Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.und Entwickelung des Menschen. Aber desto größer ist oft die Stärke und Heftigkeit, mitder sie sich äußern. Der Wilde riechet oft feiner als ein Spürhund, siehet mit seinem Auge wie ein Luchs, und kommt an Geschicklichkeit zu schwimmen den Fi- schen gleich. Die Seele, die sich nur an Einer oder an wenigen Seiten entwickelt, kann ihre ganze Macht in dieser Richtung anwenden. Vielleicht giebt es keinen äußern Sinn, woran der Mensch nicht die Thiere, die sonst am besten damit versehen sind, übertreffen könnte, wenn seine Seele mit nichts anders als mit den Ein- drücken auf einzelne Sinnglieder beschäfftiget würde. Es ist die Größe des Umfangs und die Mannichfaltig- keit der menschlichen Wirksamkeit, was die thätige Kraft verbreitet und ihre intensive Stärke bey einzelnen Aeußerungen schwächet. Die Mittel, die den Men- schen von der groben Sinnlichkeit zu der feinern erhe- ben, und ihn aus einem bloß empfindenden zu einem siunlich imaginirenden Wesen machen, bestehen am Ende darinn, daß die zu heftigen und, so zu sagen, zu sehr verdichteten Gefühle und Triebe an Stärke ge- schwächt, und an Ausdehnung vergrößert und verman- nichfaltiget werden. Das letztere geschieht, indem sie aufgelöset, entwickelt und auf mancherley Art von Ge- genständen und Handlungen geleitet werden. Aber es ist nothwendig, daß eine Art von gewaltsamer Einschrän- kung vorhergehe und die Wildheit bändige, oder ihr einen Zaum anwerfe. Die neuern Erfahrungen des edelmüthigen Cooks, auf seiner Reise nach der Süd- see, haben es bestätiget, was die Alten schon gelehret hatten, und nur durch gewisse Scheingründe zweifelhaft gemacht worden war, daß es nothwendig sey, zuerst den Wilden Furcht beyzubringen, ehe sich etwas mit ihnen anfangen lasse. Die Furcht kultivirt sie nicht, sie ist auch nicht in einem höhern Grade nöthig, als nur hin- reichet, die wilden Ausbrüche der Naturtriebe, die mit der Q q 5
und Entwickelung des Menſchen. Aber deſto groͤßer iſt oft die Staͤrke und Heftigkeit, mitder ſie ſich aͤußern. Der Wilde riechet oft feiner als ein Spuͤrhund, ſiehet mit ſeinem Auge wie ein Luchs, und kommt an Geſchicklichkeit zu ſchwimmen den Fi- ſchen gleich. Die Seele, die ſich nur an Einer oder an wenigen Seiten entwickelt, kann ihre ganze Macht in dieſer Richtung anwenden. Vielleicht giebt es keinen aͤußern Sinn, woran der Menſch nicht die Thiere, die ſonſt am beſten damit verſehen ſind, uͤbertreffen koͤnnte, wenn ſeine Seele mit nichts anders als mit den Ein- druͤcken auf einzelne Sinnglieder beſchaͤfftiget wuͤrde. Es iſt die Groͤße des Umfangs und die Mannichfaltig- keit der menſchlichen Wirkſamkeit, was die thaͤtige Kraft verbreitet und ihre intenſive Staͤrke bey einzelnen Aeußerungen ſchwaͤchet. Die Mittel, die den Men- ſchen von der groben Sinnlichkeit zu der feinern erhe- ben, und ihn aus einem bloß empfindenden zu einem ſiunlich imaginirenden Weſen machen, beſtehen am Ende darinn, daß die zu heftigen und, ſo zu ſagen, zu ſehr verdichteten Gefuͤhle und Triebe an Staͤrke ge- ſchwaͤcht, und an Ausdehnung vergroͤßert und verman- nichfaltiget werden. Das letztere geſchieht, indem ſie aufgeloͤſet, entwickelt und auf mancherley Art von Ge- genſtaͤnden und Handlungen geleitet werden. Aber es iſt nothwendig, daß eine Art von gewaltſamer Einſchraͤn- kung vorhergehe und die Wildheit baͤndige, oder ihr einen Zaum anwerfe. Die neuern Erfahrungen des edelmuͤthigen Cooks, auf ſeiner Reiſe nach der Suͤd- ſee, haben es beſtaͤtiget, was die Alten ſchon gelehret hatten, und nur durch gewiſſe Scheingruͤnde zweifelhaft gemacht worden war, daß es nothwendig ſey, zuerſt den Wilden Furcht beyzubringen, ehe ſich etwas mit ihnen anfangen laſſe. Die Furcht kultivirt ſie nicht, ſie iſt auch nicht in einem hoͤhern Grade noͤthig, als nur hin- reichet, die wilden Ausbruͤche der Naturtriebe, die mit der Q q 5
