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Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.

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Unser Herr,
belasteten Herzen aus deinen drükkenden vier Wän-
den, aus deiner dunkeln Kammer heraus in die
freie Natur; entfern dich von dem Geschäftsge-
wühl der Stadt, entzieh dich den unmittheillenden
und untheilnehmenden Gesellschaften, und geh aufs
Land, oder sieh auf freiem Felde der Sonne zu,
wie sie maiestätisch auf- und untergeht; noch ihr
lezter, wie schon ihr erster, Blik wird dir Freude
ins Herz strahlen, in dein, auch noch so beküm-
mertes, Herz.

Zu Hause waren die beiden Jünger wohl, gleich
den übrigen, still bei eiuander gesessen; indem sie
izt bei einander gingen, gewann einer dem andern
leichter Red an. Doch war ihr Gespräch noch
wohl sehr abgebrochen, ihr Ton sehr einsylbig und
leise, ihr Gang sehr gebükt und schleppend. Da
gesellte sich Jesus auf diesem Wege zu ihnen, und
fiel ihnen in die Rede. Das kam ihnen sehr uner-
wartet; die Anrede Jesu klang ihnen fremde. Hatt
er, wie sie vermuthen mußten, würklich gehört, was
sie mit einander gesprochen hatten: so war es ih-
nen gewis zuwider, daß er, ihnen so durchaus fremd
scheinend, sie in ihrem Gespräch unterbrach, sie in
ihren Empsindungen störte, daß er sie, auch auf
die
Art anredete, so blos fragend, und, bei aller
scheinbaren Theilnehmung, doch so gleichgültig fra-
gend. Ihr Nachdenken war izt ganz auf einen
Punkt hingerichtet, auf einen Punkt, den der
Fremde nicht berühren zu wollen schien; in diesem
kummervollen Nachdenken hing ihr Blik starr zur
Erde; es ging auch schon gegen Abend. Alles

dies

Unſer Herr,
belaſteten Herzen aus deinen drükkenden vier Wän-
den, aus deiner dunkeln Kammer heraus in die
freie Natur; entfern dich von dem Geſchäftsge-
wühl der Stadt, entzieh dich den unmittheillenden
und untheilnehmenden Geſellſchaften, und geh aufs
Land, oder ſieh auf freiem Felde der Sonne zu,
wie ſie maieſtätiſch auf- und untergeht; noch ihr
lezter, wie ſchon ihr erſter, Blik wird dir Freude
ins Herz ſtrahlen, in dein, auch noch ſo beküm-
mertes, Herz.

Zu Hauſe waren die beiden Jünger wohl, gleich
den übrigen, ſtill bei eiuander geſeſſen; indem ſie
izt bei einander gingen, gewann einer dem andern
leichter Red an. Doch war ihr Geſpräch noch
wohl ſehr abgebrochen, ihr Ton ſehr einſylbig und
leiſe, ihr Gang ſehr gebükt und ſchleppend. Da
geſellte ſich Jeſus auf dieſem Wege zu ihnen, und
fiel ihnen in die Rede. Das kam ihnen ſehr uner-
wartet; die Anrede Jeſu klang ihnen fremde. Hatt
er, wie ſie vermuthen mußten, würklich gehört, was
ſie mit einander geſprochen hatten: ſo war es ih-
nen gewis zuwider, daß er, ihnen ſo durchaus fremd
ſcheinend, ſie in ihrem Geſpräch unterbrach, ſie in
ihren Empſindungen ſtörte, daß er ſie, auch auf
die
Art anredete, ſo blos fragend, und, bei aller
ſcheinbaren Theilnehmung, doch ſo gleichgültig fra-
gend. Ihr Nachdenken war izt ganz auf einen
Punkt hingerichtet, auf einen Punkt, den der
Fremde nicht berühren zu wollen ſchien; in dieſem
kummervollen Nachdenken hing ihr Blik ſtarr zur
Erde; es ging auch ſchon gegen Abend. Alles

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[150/0164] Unſer Herr, belaſteten Herzen aus deinen drükkenden vier Wän- den, aus deiner dunkeln Kammer heraus in die freie Natur; entfern dich von dem Geſchäftsge- wühl der Stadt, entzieh dich den unmittheillenden und untheilnehmenden Geſellſchaften, und geh aufs Land, oder ſieh auf freiem Felde der Sonne zu, wie ſie maieſtätiſch auf- und untergeht; noch ihr lezter, wie ſchon ihr erſter, Blik wird dir Freude ins Herz ſtrahlen, in dein, auch noch ſo beküm- mertes, Herz. Zu Hauſe waren die beiden Jünger wohl, gleich den übrigen, ſtill bei eiuander geſeſſen; indem ſie izt bei einander gingen, gewann einer dem andern leichter Red an. Doch war ihr Geſpräch noch wohl ſehr abgebrochen, ihr Ton ſehr einſylbig und leiſe, ihr Gang ſehr gebükt und ſchleppend. Da geſellte ſich Jeſus auf dieſem Wege zu ihnen, und fiel ihnen in die Rede. Das kam ihnen ſehr uner- wartet; die Anrede Jeſu klang ihnen fremde. Hatt er, wie ſie vermuthen mußten, würklich gehört, was ſie mit einander geſprochen hatten: ſo war es ih- nen gewis zuwider, daß er, ihnen ſo durchaus fremd ſcheinend, ſie in ihrem Geſpräch unterbrach, ſie in ihren Empſindungen ſtörte, daß er ſie, auch auf die Art anredete, ſo blos fragend, und, bei aller ſcheinbaren Theilnehmung, doch ſo gleichgültig fra- gend. Ihr Nachdenken war izt ganz auf einen Punkt hingerichtet, auf einen Punkt, den der Fremde nicht berühren zu wollen ſchien; in dieſem kummervollen Nachdenken hing ihr Blik ſtarr zur Erde; es ging auch ſchon gegen Abend. Alles dies

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Zitationshilfe: Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/164>, abgerufen am 28.11.2024.