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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XIV. Vers. Ueber die Perfektibilität
selbst lieb gewonnen hat. *) Und dann zweytens, wenn
es auch immer so wäre, daß Thätigkeit unmittelbar eine
Folge einer unangenehmen Empfindung sey: so ist nun
einmal die Natur eines Menschen so, daß ohne thätigen
Gebrauch seiner Kräfte der allergrößte Theil seiner
angenehmen Gefühle, nicht nur derer, die unmittelbar
auf Thätigkeit folgen, sondern auch der übrigen, wegfal-
len müßte. Die Thätigkeit würde also angenehm seyn,
wie alles ist, was Schmerzen wegnimmt; und dieß im-
mer in der Maße, wie die Kraft selbst durch ihre An-
wendung entweder gestärket oder erhalten wird.

7.

Die besten Philosophen haben gesagt, es sey das
Gefühl der Vollkommenheit, oder das Gefühl
ungehinderter Thätigkeit,
die Quelle alles Vergnü-
gens. Hiebey ist aber jede Unterhaltung der Seele,
auch wenn sie sinnlich angenehme Empfindungen hat,
als eine thätige Beschäfftigung von ihr im Gefühl an-
gesehen, oder man hat auch jede leidentliche Modifi-
kation nach den Begriffen, worauf die Analysis der Ver-
mögen führet, in eine wirksame Anwendung der
Grundkraft aufgelöset, so daß man den gemeinen Un-
terschied zwischen thätigen und leidentlichen Verän-
derungen beyseite gesetzet. Jch würde diese letztern lieber
beybehalten. Denn wenn auch das Gefühl von jeder
Veränderung keine wahre Aktion ist: so sind doch die
übrigen unterscheidungsweise sogenannten Aktionen des
Vorstellens, des Denkens, des Wollens und des Bewe-
gens noch weiter hervorgehende Aktionen, und also Thä-
tigkeiten in einem vollern Sinn, als es das bloße Füh-
len und Empfinden ist. **) Aber gesetzt auch, daß dieser
Unterschied aufgegeben werde: so stößt man doch bey den

mensch-
*) Zehnter Versuch. V. 7.
**) Zweeter Versuch II. 4. VIII. Eilfter Versuch III.
Zwölfter Versuch X. 4.

XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
ſelbſt lieb gewonnen hat. *) Und dann zweytens, wenn
es auch immer ſo waͤre, daß Thaͤtigkeit unmittelbar eine
Folge einer unangenehmen Empfindung ſey: ſo iſt nun
einmal die Natur eines Menſchen ſo, daß ohne thaͤtigen
Gebrauch ſeiner Kraͤfte der allergroͤßte Theil ſeiner
angenehmen Gefuͤhle, nicht nur derer, die unmittelbar
auf Thaͤtigkeit folgen, ſondern auch der uͤbrigen, wegfal-
len muͤßte. Die Thaͤtigkeit wuͤrde alſo angenehm ſeyn,
wie alles iſt, was Schmerzen wegnimmt; und dieß im-
mer in der Maße, wie die Kraft ſelbſt durch ihre An-
wendung entweder geſtaͤrket oder erhalten wird.

7.

Die beſten Philoſophen haben geſagt, es ſey das
Gefuͤhl der Vollkommenheit, oder das Gefuͤhl
ungehinderter Thaͤtigkeit,
die Quelle alles Vergnuͤ-
gens. Hiebey iſt aber jede Unterhaltung der Seele,
auch wenn ſie ſinnlich angenehme Empfindungen hat,
als eine thaͤtige Beſchaͤfftigung von ihr im Gefuͤhl an-
geſehen, oder man hat auch jede leidentliche Modifi-
kation nach den Begriffen, worauf die Analyſis der Ver-
moͤgen fuͤhret, in eine wirkſame Anwendung der
Grundkraft aufgeloͤſet, ſo daß man den gemeinen Un-
terſchied zwiſchen thaͤtigen und leidentlichen Veraͤn-
derungen beyſeite geſetzet. Jch wuͤrde dieſe letztern lieber
beybehalten. Denn wenn auch das Gefuͤhl von jeder
Veraͤnderung keine wahre Aktion iſt: ſo ſind doch die
uͤbrigen unterſcheidungsweiſe ſogenannten Aktionen des
Vorſtellens, des Denkens, des Wollens und des Bewe-
gens noch weiter hervorgehende Aktionen, und alſo Thaͤ-
tigkeiten in einem vollern Sinn, als es das bloße Fuͤh-
len und Empfinden iſt. **) Aber geſetzt auch, daß dieſer
Unterſchied aufgegeben werde: ſo ſtoͤßt man doch bey den

menſch-
*) Zehnter Verſuch. V. 7.
**) Zweeter Verſuch II. 4. VIII. Eilfter Verſuch III.
Zwoͤlfter Verſuch X. 4.
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[804/0834] XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt ſelbſt lieb gewonnen hat. *) Und dann zweytens, wenn es auch immer ſo waͤre, daß Thaͤtigkeit unmittelbar eine Folge einer unangenehmen Empfindung ſey: ſo iſt nun einmal die Natur eines Menſchen ſo, daß ohne thaͤtigen Gebrauch ſeiner Kraͤfte der allergroͤßte Theil ſeiner angenehmen Gefuͤhle, nicht nur derer, die unmittelbar auf Thaͤtigkeit folgen, ſondern auch der uͤbrigen, wegfal- len muͤßte. Die Thaͤtigkeit wuͤrde alſo angenehm ſeyn, wie alles iſt, was Schmerzen wegnimmt; und dieß im- mer in der Maße, wie die Kraft ſelbſt durch ihre An- wendung entweder geſtaͤrket oder erhalten wird. 7. Die beſten Philoſophen haben geſagt, es ſey das Gefuͤhl der Vollkommenheit, oder das Gefuͤhl ungehinderter Thaͤtigkeit, die Quelle alles Vergnuͤ- gens. Hiebey iſt aber jede Unterhaltung der Seele, auch wenn ſie ſinnlich angenehme Empfindungen hat, als eine thaͤtige Beſchaͤfftigung von ihr im Gefuͤhl an- geſehen, oder man hat auch jede leidentliche Modifi- kation nach den Begriffen, worauf die Analyſis der Ver- moͤgen fuͤhret, in eine wirkſame Anwendung der Grundkraft aufgeloͤſet, ſo daß man den gemeinen Un- terſchied zwiſchen thaͤtigen und leidentlichen Veraͤn- derungen beyſeite geſetzet. Jch wuͤrde dieſe letztern lieber beybehalten. Denn wenn auch das Gefuͤhl von jeder Veraͤnderung keine wahre Aktion iſt: ſo ſind doch die uͤbrigen unterſcheidungsweiſe ſogenannten Aktionen des Vorſtellens, des Denkens, des Wollens und des Bewe- gens noch weiter hervorgehende Aktionen, und alſo Thaͤ- tigkeiten in einem vollern Sinn, als es das bloße Fuͤh- len und Empfinden iſt. **) Aber geſetzt auch, daß dieſer Unterſchied aufgegeben werde: ſo ſtoͤßt man doch bey den menſch- *) Zehnter Verſuch. V. 7. **) Zweeter Verſuch II. 4. VIII. Eilfter Verſuch III. Zwoͤlfter Verſuch X. 4.

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 804. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/834>, abgerufen am 21.11.2024.