vorhält, dagegen arbeiten: es wird zwar etwas ausge- richtet; aber alle beide sind zu ohnmächtig über die Na- tur, die durch die physischen Beziehungen gestärket wird, Herr zu werden. Wenn die Erziehung der Umstände, daferne sie hier einmal so darf genennet werden, mit dem Unterrichte und dem Beyspiele übereinstimmt, so sind sie zusammen allmächtig; aber "Eins von den letztern "allein kann zwar etwas die Wirkung der übrigen, die "mit der Natur übereinstimmen, schwächen, allein den "Ausbruch der Natur nie ganz zurückhalten." Der Anfang des Sprechens ist ein Werk der Natur, unter gewissen Umständen, welche fast nirgends fehlen, wo Menschen mit Menschen in Gesellschaft sind. Aber ein weiterer Fortgang der Sprache erfodert, daß die ersten Anfänge durch Beyspiel und Anführung sich festsetzen und verbreiten, und daß der neue Zusatz an Worten von andern aufgefangen und unterhalten wird. Es verhält sich gleichermaßen mit den übrigen Naturfähigkeiten.
3.
Hieraus läßt sich eine Folgerung ziehen, die Hr. Verdier zum Grundsatz, in seinem Vorschlag der voll- kommensten Erziehung, genommen hat. Hat man bey dem Kinde von der Geburt an die äußern Ursachen, die auf den Körper und die Sinne wirken, in seiner Gewalt; kann man ihren Eindruck verstärken oder mäßi- gen, mindern oder vermehren; kann man die Reiz- barkeit in den Muskeln und die Empfindlichkeit in den Nerven, wie die Absicht es mit sich bringet, durch phy- sische Mittel erhöhen oder schwächen; und kann, wie es in einiger Maße wohl möglich ist, diese physische Er- ziehung schon vor der Geburt, vielleicht von der Erzeu- gung schon anfangen, und in der Folge eine moralische und intellektuelle Erziehung hinzukommen, welche Bey- spiele und Unterricht jedesmal in der Maße anbringt
und
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und Entwickelung des Menſchen.
vorhaͤlt, dagegen arbeiten: es wird zwar etwas ausge- richtet; aber alle beide ſind zu ohnmaͤchtig uͤber die Na- tur, die durch die phyſiſchen Beziehungen geſtaͤrket wird, Herr zu werden. Wenn die Erziehung der Umſtaͤnde, daferne ſie hier einmal ſo darf genennet werden, mit dem Unterrichte und dem Beyſpiele uͤbereinſtimmt, ſo ſind ſie zuſammen allmaͤchtig; aber „Eins von den letztern „allein kann zwar etwas die Wirkung der uͤbrigen, die „mit der Natur uͤbereinſtimmen, ſchwaͤchen, allein den „Ausbruch der Natur nie ganz zuruͤckhalten.‟ Der Anfang des Sprechens iſt ein Werk der Natur, unter gewiſſen Umſtaͤnden, welche faſt nirgends fehlen, wo Menſchen mit Menſchen in Geſellſchaft ſind. Aber ein weiterer Fortgang der Sprache erfodert, daß die erſten Anfaͤnge durch Beyſpiel und Anfuͤhrung ſich feſtſetzen und verbreiten, und daß der neue Zuſatz an Worten von andern aufgefangen und unterhalten wird. Es verhaͤlt ſich gleichermaßen mit den uͤbrigen Naturfaͤhigkeiten.
3.
Hieraus laͤßt ſich eine Folgerung ziehen, die Hr. Verdier zum Grundſatz, in ſeinem Vorſchlag der voll- kommenſten Erziehung, genommen hat. Hat man bey dem Kinde von der Geburt an die aͤußern Urſachen, die auf den Koͤrper und die Sinne wirken, in ſeiner Gewalt; kann man ihren Eindruck verſtaͤrken oder maͤßi- gen, mindern oder vermehren; kann man die Reiz- barkeit in den Muskeln und die Empfindlichkeit in den Nerven, wie die Abſicht es mit ſich bringet, durch phy- ſiſche Mittel erhoͤhen oder ſchwaͤchen; und kann, wie es in einiger Maße wohl moͤglich iſt, dieſe phyſiſche Er- ziehung ſchon vor der Geburt, vielleicht von der Erzeu- gung ſchon anfangen, und in der Folge eine moraliſche und intellektuelle Erziehung hinzukommen, welche Bey- ſpiele und Unterricht jedesmal in der Maße anbringt
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und Entwickelung des Menſchen.
vorhaͤlt, dagegen arbeiten: es wird zwar etwas ausge-
richtet; aber alle beide ſind zu ohnmaͤchtig uͤber die Na-
tur, die durch die phyſiſchen Beziehungen geſtaͤrket wird,
Herr zu werden. Wenn die Erziehung der Umſtaͤnde,
daferne ſie hier einmal ſo darf genennet werden, mit dem
Unterrichte und dem Beyſpiele uͤbereinſtimmt, ſo ſind
ſie zuſammen allmaͤchtig; aber „Eins von den letztern
„allein kann zwar etwas die Wirkung der uͤbrigen, die
„mit der Natur uͤbereinſtimmen, ſchwaͤchen, allein den
„Ausbruch der Natur nie ganz zuruͤckhalten.‟ Der
Anfang des Sprechens iſt ein Werk der Natur, unter
gewiſſen Umſtaͤnden, welche faſt nirgends fehlen, wo
Menſchen mit Menſchen in Geſellſchaft ſind. Aber ein
weiterer Fortgang der Sprache erfodert, daß die erſten
Anfaͤnge durch Beyſpiel und Anfuͤhrung ſich feſtſetzen
und verbreiten, und daß der neue Zuſatz an Worten von
andern aufgefangen und unterhalten wird. Es verhaͤlt
ſich gleichermaßen mit den uͤbrigen Naturfaͤhigkeiten.
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Hieraus laͤßt ſich eine Folgerung ziehen, die Hr.
Verdier zum Grundſatz, in ſeinem Vorſchlag der voll-
kommenſten Erziehung, genommen hat. Hat man
bey dem Kinde von der Geburt an die aͤußern Urſachen,
die auf den Koͤrper und die Sinne wirken, in ſeiner
Gewalt; kann man ihren Eindruck verſtaͤrken oder maͤßi-
gen, mindern oder vermehren; kann man die Reiz-
barkeit in den Muskeln und die Empfindlichkeit in den
Nerven, wie die Abſicht es mit ſich bringet, durch phy-
ſiſche Mittel erhoͤhen oder ſchwaͤchen; und kann, wie es
in einiger Maße wohl moͤglich iſt, dieſe phyſiſche Er-
ziehung ſchon vor der Geburt, vielleicht von der Erzeu-
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und intellektuelle Erziehung hinzukommen, welche Bey-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 595. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/625>, abgerufen am 21.11.2024.
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