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Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.

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am Abend seines Auferstehungstags.

Zwei von den Jüngern Jesu, die vielleicht nicht
zu den, izt noch übrigen, eilf genauern Jüngern
Jesu, gehörten, vielleicht auch aus ihrer Mitte
sich izt entfernt hatten, weil ihnen die melancholi-
sche Stille, die izt in ihren verschlossenen Woh-
nungen herrschte, zu drükkend war, die, um sich
in etwas zu zerstreuen, um frische Luft zu schöpfen,
am Sonntage, vielleicht schon Morgens früh,
aufs Feld gegangen waren, und also von den Ge-
rüchten, die nun schon unter den übrigen Jüngern,
auch unter den iüdischen Priestern, vielleicht schon
bei einigen im Volk umhergingen: das Grab
Jesu sei leer, sein Leichnam sei weggenommen, er
sei lebendig auferstanden, daß Bestimmtre noch
nicht wußten, gingen mit einander nach Emmahus,
einem, nahe bei Jerusalem liegenden, Flekken.
Auf heitern wollten sie sich durch diesen Spazier-
gang: aber ihr Herz war zu voll, ihr Gram über
die Hinrichtnng ihres Meisters noch zu neu, als
daß ihnen das sogleich hätte gelingen, als daß sie
von etwas anderm hätte reden können. Daß sie
das izt konnten, war wohl eine wohlthätige Wür-
kung der freien Natur. Diese lud sie erst zu stil-
len Betrachtungen ein, und öfnete dann leise ihr
Herz.

Aehnliche Würkungen bringt sie noch immer
hervor, die schöne Natur, dieser herrliche Tempel
Gottes, um den kein Vorhof ist, zu dessen Aller-
heiligstem Zutritt findet, wer ihn sucht. Versuch
es nur, Leser, und geh dann, wenn es dir in der
Welt zu enge werden will, geh dann mit deinem

belaste-
K 3
am Abend ſeines Auferſtehungstags.

Zwei von den Jüngern Jeſu, die vielleicht nicht
zu den, izt noch übrigen, eilf genauern Jüngern
Jeſu, gehörten, vielleicht auch aus ihrer Mitte
ſich izt entfernt hatten, weil ihnen die melancholi-
ſche Stille, die izt in ihren verſchloſſenen Woh-
nungen herrſchte, zu drükkend war, die, um ſich
in etwas zu zerſtreuen, um friſche Luft zu ſchöpfen,
am Sonntage, vielleicht ſchon Morgens früh,
aufs Feld gegangen waren, und alſo von den Ge-
rüchten, die nun ſchon unter den übrigen Jüngern,
auch unter den iüdiſchen Prieſtern, vielleicht ſchon
bei einigen im Volk umhergingen: das Grab
Jeſu ſei leer, ſein Leichnam ſei weggenommen, er
ſei lebendig auferſtanden, daß Beſtimmtre noch
nicht wußten, gingen mit einander nach Emmahus,
einem, nahe bei Jeruſalem liegenden, Flekken.
Auf heitern wollten ſie ſich durch dieſen Spazier-
gang: aber ihr Herz war zu voll, ihr Gram über
die Hinrichtnng ihres Meiſters noch zu neu, als
daß ihnen das ſogleich hätte gelingen, als daß ſie
von etwas anderm hätte reden können. Daß ſie
das izt konnten, war wohl eine wohlthätige Wür-
kung der freien Natur. Dieſe lud ſie erſt zu ſtil-
len Betrachtungen ein, und öfnete dann leiſe ihr
Herz.

Aehnliche Würkungen bringt ſie noch immer
hervor, die ſchöne Natur, dieſer herrliche Tempel
Gottes, um den kein Vorhof iſt, zu deſſen Aller-
heiligſtem Zutritt findet, wer ihn ſucht. Verſuch
es nur, Leſer, und geh dann, wenn es dir in der
Welt zu enge werden will, geh dann mit deinem

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[149/0163] am Abend ſeines Auferſtehungstags. Zwei von den Jüngern Jeſu, die vielleicht nicht zu den, izt noch übrigen, eilf genauern Jüngern Jeſu, gehörten, vielleicht auch aus ihrer Mitte ſich izt entfernt hatten, weil ihnen die melancholi- ſche Stille, die izt in ihren verſchloſſenen Woh- nungen herrſchte, zu drükkend war, die, um ſich in etwas zu zerſtreuen, um friſche Luft zu ſchöpfen, am Sonntage, vielleicht ſchon Morgens früh, aufs Feld gegangen waren, und alſo von den Ge- rüchten, die nun ſchon unter den übrigen Jüngern, auch unter den iüdiſchen Prieſtern, vielleicht ſchon bei einigen im Volk umhergingen: das Grab Jeſu ſei leer, ſein Leichnam ſei weggenommen, er ſei lebendig auferſtanden, daß Beſtimmtre noch nicht wußten, gingen mit einander nach Emmahus, einem, nahe bei Jeruſalem liegenden, Flekken. Auf heitern wollten ſie ſich durch dieſen Spazier- gang: aber ihr Herz war zu voll, ihr Gram über die Hinrichtnng ihres Meiſters noch zu neu, als daß ihnen das ſogleich hätte gelingen, als daß ſie von etwas anderm hätte reden können. Daß ſie das izt konnten, war wohl eine wohlthätige Wür- kung der freien Natur. Dieſe lud ſie erſt zu ſtil- len Betrachtungen ein, und öfnete dann leiſe ihr Herz. Aehnliche Würkungen bringt ſie noch immer hervor, die ſchöne Natur, dieſer herrliche Tempel Gottes, um den kein Vorhof iſt, zu deſſen Aller- heiligſtem Zutritt findet, wer ihn ſucht. Verſuch es nur, Leſer, und geh dann, wenn es dir in der Welt zu enge werden will, geh dann mit deinem belaſte- K 3

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Zitationshilfe: Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/163>, abgerufen am 28.11.2024.