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Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.

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am Morgen seines Auferstehungstags.
heraus in diese neue Welt Gottes, und was weiß ich,
wen seh ich dann zuerst? Ich weiß, daß mein Er-
löser lebt, und er wird mich nun aus der Erden
auferwekken, und werde in
meinem Fleische
Gott sehen. Denselben werde ich mir sehen, und
meine Augen werden ihn schauen, und kein
fremdes Ich.
--

Schon war also der Stein vom Grabe Jesu wegge-
wälzt, wie die beiden Frauen, die Jesum salben wollten,
dahin kamen. Maria von Magdala ward das zuerst
gewahr, und sogleich lief sie fort zu Petrus, und Johan-
nes, um ihnen diese Bothschaft zu überbringen. "Eine
&q;sonderbare Nachricht," sagte vielleicht Petrus, wie
er sie mit dem Zusaz der Maria hörte, der Herr müsse
also aus dem Grabe hinweggenommen sein, aber sie könne
nur nicht beweisen, von wem und wohin? "Eine
"fröhliche Bothschaft," dachte vielleicht Johannes, wie-
wohl auch er an die Auferstehung Jesu izt noch nicht
dachte. Beide gingen nun eilig zum Grabe, und Johan-
nes kam früher, wie Petrus. Bemerkenswerth ist es,
daß er selbst diesen und auch den, ebenfalls gering schei-
nenden, Umstand so genau bemerkt, daß er nur in das
leere Grab des Herrn hineingesehn habe, Petrus aber
auch hineingestiegen sei, und alles sorgfaltig unter-
sucht
habe. Lerne aus diesem doppelten Umstand und
aus dem treulichen Bericht desselben der Menschenkenner!

Auch Johannes folgte nun dem Petrus ins Grab
Jesu, und fand alles so wie er, und glaubte doch nicht an
die Auferstehung Jesu, sondern an die erste Aussage
der Maria.
Diese war vor dem Grabe stehen geblieben,
und hatte die beiden Männer alles durchsuchen lassen.
Wie nun diese, unverrichteter Sache, zurükkamen, und
ihr keinen weitern Bescheid geben konnten, als den sie
ihnen zuerst ertheilt hatte: so stellte sie sich wieder ans
Grab hin, und weinte, indeß die beiden Jünger, sehr
hofnungslos, wie es scheint, fortgingen. Wie viel reine
Natur ist in dem allen, wie darstellend die Erzählung des
Johannes, wie einfach der Ausdruk, und wie mannig-
faltigen Eindruk also macht dies aufs Herz! Maria, die

viel-

am Morgen ſeines Auferſtehungstags.
heraus in dieſe neue Welt Gottes, und was weiß ich,
wen ſeh ich dann zuerſt? Ich weiß, daß mein Er-
löſer lebt, und er wird mich nun aus der Erden
auferwekken, und werde in
meinem Fleiſche
Gott ſehen. Denſelben werde ich mir ſehen, und
meine Augen werden ihn ſchauen, und kein
fremdes Ich.

Schon war alſo der Stein vom Grabe Jeſu wegge-
wälzt, wie die beiden Frauen, die Jeſum ſalben wollten,
dahin kamen. Maria von Magdala ward das zuerſt
gewahr, und ſogleich lief ſie fort zu Petrus, und Johan-
nes, um ihnen dieſe Bothſchaft zu überbringen. “Eine
&q;ſonderbare Nachricht,” ſagte vielleicht Petrus, wie
er ſie mit dem Zuſaz der Maria hörte, der Herr müſſe
alſo aus dem Grabe hinweggenommen ſein, aber ſie könne
nur nicht beweiſen, von wem und wohin? “Eine
“fröhliche Bothſchaft,” dachte vielleicht Johannes, wie-
wohl auch er an die Auferſtehung Jeſu izt noch nicht
dachte. Beide gingen nun eilig zum Grabe, und Johan-
nes kam früher, wie Petrus. Bemerkenswerth iſt es,
daß er ſelbſt dieſen und auch den, ebenfalls gering ſchei-
nenden, Umſtand ſo genau bemerkt, daß er nur in das
leere Grab des Herrn hineingeſehn habe, Petrus aber
auch hineingeſtiegen ſei, und alles ſorgfaltig unter-
ſucht
habe. Lerne aus dieſem doppelten Umſtand und
aus dem treulichen Bericht deſſelben der Menſchenkenner!

Auch Johannes folgte nun dem Petrus ins Grab
Jeſu, und fand alles ſo wie er, und glaubte doch nicht an
die Auferſtehung Jeſu, ſondern an die erſte Auſſage
der Maria.
Dieſe war vor dem Grabe ſtehen geblieben,
und hatte die beiden Männer alles durchſuchen laſſen.
Wie nun dieſe, unverrichteter Sache, zurükkamen, und
ihr keinen weitern Beſcheid geben konnten, als den ſie
ihnen zuerſt ertheilt hatte: ſo ſtellte ſie ſich wieder ans
Grab hin, und weinte, indeß die beiden Jünger, ſehr
hofnungslos, wie es ſcheint, fortgingen. Wie viel reine
Natur iſt in dem allen, wie darſtellend die Erzählung des
Johannes, wie einfach der Ausdruk, und wie mannig-
faltigen Eindruk alſo macht dies aufs Herz! Maria, die

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[141/0155] am Morgen ſeines Auferſtehungstags. heraus in dieſe neue Welt Gottes, und was weiß ich, wen ſeh ich dann zuerſt? Ich weiß, daß mein Er- löſer lebt, und er wird mich nun aus der Erden auferwekken, und werde in meinem Fleiſche Gott ſehen. Denſelben werde ich mir ſehen, und meine Augen werden ihn ſchauen, und kein fremdes Ich. — Schon war alſo der Stein vom Grabe Jeſu wegge- wälzt, wie die beiden Frauen, die Jeſum ſalben wollten, dahin kamen. Maria von Magdala ward das zuerſt gewahr, und ſogleich lief ſie fort zu Petrus, und Johan- nes, um ihnen dieſe Bothſchaft zu überbringen. “Eine &q;ſonderbare Nachricht,” ſagte vielleicht Petrus, wie er ſie mit dem Zuſaz der Maria hörte, der Herr müſſe alſo aus dem Grabe hinweggenommen ſein, aber ſie könne nur nicht beweiſen, von wem und wohin? “Eine “fröhliche Bothſchaft,” dachte vielleicht Johannes, wie- wohl auch er an die Auferſtehung Jeſu izt noch nicht dachte. Beide gingen nun eilig zum Grabe, und Johan- nes kam früher, wie Petrus. Bemerkenswerth iſt es, daß er ſelbſt dieſen und auch den, ebenfalls gering ſchei- nenden, Umſtand ſo genau bemerkt, daß er nur in das leere Grab des Herrn hineingeſehn habe, Petrus aber auch hineingeſtiegen ſei, und alles ſorgfaltig unter- ſucht habe. Lerne aus dieſem doppelten Umſtand und aus dem treulichen Bericht deſſelben der Menſchenkenner! Auch Johannes folgte nun dem Petrus ins Grab Jeſu, und fand alles ſo wie er, und glaubte doch nicht an die Auferſtehung Jeſu, ſondern an die erſte Auſſage der Maria. Dieſe war vor dem Grabe ſtehen geblieben, und hatte die beiden Männer alles durchſuchen laſſen. Wie nun dieſe, unverrichteter Sache, zurükkamen, und ihr keinen weitern Beſcheid geben konnten, als den ſie ihnen zuerſt ertheilt hatte: ſo ſtellte ſie ſich wieder ans Grab hin, und weinte, indeß die beiden Jünger, ſehr hofnungslos, wie es ſcheint, fortgingen. Wie viel reine Natur iſt in dem allen, wie darſtellend die Erzählung des Johannes, wie einfach der Ausdruk, und wie mannig- faltigen Eindruk alſo macht dies aufs Herz! Maria, die viel-

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Zitationshilfe: Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/155>, abgerufen am 29.11.2024.