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Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794.

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Unser Herr
sie noch vorbeigehn, weil es schon Sabbath war -- ihre
Anhänglichkeit an Mosis Gesez war wohl nach dem Tode
Jesu noch größer, (vergl. sonst Matth. 12, 8. Mark.
2, 27.) ---- auch schien ihnen wohl die Aufmerksamkeit
der Juden noch zu gefährlich. Schlaflos, wie sie gewis
diese zugebracht hatten, machten sich nun einige von ih-
nen, und zwar Frauen, die am lebhaftesten für Jesum
bei seiner Kreuzigung empfunden hatten, und deren Un-
ruh, bei so vieler Zärtlichkeit und Trauer, izt am größe-
sten war, in der andern Nacht auf den Weg zum Grabe
Jesu, doch wohl nicht ganz ohne männliche Begleitung,
aber auch wohl nicht in geschlossener Gesellschaft, son-
dern sehr einzeln und abgesondert, und so, daß der
eine bald schneller, bald langsamer ging, wie der andre,
und Maria die Magdalerin, die wohl izt am stärksten in
Bewegung, und überhaupt am lebhaftesten war, zuerst
in Josephs Garten ankam, noch im Finstern. Dies
macht nicht nur die Dunkelheit der Nacht, in welcher sie
ausgingen, sondern auch die Empfindung sehr begreiflich,
mit welcher sich izt ieder von ihnen auf den Weg machte,
auf den Weg zum Grabe ihres Jesus! Jeder hatte,
denk ich, dabei seine eigne Rührung, und so wie er
fortging, seine eigne Betrachtungen, und so ent-
fernte
sich einer leicht von dem andern.

Die Hauptschwierigkeit bei ihrer izzigen Unterneh-
mung fiel ihnen erst unterwegs ein, die nämlich, es sei
ia ein ungeheurer Stein vor das Grab gewälzt, und sie
seien nicht im Stande, ihn hinwegzubringen, zum we-
nigsten ohn ein Geräusch zu verursachen, was die römi-
sche Wache, von der sie allerdings wohl gehört hatten,
auch wenn diese sie sonst, nach Anzeige ihrer Absicht,
zumal unter dem Schuzze oder auf die Fürsprache des
Josephs, und auch wohl des Nikodemus, zu dem Grabe
ließ, nicht zugeben konnte. In dieser Bekümmernis
näherte sich nun einer dem andern, allein keiner wußte
Rath, und so ging ieder, izt noch wohl eiliger, und mit
einer gewissen bangen Neugierde, wieder vor sich hin,
dem Garten zu. Der Morgen dämmerte nun allmäh-
lich heran, bei dem Eintritt dieser Gesellschast von Freun-

den

Unſer Herr
ſie noch vorbeigehn, weil es ſchon Sabbath war — ihre
Anhänglichkeit an Moſis Geſez war wohl nach dem Tode
Jeſu noch größer, (vergl. ſonſt Matth. 12, 8. Mark.
2, 27.) —— auch ſchien ihnen wohl die Aufmerkſamkeit
der Juden noch zu gefährlich. Schlaflos, wie ſie gewis
dieſe zugebracht hatten, machten ſich nun einige von ih-
nen, und zwar Frauen, die am lebhafteſten für Jeſum
bei ſeiner Kreuzigung empfunden hatten, und deren Un-
ruh, bei ſo vieler Zärtlichkeit und Trauer, izt am größe-
ſten war, in der andern Nacht auf den Weg zum Grabe
Jeſu, doch wohl nicht ganz ohne männliche Begleitung,
aber auch wohl nicht in geſchloſſener Geſellſchaft, ſon-
dern ſehr einzeln und abgeſondert, und ſo, daß der
eine bald ſchneller, bald langſamer ging, wie der andre,
und Maria die Magdalerin, die wohl izt am ſtärkſten in
Bewegung, und überhaupt am lebhafteſten war, zuerſt
in Joſephs Garten ankam, noch im Finſtern. Dies
macht nicht nur die Dunkelheit der Nacht, in welcher ſie
ausgingen, ſondern auch die Empfindung ſehr begreiflich,
mit welcher ſich izt ieder von ihnen auf den Weg machte,
auf den Weg zum Grabe ihres Jeſus! Jeder hatte,
denk ich, dabei ſeine eigne Rührung, und ſo wie er
fortging, ſeine eigne Betrachtungen, und ſo ent-
fernte
ſich einer leicht von dem andern.

