anders
theils aber das Exempel des Neides abermahl im
Wege stehet/ dessen Bewegung an sich selbsten
mehr langsam und heimlich/ als hefftig ist.

34.

Das 6. H. Ob die Gemuͤths-Neig.
koͤmmt. Wir halten es zwar nicht mit denen
Stoickern/
die alle Affecten fuͤr boͤſe ausrieffen/
weil ſie die Affecten nicht recht beſchrieben. Aber
was den Zorn betrifft/ koͤñen wir auch der Nach-
folger des
Ariſtotelis Parthey wider die Stoi-
cker nicht beypflichten. Denn der Zorn iſt ſeinem
Weſen nach/ und weil er eine Begierde iſt/ ſich
zu raͤchen/ oder dem Beleidiger etwas boͤſes zu
zufuͤgen/ boͤſe. Und haͤtten dannenhero die Ariſto-
telici
beſſer gethan/ ſie haͤtten den Zorn gar nicht
unter die Affecten gerechnet/ welches die Stoicker
wohl thun konten/ die alle Affecten fuͤr boͤſe hielten.
Oder weñ die Peripatetici den Zorn fuͤr indifferent
halten/ warumb halten ſie nicht auch den Geld-
Geitz oder den Neid fuͤr indifferent? Denn es iſt
mir niemand unter denen Philoſophis bekant/ der
den Neid nicht fuͤr eine boͤſe Gemuͤths-Neigung
halte.

33. Wolte man gleich ſagen/ es haͤtten die
Peripatetici die guten und boͤſen Affecten nur nach
der andern
Regel unterſchieden/ und die jenigen
fuͤr boͤſe gehalten/ in denen eine allzuhefftige Be-
wegung geweſen/ dieſe fuͤr gut oder doch indiffe-
rent,
darinnen die Bewegung maͤßig; ſo wuͤrde
ſie doch dieſe Entſchuldigung wenig helffen/ weil
eines theils die Nothwendigkeit der erſten Regel/
in Beurtheilung guter und boͤſer Gemuͤths-Nei-
gungen/ oben allbereit erwieſen worden/ anders
theils aber das Exempel des Neides abermahl im
Wege ſtehet/ deſſen Bewegung an ſich ſelbſten
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34.
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[156/0168] Das 6. H. Ob die Gemuͤths-Neig. koͤmmt. Wir halten es zwar nicht mit denen Stoickern/ die alle Affecten fuͤr boͤſe ausrieffen/ weil ſie die Affecten nicht recht beſchrieben. Aber was den Zorn betrifft/ koͤñen wir auch der Nach- folger des Ariſtotelis Parthey wider die Stoi- cker nicht beypflichten. Denn der Zorn iſt ſeinem Weſen nach/ und weil er eine Begierde iſt/ ſich zu raͤchen/ oder dem Beleidiger etwas boͤſes zu zufuͤgen/ boͤſe. Und haͤtten dannenhero die Ariſto- telici beſſer gethan/ ſie haͤtten den Zorn gar nicht unter die Affecten gerechnet/ welches die Stoicker wohl thun konten/ die alle Affecten fuͤr boͤſe hielten. Oder weñ die Peripatetici den Zorn fuͤr indifferent halten/ warumb halten ſie nicht auch den Geld- Geitz oder den Neid fuͤr indifferent? Denn es iſt mir niemand unter denen Philoſophis bekant/ der den Neid nicht fuͤr eine boͤſe Gemuͤths-Neigung halte. 33. Wolte man gleich ſagen/ es haͤtten die Peripatetici die guten und boͤſen Affecten nur nach der andern Regel unterſchieden/ und die jenigen fuͤr boͤſe gehalten/ in denen eine allzuhefftige Be- wegung geweſen/ dieſe fuͤr gut oder doch indiffe- rent, darinnen die Bewegung maͤßig; ſo wuͤrde ſie doch dieſe Entſchuldigung wenig helffen/ weil eines theils die Nothwendigkeit der erſten Regel/ in Beurtheilung guter und boͤſer Gemuͤths-Nei- gungen/ oben allbereit erwieſen worden/ anders theils aber das Exempel des Neides abermahl im Wege ſtehet/ deſſen Bewegung an ſich ſelbſten mehr langſam und heimlich/ als hefftig iſt. 34.

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/168>, abgerufen am 25.11.2024.