wesen wären. Es würde wenigstens ein verfeinerter Stoi- cismus, oder Epikuräismus heißen müssen, wenn sie in dieser Bedeutung zum Grunde geleget würden. Der Mensch ist Mensch, nicht bloß Seele, noch bloß Kör- per. Woraus folget, daß, so wie man mit den Voll- kommenheiten der Seele die Vollkommenheiten der Organisation zusammennehmen muß, um die ganze Vollkommenheit des Menschen zu haben, so muß man auch sowohl die Gefühle aus dem Wohlstande des Kör- pers anführen, als die aus dem Wohlstande der Seele, wenn man nicht Eine, sondern alle ersten Quellen der angenehmern Empfindnisse haben will.
Jndessen hat die Auflösung einiger Arten von sinn- lichen Vergnügungen so viel außer Zweifel gesetzt, daß mit den angenehmen Gefühlen aus der Organisation eine gewisse Thätigkeit, oder wenn sie nicht Thätigkeit heis- sen soll, eine volle, übereinstimmende Unterhaltung der Seele, von der Seite ihres Gefühls, verbunden sey. Bey den Ergötzungen des Gehörs und des Gesichts ist in den Gegenständen Mannichfaltigkeit und Einheit, und in dem Sinne der Seele mannichfaltige und leichte Beschäff- tigung. Nach der Analogie kann man annehmen, daß auch in den übrigen angenehmen Gefühlen aus dem Kör- per eine entsprechende leichte und mannichfaltige Unter- haltung der Seele vorhanden sey. Wir wollen immer eingestehen, daß gewisse Modifikationen des Körpers unmittelbar angenehm sind; nämlich daß das Gefühl davon für sich allein ein angenehmes Gefühl sey, ohne daß andere Gefühle von Seelenvollkommenheiten hinzukommen, und es dazu machen müßten. Aber deßwegen fällt die Wahrscheinlichkeit nicht weg, daß solche Gefühle in der Seele selbst eine Mannichfaltig- keit und Einheit enthalten, welche für ihre fühlende Kraft eben das ist, was die gefühlten Bewegungen in dem Kör- per in Hinsicht auf die Organisation sind, nämlich Fol-
gen
XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
weſen waͤren. Es wuͤrde wenigſtens ein verfeinerter Stoi- cismus, oder Epikuraͤismus heißen muͤſſen, wenn ſie in dieſer Bedeutung zum Grunde geleget wuͤrden. Der Menſch iſt Menſch, nicht bloß Seele, noch bloß Koͤr- per. Woraus folget, daß, ſo wie man mit den Voll- kommenheiten der Seele die Vollkommenheiten der Organiſation zuſammennehmen muß, um die ganze Vollkommenheit des Menſchen zu haben, ſo muß man auch ſowohl die Gefuͤhle aus dem Wohlſtande des Koͤr- pers anfuͤhren, als die aus dem Wohlſtande der Seele, wenn man nicht Eine, ſondern alle erſten Quellen der angenehmern Empfindniſſe haben will.
Jndeſſen hat die Aufloͤſung einiger Arten von ſinn- lichen Vergnuͤgungen ſo viel außer Zweifel geſetzt, daß mit den angenehmen Gefuͤhlen aus der Organiſation eine gewiſſe Thaͤtigkeit, oder wenn ſie nicht Thaͤtigkeit heiſ- ſen ſoll, eine volle, uͤbereinſtimmende Unterhaltung der Seele, von der Seite ihres Gefuͤhls, verbunden ſey. Bey den Ergoͤtzungen des Gehoͤrs und des Geſichts iſt in den Gegenſtaͤnden Mannichfaltigkeit und Einheit, und in dem Sinne der Seele mannichfaltige und leichte Beſchaͤff- tigung. Nach der Analogie kann man annehmen, daß auch in den uͤbrigen angenehmen Gefuͤhlen aus dem Koͤr- per eine entſprechende leichte und mannichfaltige Unter- haltung der Seele vorhanden ſey. Wir wollen immer eingeſtehen, daß gewiſſe Modifikationen des Koͤrpers unmittelbar angenehm ſind; naͤmlich daß das Gefuͤhl davon fuͤr ſich allein ein angenehmes Gefuͤhl ſey, ohne daß andere Gefuͤhle von Seelenvollkommenheiten hinzukommen, und es dazu machen muͤßten. Aber deßwegen faͤllt die Wahrſcheinlichkeit nicht weg, daß ſolche Gefuͤhle in der Seele ſelbſt eine Mannichfaltig- keit und Einheit enthalten, welche fuͤr ihre fuͤhlende Kraft eben das iſt, was die gefuͤhlten Bewegungen in dem Koͤr- per in Hinſicht auf die Organiſation ſind, naͤmlich Fol-
gen
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XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
weſen waͤren. Es wuͤrde wenigſtens ein verfeinerter Stoi-
cismus, oder Epikuraͤismus heißen muͤſſen, wenn ſie
in dieſer Bedeutung zum Grunde geleget wuͤrden. Der
Menſch iſt Menſch, nicht bloß Seele, noch bloß Koͤr-
per. Woraus folget, daß, ſo wie man mit den Voll-
kommenheiten der Seele die Vollkommenheiten der
Organiſation zuſammennehmen muß, um die ganze
Vollkommenheit des Menſchen zu haben, ſo muß man
auch ſowohl die Gefuͤhle aus dem Wohlſtande des Koͤr-
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wenn man nicht Eine, ſondern alle erſten Quellen der
angenehmern Empfindniſſe haben will.
Jndeſſen hat die Aufloͤſung einiger Arten von ſinn-
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mit den angenehmen Gefuͤhlen aus der Organiſation eine
gewiſſe Thaͤtigkeit, oder wenn ſie nicht Thaͤtigkeit heiſ-
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Bey den Ergoͤtzungen des Gehoͤrs und des Geſichts iſt in
den Gegenſtaͤnden Mannichfaltigkeit und Einheit, und in
dem Sinne der Seele mannichfaltige und leichte Beſchaͤff-
tigung. Nach der Analogie kann man annehmen, daß
auch in den uͤbrigen angenehmen Gefuͤhlen aus dem Koͤr-
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haltung der Seele vorhanden ſey. Wir wollen immer
eingeſtehen, daß gewiſſe Modifikationen des Koͤrpers
unmittelbar angenehm ſind; naͤmlich daß das Gefuͤhl
davon fuͤr ſich allein ein angenehmes Gefuͤhl ſey, ohne
daß andere Gefuͤhle von Seelenvollkommenheiten
hinzukommen, und es dazu machen muͤßten. Aber
deßwegen faͤllt die Wahrſcheinlichkeit nicht weg, daß
ſolche Gefuͤhle in der Seele ſelbſt eine Mannichfaltig-
keit und Einheit enthalten, welche fuͤr ihre fuͤhlende Kraft
eben das iſt, was die gefuͤhlten Bewegungen in dem Koͤr-
per in Hinſicht auf die Organiſation ſind, naͤmlich Fol-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 808. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/838>, abgerufen am 27.11.2024.
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