Also gegen Abend kam Jesus in dem grossen gepflasterten Saal mit seinen Jüngern zusammen, den er gemiethet hatte, um mit ihnen in Jeru- salem das Osterlamm zu essen. Dies mußte bei den Juden zwischen Abends geschehen, zur Erin- nerung an iene Blutnacht, in welcher ihre Vor- fahren aus Aegypten geflüchtet waren. Bis in die Nacht daurte nun wohl diese Zusammenkunft, und für die gegenwärtige Absicht Jesu war das sehr dienlich. Eine nächtliche Zusammenkunft hat schon an sich einen gewissen verstohlnen Reiz; ganz anders würkt da das Gespräch, wie bei dem Licht und Geräusch des Tags. Das Gemüth ist schon zur Vertraulichkeit gestimmt, durch das Ungewohnte, das Feierliche der Nacht. In der schlummernden Schöpfung fast allein noch wach zu sein, bei dem gänzlichen Schweigen umher zu reden, und so leise zu treten, als wollte man Nieman- den aus seinem Schlafe stören, als wollte man auch von Niemanden in seinem Unternehmen izt gestört oder bemerkt sein, das ist schon etwas Eignes, was leicht ganz eigne Betrachtungen und Empfindungen in der Seele des Menschen hervorruft. Für die Jünger Jesu war diese Nacht, gewis schon bei ihrem Anbruch, eine sehr feierliche Nacht, und sie ward, vor ihrem Ablauf, für sie zur merkwürdigsten Nacht, heller und dunkler, wie irgend ein Tag ihres Lebens. Es war vielleicht eine sanfte Frühlings[-], es war schon für sie als Juden, es ward noch mehr für sie als Jünger Christi eine heilige Nacht. Mit welchem Herzklopfen gingen sie wohl in sie hinein, sie, die in so wenig Tagen so viel Uner-
war-
Unſer Herr in der lezten Abendgeſellſchaft
Alſo gegen Abend kam Jeſus in dem groſſen gepflaſterten Saal mit ſeinen Jüngern zuſammen, den er gemiethet hatte, um mit ihnen in Jeru- ſalem das Oſterlamm zu eſſen. Dies mußte bei den Juden zwiſchen Abends geſchehen, zur Erin- nerung an iene Blutnacht, in welcher ihre Vor- fahren aus Aegypten geflüchtet waren. Bis in die Nacht daurte nun wohl dieſe Zuſammenkunft, und für die gegenwärtige Abſicht Jeſu war das ſehr dienlich. Eine nächtliche Zuſammenkunft hat ſchon an ſich einen gewiſſen verſtohlnen Reiz; ganz anders würkt da das Geſpräch, wie bei dem Licht und Geräuſch des Tags. Das Gemüth iſt ſchon zur Vertraulichkeit geſtimmt, durch das Ungewohnte, das Feierliche der Nacht. In der ſchlummernden Schöpfung faſt allein noch wach zu ſein, bei dem gänzlichen Schweigen umher zu reden, und ſo leiſe zu treten, als wollte man Nieman- den aus ſeinem Schlafe ſtören, als wollte man auch von Niemanden in ſeinem Unternehmen izt geſtört oder bemerkt ſein, das iſt ſchon etwas Eignes, was leicht ganz eigne Betrachtungen und Empfindungen in der Seele des Menſchen hervorruft. Für die Jünger Jeſu war dieſe Nacht, gewis ſchon bei ihrem Anbruch, eine ſehr feierliche Nacht, und ſie ward, vor ihrem Ablauf, für ſie zur merkwürdigſten Nacht, heller und dunkler, wie irgend ein Tag ihres Lebens. Es war vielleicht eine ſanfte Frühlings[-], es war ſchon für ſie als Juden, es ward noch mehr für ſie als Jünger Chriſti eine heilige Nacht. Mit welchem Herzklopfen gingen ſie wohl in ſie hinein, ſie, die in ſo wenig Tagen ſo viel Uner-
war-
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Unſer Herr in der lezten Abendgeſellſchaft
Alſo gegen Abend kam Jeſus in dem groſſen
gepflaſterten Saal mit ſeinen Jüngern zuſammen,
den er gemiethet hatte, um mit ihnen in Jeru-
ſalem das Oſterlamm zu eſſen. Dies mußte bei
den Juden zwiſchen Abends geſchehen, zur Erin-
nerung an iene Blutnacht, in welcher ihre Vor-
fahren aus Aegypten geflüchtet waren. Bis in
die Nacht daurte nun wohl dieſe Zuſammenkunft,
und für die gegenwärtige Abſicht Jeſu war das
ſehr dienlich. Eine nächtliche Zuſammenkunft
hat ſchon an ſich einen gewiſſen verſtohlnen Reiz;
ganz anders würkt da das Geſpräch, wie bei dem
Licht und Geräuſch des Tags. Das Gemüth
iſt ſchon zur Vertraulichkeit geſtimmt, durch das
Ungewohnte, das Feierliche der Nacht. In der
ſchlummernden Schöpfung faſt allein noch wach zu
ſein, bei dem gänzlichen Schweigen umher zu reden,
und ſo leiſe zu treten, als wollte man Nieman-
den aus ſeinem Schlafe ſtören, als wollte man
auch von Niemanden in ſeinem Unternehmen izt
geſtört oder bemerkt ſein, das iſt ſchon etwas
Eignes, was leicht ganz eigne Betrachtungen
und Empfindungen in der Seele des Menſchen
hervorruft. Für die Jünger Jeſu war dieſe
Nacht, gewis ſchon bei ihrem Anbruch, eine ſehr
feierliche Nacht, und ſie ward, vor ihrem Ablauf,
für ſie zur merkwürdigſten Nacht, heller und
dunkler, wie irgend ein Tag ihres Lebens. Es
war vielleicht eine ſanfte Frühlings-, es war
ſchon für ſie als Juden, es ward noch mehr
für ſie als Jünger Chriſti eine heilige Nacht.
Mit welchem Herzklopfen gingen ſie wohl in ſie
hinein, ſie, die in ſo wenig Tagen ſo viel Uner-
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Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/38>, abgerufen am 21.06.2024.
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