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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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und Entwickelung des Menschen.
stellet. Jn diesem Fall ist sie weniger als die An-
führung.

Jn einer engern Bedeutung wird das Wort Er-
ziehung
genommen, wenn man von einzelnen Perso-
nen sagt, daß sie ohne Erziehung sind; [od]er von ganzen
Völkern, daß sie ihre Kinder ohne Erziehung lassen, ob
sie solche gleich zu ihrer Lebensart und zu ihren Gewer-
ben und Künsten anführen. Jn diesen Redensarten
schränkt man das Wort Erziehung ein, auf die zur
Entwickelung der höhern Erkenntnißkräfte und zu
einem höhern Grade der Verfeinerung abzielen-
den Einrichtungen.

Ueberhaupt aber ist die Erziehung ein Werk der
Kunst, nach Plan und Absicht eingerichtet. Jnsoweit
wird sie der Ausbildung der Natur, oder der Erziehung
der Natur entgegengesetzt, die zwar nach der Absicht
des Schöpfers bey der Welt auf den Menschen wirket,
seine Natur entwickelt und ihn ausbildet, aber von der
Absicht und dem Fleiße der Menschen nicht abhängt.
Es laufen diese beiden Ursachen, Kunst und Natur, oft
so in einander, daß es unmöglich wird, ihre Gränzen
genau zu bestimmen, und zu sagen, welcher von beiden
eine Wirkung zuzuschreiben sey?

Die Wirkung, welche die äußern Ursachen in Ver-
bindung mit der innern Naturkraft hervorbringen, be-
stehet in der Entwickelung des Menschen, oder in
seiner Ausbildung. Diese letztere ist eine Kultipi-
rung
des Menschen, wenn sie die Entwickelung der hö-
hern Verstandskräfte, wodurch Menschen von den Thie-
ren unterschieden sind, und die davon abhängende Erhe-
bung und Verfeinerung seiner Sinne und Neigungen
hervorbringet. Die wilden Völker, die wir von den
kultivirten Nationen unterscheiden, entwickeln ihre kör-
perlichen und thierischen Kräfte, das Vermögen |zum
Laufen, Schwimmen, Springen, und zum Theil auch

ihre
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und Entwickelung des Menſchen.
ſtellet. Jn dieſem Fall iſt ſie weniger als die An-
fuͤhrung.

Jn einer engern Bedeutung wird das Wort Er-
ziehung
genommen, wenn man von einzelnen Perſo-
nen ſagt, daß ſie ohne Erziehung ſind; [od]er von ganzen
Voͤlkern, daß ſie ihre Kinder ohne Erziehung laſſen, ob
ſie ſolche gleich zu ihrer Lebensart und zu ihren Gewer-
ben und Kuͤnſten anfuͤhren. Jn dieſen Redensarten
ſchraͤnkt man das Wort Erziehung ein, auf die zur
Entwickelung der hoͤhern Erkenntnißkraͤfte und zu
einem hoͤhern Grade der Verfeinerung abzielen-
den Einrichtungen.

Ueberhaupt aber iſt die Erziehung ein Werk der
Kunſt, nach Plan und Abſicht eingerichtet. Jnſoweit
wird ſie der Ausbildung der Natur, oder der Erziehung
der Natur entgegengeſetzt, die zwar nach der Abſicht
des Schoͤpfers bey der Welt auf den Menſchen wirket,
ſeine Natur entwickelt und ihn ausbildet, aber von der
Abſicht und dem Fleiße der Menſchen nicht abhaͤngt.
Es laufen dieſe beiden Urſachen, Kunſt und Natur, oft
ſo in einander, daß es unmoͤglich wird, ihre Graͤnzen
genau zu beſtimmen, und zu ſagen, welcher von beiden
eine Wirkung zuzuſchreiben ſey?

Die Wirkung, welche die aͤußern Urſachen in Ver-
bindung mit der innern Naturkraft hervorbringen, be-
ſtehet in der Entwickelung des Menſchen, oder in
ſeiner Ausbildung. Dieſe letztere iſt eine Kultipi-
rung
des Menſchen, wenn ſie die Entwickelung der hoͤ-
hern Verſtandskraͤfte, wodurch Menſchen von den Thie-
ren unterſchieden ſind, und die davon abhaͤngende Erhe-
bung und Verfeinerung ſeiner Sinne und Neigungen
hervorbringet. Die wilden Voͤlker, die wir von den
kultivirten Nationen unterſcheiden, entwickeln ihre koͤr-
perlichen und thieriſchen Kraͤfte, das Vermoͤgen |zum
Laufen, Schwimmen, Springen, und zum Theil auch

ihre
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[585/0615] und Entwickelung des Menſchen. ſtellet. Jn dieſem Fall iſt ſie weniger als die An- fuͤhrung. Jn einer engern Bedeutung wird das Wort Er- ziehung genommen, wenn man von einzelnen Perſo- nen ſagt, daß ſie ohne Erziehung ſind; oder von ganzen Voͤlkern, daß ſie ihre Kinder ohne Erziehung laſſen, ob ſie ſolche gleich zu ihrer Lebensart und zu ihren Gewer- ben und Kuͤnſten anfuͤhren. Jn dieſen Redensarten ſchraͤnkt man das Wort Erziehung ein, auf die zur Entwickelung der hoͤhern Erkenntnißkraͤfte und zu einem hoͤhern Grade der Verfeinerung abzielen- den Einrichtungen. Ueberhaupt aber iſt die Erziehung ein Werk der Kunſt, nach Plan und Abſicht eingerichtet. Jnſoweit wird ſie der Ausbildung der Natur, oder der Erziehung der Natur entgegengeſetzt, die zwar nach der Abſicht des Schoͤpfers bey der Welt auf den Menſchen wirket, ſeine Natur entwickelt und ihn ausbildet, aber von der Abſicht und dem Fleiße der Menſchen nicht abhaͤngt. Es laufen dieſe beiden Urſachen, Kunſt und Natur, oft ſo in einander, daß es unmoͤglich wird, ihre Graͤnzen genau zu beſtimmen, und zu ſagen, welcher von beiden eine Wirkung zuzuſchreiben ſey? Die Wirkung, welche die aͤußern Urſachen in Ver- bindung mit der innern Naturkraft hervorbringen, be- ſtehet in der Entwickelung des Menſchen, oder in ſeiner Ausbildung. Dieſe letztere iſt eine Kultipi- rung des Menſchen, wenn ſie die Entwickelung der hoͤ- hern Verſtandskraͤfte, wodurch Menſchen von den Thie- ren unterſchieden ſind, und die davon abhaͤngende Erhe- bung und Verfeinerung ſeiner Sinne und Neigungen hervorbringet. Die wilden Voͤlker, die wir von den kultivirten Nationen unterſcheiden, entwickeln ihre koͤr- perlichen und thieriſchen Kraͤfte, das Vermoͤgen |zum Laufen, Schwimmen, Springen, und zum Theil auch ihre O o 5

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 585. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/615>, abgerufen am 22.11.2024.