"Je weniger also von dem ganzen innern zurei- "chenden Grunde der Aktion in einer Substanz von "äußern Ursachen abhängt, desto größer ist ihre Ei- "genmacht."
"Je mehr sie aber, als inneres Princip ihrer "Handlung betrachtet, selbst eine Wirkung von einer "äußern Ursache ist, desto weniger besitzet sie selbstthä- "tige Eigenmacht."
Jch habe schon bey mehrern Gelegenheiten die selbstthätigen Veränderungen der Seele von ihren leidentlichen Modifikationen unterschieden. *) Aber dorten konnte es genügen, wenn man nur darauf Rück- sicht nahm, in wie weit eine Modifikation oder Wir- kung, welche erfolgte, in der Seele selbst, und in ihrer eigenen Kraft, oder wie ferne sie in einer andern Kraft außer ihr ihre Quelle hatte. Es war bey einer Veränderung ihres Zustandes nur davon die Frage, wie weit solche eine wahre Aktion oder eine Passion sey? wie viel sie nämlich selbst von der ganzen thätigen und verursachenden Kraft in sich enthalte, oder wie viel fremde äußere Wesen dazu beywirken? Und weiter in die Natur der Eigenmacht hineinzugehen war oben un- nöthig, weil es nur darauf ankam, wie weit das thätige Princip ihr eigenes inneres Princip, oder eine fremde Kraft sey, die sie modificire?
Aber hier, wo die Natur der Selbstthätigkeit näher entwickelt werden muß, wenn anders unsere Jdee von der Freyheit mehr inneres Licht erhalten soll, muß man sichs nicht verdrießen lassen, auch diese Begriffe etwas microskopischer zu betrachten. Jst das thätige Princip in der Seele selbst, so ist noch eine wesentliche Untersuchung darüber zurück: wie weit solches einer Reizung von außen nöthig habe? wie weit es eine frem-
de
*) Erster Versuch XVI. 4. 5. 6. Zweyter Versuch II. 4.
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und Freyheit.
„Je weniger alſo von dem ganzen innern zurei- „chenden Grunde der Aktion in einer Subſtanz von „aͤußern Urſachen abhaͤngt, deſto groͤßer iſt ihre Ei- „genmacht.‟
„Je mehr ſie aber, als inneres Princip ihrer „Handlung betrachtet, ſelbſt eine Wirkung von einer „aͤußern Urſache iſt, deſto weniger beſitzet ſie ſelbſtthaͤ- „tige Eigenmacht.‟
Jch habe ſchon bey mehrern Gelegenheiten die ſelbſtthaͤtigen Veraͤnderungen der Seele von ihren leidentlichen Modifikationen unterſchieden. *) Aber dorten konnte es genuͤgen, wenn man nur darauf Ruͤck- ſicht nahm, in wie weit eine Modifikation oder Wir- kung, welche erfolgte, in der Seele ſelbſt, und in ihrer eigenen Kraft, oder wie ferne ſie in einer andern Kraft außer ihr ihre Quelle hatte. Es war bey einer Veraͤnderung ihres Zuſtandes nur davon die Frage, wie weit ſolche eine wahre Aktion oder eine Paſſion ſey? wie viel ſie naͤmlich ſelbſt von der ganzen thaͤtigen und verurſachenden Kraft in ſich enthalte, oder wie viel fremde aͤußere Weſen dazu beywirken? Und weiter in die Natur der Eigenmacht hineinzugehen war oben un- noͤthig, weil es nur darauf ankam, wie weit das thaͤtige Princip ihr eigenes inneres Princip, oder eine fremde Kraft ſey, die ſie modificire?
Aber hier, wo die Natur der Selbſtthaͤtigkeit naͤher entwickelt werden muß, wenn anders unſere Jdee von der Freyheit mehr inneres Licht erhalten ſoll, muß man ſichs nicht verdrießen laſſen, auch dieſe Begriffe etwas microſkopiſcher zu betrachten. Jſt das thaͤtige Princip in der Seele ſelbſt, ſo iſt noch eine weſentliche Unterſuchung daruͤber zuruͤck: wie weit ſolches einer Reizung von außen noͤthig habe? wie weit es eine frem-
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*) Erſter Verſuch XVI. 4. 5. 6. Zweyter Verſuch II. 4.
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und Freyheit.
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„chenden Grunde der Aktion in einer Subſtanz von
„aͤußern Urſachen abhaͤngt, deſto groͤßer iſt ihre Ei-
„genmacht.‟
„Je mehr ſie aber, als inneres Princip ihrer
„Handlung betrachtet, ſelbſt eine Wirkung von einer
„aͤußern Urſache iſt, deſto weniger beſitzet ſie ſelbſtthaͤ-
„tige Eigenmacht.‟
Jch habe ſchon bey mehrern Gelegenheiten die
ſelbſtthaͤtigen Veraͤnderungen der Seele von ihren
leidentlichen Modifikationen unterſchieden. *) Aber
dorten konnte es genuͤgen, wenn man nur darauf Ruͤck-
ſicht nahm, in wie weit eine Modifikation oder Wir-
kung, welche erfolgte, in der Seele ſelbſt, und in
ihrer eigenen Kraft, oder wie ferne ſie in einer andern
Kraft außer ihr ihre Quelle hatte. Es war bey einer
Veraͤnderung ihres Zuſtandes nur davon die Frage, wie
weit ſolche eine wahre Aktion oder eine Paſſion ſey?
wie viel ſie naͤmlich ſelbſt von der ganzen thaͤtigen und
verurſachenden Kraft in ſich enthalte, oder wie viel
fremde aͤußere Weſen dazu beywirken? Und weiter in
die Natur der Eigenmacht hineinzugehen war oben un-
noͤthig, weil es nur darauf ankam, wie weit das thaͤtige
Princip ihr eigenes inneres Princip, oder eine fremde
Kraft ſey, die ſie modificire?
Aber hier, wo die Natur der Selbſtthaͤtigkeit
naͤher entwickelt werden muß, wenn anders unſere Jdee
von der Freyheit mehr inneres Licht erhalten ſoll, muß
man ſichs nicht verdrießen laſſen, auch dieſe Begriffe
etwas microſkopiſcher zu betrachten. Jſt das thaͤtige
Princip in der Seele ſelbſt, ſo iſt noch eine weſentliche
Unterſuchung daruͤber zuruͤck: wie weit ſolches einer
Reizung von außen noͤthig habe? wie weit es eine frem-
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*) Erſter Verſuch XVI. 4. 5. 6. Zweyter Verſuch II. 4.
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/87>, abgerufen am 25.11.2024.
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