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Tewes, Hermann: Menschenrassen und Völkertypen. Bd. 2. 2. Aufl. Leipzig, 1913.

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Er preist sein Schicksal, segnet seinen Schöpfer:
"Die Sonne ist der Herd, der mich erwärmt,
Das Licht des Mondes nächtens meine Fackel.
Der Erde Gräser sind mein ganzer Reichtum;
Die Milch von dem Kamel ist meine Nahrung
Und Kleidung mir die Wolle meiner Schafe.
Ich schlafe, wo die Nacht mich überrascht;
Zusammenstürzen kann mir nicht das Haus,
Geborgen bin ich vor des Sultans Laune.
Der Kinder Launen haben die Sultane
Und Löwenklauen doch; mißtrauet ihnen!
Ich bin der Vogel, dessen Spur kaum sichtbar;
Er sorgt auf seinem Flug für Vorrat nicht,
Er säet nicht, drum erntet er auch nicht,
Gott spendet, was zum Leben er gebraucht."

Die Sitten der Beduinen gleichen im allgemeinen denen des
muhamedanischen Orients, nur daß sie noch unverdorben und reiner
sind. Der außerhalb des Lagers so raubsüchtige arabische Nomade
ist innerhalb desselben edel und menschenfreundlich, im gesell-
schaftlichen Umgange offen, herzlich und zuvorkommend. Zank-
sucht ist ihm fremd, und wenn er auch feurig und leicht zu er-
zürnen ist, so kann man ihn doch ebenso leicht wieder besänftigen.
Ehrerbietung gegen Ältere und Vornehme, Artigkeit und Zuvor-
kommenheit gegen Fremde sind unter den Arabern verbreitet, aber
die Gastfreundschaft ist ihre größte und allgemeinste Tugend. Von
dem Beduinen sagt man, daß er sich mit seinem Mahl an den Ein-
gang seines Zeltes setzt und jeden Vorübergehenden dazu einladet.
Einige Stämme üben sogar die Sitte, zur Zeit des Essens einen der
Ihrigen auf den nächsten Hügel zu schicken, um mit lauter Stimme
jedermann zu Gaste zu bitten. Die biblische Sitte, dem Gaste zu-
nächst Wasser zum Waschen der Füße zu bringen, wird auch von
den Beduinen geübt, und sie muß da, wo man barfuß oder nur mit
Sandalen bekleidet zu reisen gewohnt ist, als besonders wohltätig
bezeichnet werden. Der Beduine ist treu und hält selbst dem
Feinde das gegebene Wort; und wenn schon keine Karawane
vor ihm sicher ist, so läßt er doch dem kein Haar krümmen,
der sich vor der Wanderung seinen Schutz erkauft hat. Mannes-
ehre steht ihm höher als das Leben, und die Schande wäscht
er nur mit Blut ab. Eine Beleidigung nicht zu rächen, gilt für
entehrend, und die Verpflichtung zur Blutrache geht bis ins fünfte
Geschlecht.

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Er preist sein Schicksal, segnet seinen Schöpfer:
„Die Sonne ist der Herd, der mich erwärmt,
Das Licht des Mondes nächtens meine Fackel.
Der Erde Gräser sind mein ganzer Reichtum;
Die Milch von dem Kamel ist meine Nahrung
Und Kleidung mir die Wolle meiner Schafe.
Ich schlafe, wo die Nacht mich überrascht;
Zusammenstürzen kann mir nicht das Haus,
Geborgen bin ich vor des Sultans Laune.
Der Kinder Launen haben die Sultane
Und Löwenklauen doch; mißtrauet ihnen!
Ich bin der Vogel, dessen Spur kaum sichtbar;
Er sorgt auf seinem Flug für Vorrat nicht,
Er säet nicht, drum erntet er auch nicht,
Gott spendet, was zum Leben er gebraucht.“

