Thomé de Gamond, Louis-Joseph-Aimé: Leben Davids, ersten Malers Napoleons. Übers. v. E. S. Leipzig u. a., 1827.Vorbericht. nicht auf sich selbst anlegt, so lange nicht Jederdie Vorschrift Christi befolgt: "Was du nicht willst, daß dir geschieht, das thue auch Andern nicht," so lange fast Jeder nur darauf denkt, so viel als möglich auf Kosten Anderer zu genie- ßen und so wenig als möglich zu thun, so lange also beinahe Jeder ein Tyrann im Klei- nen ist, wo er es vermag: so lange ist es sündlich, an äußere Freiheit nur zu denken, so lange müssen die Völker unter Vormundschaft stehen, und zwar unter einer Vormundschaft, die der Zufall der Erstgeburt in einer gewissen Fa- milie herbeigeführt. Dies ist zur Ruhe der Welt nothwendig. Wo keine Vernunft herrscht, muß immer der Zufall entscheiden, wie man auch oft im gemeinen Leben bei einer zweifelhaften oder bedenklichen Handlung dem Loose die Aus- führung oder Unterlassung derselben überläßt. Wäre das persönliche Verdienst zum Herrschen berufen, so müßte das Volk reif genug seyn, sich über den Begriff des Verdienstes überhaupt sowohl, als daß es bei einem bestimmten Jndi- viduo mehr, als bei jedem andern, Statt finde, zu vereinigen, was bei einer großen Nation, die so viel Unmündige zählt, nicht ausführbar, Vorbericht. nicht auf ſich ſelbſt anlegt, ſo lange nicht Jederdie Vorſchrift Chriſti befolgt: „Was du nicht willſt, daß dir geſchieht, das thue auch Andern nicht,“ ſo lange faſt Jeder nur darauf denkt, ſo viel als moͤglich auf Koſten Anderer zu genie- ßen und ſo wenig als moͤglich zu thun, ſo lange alſo beinahe Jeder ein Tyrann im Klei- nen iſt, wo er es vermag: ſo lange iſt es ſuͤndlich, an aͤußere Freiheit nur zu denken, ſo lange muͤſſen die Voͤlker unter Vormundſchaft ſtehen, und zwar unter einer Vormundſchaft, die der Zufall der Erſtgeburt in einer gewiſſen Fa- milie herbeigefuͤhrt. Dies iſt zur Ruhe der Welt nothwendig. Wo keine Vernunft herrſcht, muß immer der Zufall entſcheiden, wie man auch oft im gemeinen Leben bei einer zweifelhaften oder bedenklichen Handlung dem Looſe die Aus- fuͤhrung oder Unterlaſſung derſelben uͤberlaͤßt. Waͤre das perſoͤnliche Verdienſt zum Herrſchen berufen, ſo muͤßte das Volk reif genug ſeyn, ſich uͤber den Begriff des Verdienſtes uͤberhaupt ſowohl, als daß es bei einem beſtimmten Jndi- viduo mehr, als bei jedem andern, Statt finde, zu vereinigen, was bei einer großen Nation, die ſo viel Unmuͤndige zaͤhlt, nicht ausfuͤhrbar, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0013" n="VII"/><fw place="top" type="header">Vorbericht.</fw><lb/> nicht auf ſich ſelbſt anlegt, ſo lange nicht Jeder<lb/> die Vorſchrift Chriſti befolgt: „Was du nicht<lb/> willſt, daß dir geſchieht, das thue auch Andern<lb/> nicht,“ ſo lange faſt Jeder nur darauf denkt, ſo<lb/> viel als moͤglich auf Koſten Anderer zu <hi rendition="#g">genie-<lb/> ßen</hi> und ſo wenig als moͤglich zu <hi rendition="#g">thun,</hi> ſo<lb/> lange alſo beinahe Jeder <hi rendition="#g">ein Tyrann im Klei-<lb/> nen</hi> iſt, <hi rendition="#g">wo er es vermag:</hi> ſo lange iſt es<lb/> ſuͤndlich, an aͤußere Freiheit nur zu denken, ſo<lb/> lange <hi rendition="#g">muͤſſen</hi> die Voͤlker unter Vormundſchaft<lb/> ſtehen, und zwar unter einer Vormundſchaft, die<lb/> der Zufall der Erſtgeburt in einer gewiſſen Fa-<lb/> milie herbeigefuͤhrt. Dies iſt zur Ruhe der<lb/> Welt nothwendig. Wo keine Vernunft herrſcht,<lb/> muß immer der Zufall entſcheiden, wie man auch<lb/> oft im gemeinen Leben bei einer zweifelhaften<lb/> oder bedenklichen Handlung dem Looſe die Aus-<lb/> fuͤhrung oder Unterlaſſung derſelben uͤberlaͤßt.<lb/> Waͤre das perſoͤnliche Verdienſt zum Herrſchen<lb/> berufen, ſo muͤßte das Volk reif genug ſeyn,<lb/> ſich uͤber den Begriff des Verdienſtes uͤberhaupt<lb/> ſowohl, als daß es bei einem beſtimmten Jndi-<lb/> viduo mehr, als bei jedem andern, Statt finde,<lb/> zu vereinigen, was bei einer großen Nation,<lb/> die ſo viel Unmuͤndige zaͤhlt, nicht ausfuͤhrbar,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [VII/0013]
Vorbericht.
nicht auf ſich ſelbſt anlegt, ſo lange nicht Jeder
die Vorſchrift Chriſti befolgt: „Was du nicht
willſt, daß dir geſchieht, das thue auch Andern
nicht,“ ſo lange faſt Jeder nur darauf denkt, ſo
viel als moͤglich auf Koſten Anderer zu genie-
ßen und ſo wenig als moͤglich zu thun, ſo
lange alſo beinahe Jeder ein Tyrann im Klei-
nen iſt, wo er es vermag: ſo lange iſt es
ſuͤndlich, an aͤußere Freiheit nur zu denken, ſo
lange muͤſſen die Voͤlker unter Vormundſchaft
ſtehen, und zwar unter einer Vormundſchaft, die
der Zufall der Erſtgeburt in einer gewiſſen Fa-
milie herbeigefuͤhrt. Dies iſt zur Ruhe der
Welt nothwendig. Wo keine Vernunft herrſcht,
muß immer der Zufall entſcheiden, wie man auch
oft im gemeinen Leben bei einer zweifelhaften
oder bedenklichen Handlung dem Looſe die Aus-
fuͤhrung oder Unterlaſſung derſelben uͤberlaͤßt.
Waͤre das perſoͤnliche Verdienſt zum Herrſchen
berufen, ſo muͤßte das Volk reif genug ſeyn,
ſich uͤber den Begriff des Verdienſtes uͤberhaupt
ſowohl, als daß es bei einem beſtimmten Jndi-
viduo mehr, als bei jedem andern, Statt finde,
zu vereinigen, was bei einer großen Nation,
die ſo viel Unmuͤndige zaͤhlt, nicht ausfuͤhrbar,
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