Die Hauptſchwierigkeit bei ihrer izzigen Unterneh-
mung fiel ihnen erſt unterwegs ein, die nämlich, es ſei
ia ein ungeheurer Stein vor das Grab gewälzt, und ſie
ſeien nicht im Stande, ihn hinwegzubringen, zum we-
nigſten ohn ein Geräuſch zu verurſachen, was die römi-
ſche Wache, von der ſie allerdings wohl gehört hatten,
auch wenn dieſe ſie ſonſt, nach Anzeige ihrer Abſicht,
zumal unter dem Schuzze oder auf die Fürſprache des
Joſephs, und auch wohl des Nikodemus, zu dem Grabe
ließ, nicht zugeben konnte. In dieſer Bekümmernis
näherte ſich nun einer dem andern, allein keiner wußte
Rath, und ſo ging ieder, izt noch wohl eiliger, und mit
einer gewiſſen bangen Neugierde, wieder vor ſich hin,
dem Garten zu. Der Morgen dämmerte nun allmäh-
lich heran, bei dem Eintritt dieſer Geſellſchaſt von Freun-

den
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[138/0152] Unſer Herr ſie noch vorbeigehn, weil es ſchon Sabbath war — ihre Anhänglichkeit an Moſis Geſez war wohl nach dem Tode Jeſu noch größer, (vergl. ſonſt Matth. 12, 8. Mark. 2, 27.) —— auch ſchien ihnen wohl die Aufmerkſamkeit der Juden noch zu gefährlich. Schlaflos, wie ſie gewis dieſe zugebracht hatten, machten ſich nun einige von ih- nen, und zwar Frauen, die am lebhafteſten für Jeſum bei ſeiner Kreuzigung empfunden hatten, und deren Un- ruh, bei ſo vieler Zärtlichkeit und Trauer, izt am größe- ſten war, in der andern Nacht auf den Weg zum Grabe Jeſu, doch wohl nicht ganz ohne männliche Begleitung, aber auch wohl nicht in geſchloſſener Geſellſchaft, ſon- dern ſehr einzeln und abgeſondert, und ſo, daß der eine bald ſchneller, bald langſamer ging, wie der andre, und Maria die Magdalerin, die wohl izt am ſtärkſten in Bewegung, und überhaupt am lebhafteſten war, zuerſt in Joſephs Garten ankam, noch im Finſtern. Dies macht nicht nur die Dunkelheit der Nacht, in welcher ſie ausgingen, ſondern auch die Empfindung ſehr begreiflich, mit welcher ſich izt ieder von ihnen auf den Weg machte, auf den Weg zum Grabe ihres Jeſus! Jeder hatte, denk ich, dabei ſeine eigne Rührung, und ſo wie er fortging, ſeine eigne Betrachtungen, und ſo ent- fernte ſich einer leicht von dem andern. Die Hauptſchwierigkeit bei ihrer izzigen Unterneh- mung fiel ihnen erſt unterwegs ein, die nämlich, es ſei ia ein ungeheurer Stein vor das Grab gewälzt, und ſie ſeien nicht im Stande, ihn hinwegzubringen, zum we- nigſten ohn ein Geräuſch zu verurſachen, was die römi- ſche Wache, von der ſie allerdings wohl gehört hatten, auch wenn dieſe ſie ſonſt, nach Anzeige ihrer Abſicht, zumal unter dem Schuzze oder auf die Fürſprache des Joſephs, und auch wohl des Nikodemus, zu dem Grabe ließ, nicht zugeben konnte. In dieſer Bekümmernis näherte ſich nun einer dem andern, allein keiner wußte Rath, und ſo ging ieder, izt noch wohl eiliger, und mit einer gewiſſen bangen Neugierde, wieder vor ſich hin, dem Garten zu. Der Morgen dämmerte nun allmäh- lich heran, bei dem Eintritt dieſer Geſellſchaſt von Freun- den

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Zitationshilfe: Thieß, Johann Otto: Unser Herr! in den lezten Tagen seines ersten und in den ersten Tagen seines andern Menschenlebens. Neue Aufl. Hannover, 1794, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thiess_andachtsbuch_1794/152>, abgerufen am 29.11.2024.