Die Sitten der Beduinen gleichen im allgemeinen denen des
muhamedanischen Orients, nur daß sie noch unverdorben und reiner
sind. Der außerhalb des Lagers so raubsüchtige arabische Nomade
ist innerhalb desselben edel und menschenfreundlich, im gesell-
schaftlichen Umgange offen, herzlich und zuvorkommend. Zank-
sucht ist ihm fremd, und wenn er auch feurig und leicht zu er-
zürnen ist, so kann man ihn doch ebenso leicht wieder besänftigen.
Ehrerbietung gegen Ältere und Vornehme, Artigkeit und Zuvor-
kommenheit gegen Fremde sind unter den Arabern verbreitet, aber
die Gastfreundschaft ist ihre größte und allgemeinste Tugend. Von
dem Beduinen sagt man, daß er sich mit seinem Mahl an den Ein-
gang seines Zeltes setzt und jeden Vorübergehenden dazu einladet.
Einige Stämme üben sogar die Sitte, zur Zeit des Essens einen der
Ihrigen auf den nächsten Hügel zu schicken, um mit lauter Stimme
jedermann zu Gaste zu bitten. Die biblische Sitte, dem Gaste zu-
nächst Wasser zum Waschen der Füße zu bringen, wird auch von
den Beduinen geübt, und sie muß da, wo man barfuß oder nur mit
Sandalen bekleidet zu reisen gewohnt ist, als besonders wohltätig
bezeichnet werden. Der Beduine ist treu und hält selbst dem
Feinde das gegebene Wort; und wenn schon keine Karawane
vor ihm sicher ist, so läßt er doch dem kein Haar krümmen,
der sich vor der Wanderung seinen Schutz erkauft hat. Mannes-
ehre steht ihm höher als das Leben, und die Schande wäscht
er nur mit Blut ab. Eine Beleidigung nicht zu rächen, gilt für
entehrend, und die Verpflichtung zur Blutrache geht bis ins fünfte
Geschlecht.

3*
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[— 35 —/0039] Er preist sein Schicksal, segnet seinen Schöpfer: „Die Sonne ist der Herd, der mich erwärmt, Das Licht des Mondes nächtens meine Fackel. Der Erde Gräser sind mein ganzer Reichtum; Die Milch von dem Kamel ist meine Nahrung Und Kleidung mir die Wolle meiner Schafe. Ich schlafe, wo die Nacht mich überrascht; Zusammenstürzen kann mir nicht das Haus, Geborgen bin ich vor des Sultans Laune. Der Kinder Launen haben die Sultane Und Löwenklauen doch; mißtrauet ihnen! Ich bin der Vogel, dessen Spur kaum sichtbar; Er sorgt auf seinem Flug für Vorrat nicht, Er säet nicht, drum erntet er auch nicht, Gott spendet, was zum Leben er gebraucht.“ Die Sitten der Beduinen gleichen im allgemeinen denen des muhamedanischen Orients, nur daß sie noch unverdorben und reiner sind. Der außerhalb des Lagers so raubsüchtige arabische Nomade ist innerhalb desselben edel und menschenfreundlich, im gesell- schaftlichen Umgange offen, herzlich und zuvorkommend. Zank- sucht ist ihm fremd, und wenn er auch feurig und leicht zu er- zürnen ist, so kann man ihn doch ebenso leicht wieder besänftigen. Ehrerbietung gegen Ältere und Vornehme, Artigkeit und Zuvor- kommenheit gegen Fremde sind unter den Arabern verbreitet, aber die Gastfreundschaft ist ihre größte und allgemeinste Tugend. Von dem Beduinen sagt man, daß er sich mit seinem Mahl an den Ein- gang seines Zeltes setzt und jeden Vorübergehenden dazu einladet. Einige Stämme üben sogar die Sitte, zur Zeit des Essens einen der Ihrigen auf den nächsten Hügel zu schicken, um mit lauter Stimme jedermann zu Gaste zu bitten. Die biblische Sitte, dem Gaste zu- nächst Wasser zum Waschen der Füße zu bringen, wird auch von den Beduinen geübt, und sie muß da, wo man barfuß oder nur mit Sandalen bekleidet zu reisen gewohnt ist, als besonders wohltätig bezeichnet werden. Der Beduine ist treu und hält selbst dem Feinde das gegebene Wort; und wenn schon keine Karawane vor ihm sicher ist, so läßt er doch dem kein Haar krümmen, der sich vor der Wanderung seinen Schutz erkauft hat. Mannes- ehre steht ihm höher als das Leben, und die Schande wäscht er nur mit Blut ab. Eine Beleidigung nicht zu rächen, gilt für entehrend, und die Verpflichtung zur Blutrache geht bis ins fünfte Geschlecht. 3*

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Zitationshilfe: Tewes, Hermann: Menschenrassen und Völkertypen. Bd. 2. 2. Aufl. Leipzig, 1913, S. — 35 —. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tewes_menschenrassen_1913/39>, abgerufen am 16.04.2024.