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0647" n="617"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und Entwickelung des Menſchen.</hi></fw><lb/> Aber deſto groͤßer iſt oft die Staͤrke und Heftigkeit, mit<lb/> der ſie ſich aͤußern. Der Wilde riechet oft feiner als<lb/> ein Spuͤrhund, ſiehet mit ſeinem Auge wie ein Luchs,<lb/> und kommt an Geſchicklichkeit zu ſchwimmen den Fi-<lb/> ſchen gleich. Die Seele, die ſich nur an Einer oder an<lb/> wenigen Seiten entwickelt, kann ihre ganze Macht in<lb/> dieſer Richtung anwenden. Vielleicht giebt es keinen<lb/> aͤußern Sinn, woran der Menſch nicht die Thiere, die<lb/> ſonſt am beſten damit verſehen ſind, uͤbertreffen koͤnnte,<lb/> wenn ſeine Seele mit nichts anders als mit den Ein-<lb/> druͤcken auf einzelne Sinnglieder beſchaͤfftiget wuͤrde.<lb/> Es iſt die Groͤße des Umfangs und die Mannichfaltig-<lb/> keit der menſchlichen Wirkſamkeit, was die thaͤtige<lb/> Kraft verbreitet und ihre intenſive Staͤrke bey einzelnen<lb/> Aeußerungen ſchwaͤchet. Die Mittel, die den Men-<lb/> ſchen von der groben Sinnlichkeit zu der feinern erhe-<lb/> ben, und ihn aus einem bloß empfindenden zu einem<lb/> ſiunlich imaginirenden Weſen machen, beſtehen am<lb/> Ende darinn, daß die zu heftigen und, ſo zu ſagen, zu<lb/> ſehr verdichteten Gefuͤhle und Triebe an Staͤrke ge-<lb/> ſchwaͤcht, und an Ausdehnung vergroͤßert und verman-<lb/> nichfaltiget werden. Das letztere geſchieht, indem ſie<lb/> aufgeloͤſet, entwickelt und auf mancherley Art von Ge-<lb/> genſtaͤnden und Handlungen geleitet werden. Aber es<lb/> iſt nothwendig, daß eine Art von gewaltſamer Einſchraͤn-<lb/> kung vorhergehe und die Wildheit baͤndige, oder ihr<lb/> einen Zaum anwerfe. Die neuern Erfahrungen des<lb/> edelmuͤthigen <hi rendition="#fr">Cooks,</hi> auf ſeiner Reiſe nach der Suͤd-<lb/> ſee, haben es beſtaͤtiget, was die Alten ſchon gelehret<lb/> hatten, und nur durch gewiſſe Scheingruͤnde zweifelhaft<lb/> gemacht worden war, daß es nothwendig ſey, zuerſt den<lb/> Wilden Furcht beyzubringen, ehe ſich etwas mit ihnen<lb/> anfangen laſſe. Die Furcht kultivirt ſie nicht, ſie iſt<lb/> auch nicht in einem hoͤhern Grade noͤthig, als nur hin-<lb/> reichet, die wilden Ausbruͤche der Naturtriebe, die mit<lb/> <fw place="bottom" type="sig">Q q 5</fw><fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [617/0647]
und Entwickelung des Menſchen.
Aber deſto groͤßer iſt oft die Staͤrke und Heftigkeit, mit
der ſie ſich aͤußern. Der Wilde riechet oft feiner als
ein Spuͤrhund, ſiehet mit ſeinem Auge wie ein Luchs,
und kommt an Geſchicklichkeit zu ſchwimmen den Fi-
ſchen gleich. Die Seele, die ſich nur an Einer oder an
wenigen Seiten entwickelt, kann ihre ganze Macht in
dieſer Richtung anwenden. Vielleicht giebt es keinen
aͤußern Sinn, woran der Menſch nicht die Thiere, die
ſonſt am beſten damit verſehen ſind, uͤbertreffen koͤnnte,
wenn ſeine Seele mit nichts anders als mit den Ein-
druͤcken auf einzelne Sinnglieder beſchaͤfftiget wuͤrde.
Es iſt die Groͤße des Umfangs und die Mannichfaltig-
keit der menſchlichen Wirkſamkeit, was die thaͤtige
Kraft verbreitet und ihre intenſive Staͤrke bey einzelnen
Aeußerungen ſchwaͤchet. Die Mittel, die den Men-
ſchen von der groben Sinnlichkeit zu der feinern erhe-
ben, und ihn aus einem bloß empfindenden zu einem
ſiunlich imaginirenden Weſen machen, beſtehen am
Ende darinn, daß die zu heftigen und, ſo zu ſagen, zu
ſehr verdichteten Gefuͤhle und Triebe an Staͤrke ge-
ſchwaͤcht, und an Ausdehnung vergroͤßert und verman-
nichfaltiget werden. Das letztere geſchieht, indem ſie
aufgeloͤſet, entwickelt und auf mancherley Art von Ge-
genſtaͤnden und Handlungen geleitet werden. Aber es
iſt nothwendig, daß eine Art von gewaltſamer Einſchraͤn-
kung vorhergehe und die Wildheit baͤndige, oder ihr
einen Zaum anwerfe. Die neuern Erfahrungen des
edelmuͤthigen Cooks, auf ſeiner Reiſe nach der Suͤd-
ſee, haben es beſtaͤtiget, was die Alten ſchon gelehret
hatten, und nur durch gewiſſe Scheingruͤnde zweifelhaft
gemacht worden war, daß es nothwendig ſey, zuerſt den
Wilden Furcht beyzubringen, ehe ſich etwas mit ihnen
anfangen laſſe. Die Furcht kultivirt ſie nicht, ſie iſt
auch nicht in einem hoͤhern Grade noͤthig, als nur hin-
reichet, die wilden Ausbruͤche der Naturtriebe, die mit
der
Q q 5
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |