Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

XIV. Vers. Ueber die Perfektibilität
sie es nicht sind, welche allein wirken, sondern daß noch
eine andere vorhanden sey, die sich mit ihnen vereinige.
Vielleicht ist alsdenn diese letztere, die zu jenen nicht ge-
hört, eine von den vornehmsten, wovon die Beständig-
keit und Allgemeinheit in den Nationalcharakteren ab-
hängt.

Vergleichen wir die Fakta in Hinsicht der National-
charaktere, so finden wir vielleicht keinen einzigen Un-
terschied, bey dem nicht die äußern allgemeinen Ursa-
chen, Klima, Nahrung, Lebensart und auch gewisse
angeführte Gewohnheiten, die Körper zu bilden einen
Einfluß haben sollten, und zwar einen so merklichen,
daß sie solche entweder zuerst veranlassen oder doch un-
terhalten können, wenn sie einmal bey den Stammel-
tern durch besondere Zufälle hervorgebracht sind. Dieß
ist von der Farbe, von der Größe, von der Festigkeit
gewisser Theile entschieden. Es wird auch dadurch aus-
ser Zweifel gesetzet, weil dieselbigen Ursachen bey den
Thieren in solchen Gegenden, und zum Theil auch bey
den Pflanzen, ähnliche Veränderungen hervorbringen.
Es muß vermuthet werden, daß da, wo es an einer
allgemeinen Ursache fehlet, wodurch die zufälligen indi-
viduellen Abweichungen unterstützet werden, diese letztern
sich auch bald wieder verlieren, ohne zu allgemeinen
Nationalcharakteren zu werden. Denn so geht es bey
den Besonderheiten unter uns, die sich nur höchstens
auf einige Generationen in einigen Familien erhalten.
Diese Vermuthung wird durch die Erfahrung bestätiget.
Es ist außer Zweifel, daß da, wo der Einfluß solcher
allgemeinen Ursachen, welche ihre Wirksamkeit über al-
le Jndividuen erstrecken, aufhöret, auch die Wirkun-
gen zum Theil sich verlieren; ich beziehe mich auf die
Beyspiele, die Hr. Blumenbach hierüber gesamm-
let hat.

Jndes-

XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
ſie es nicht ſind, welche allein wirken, ſondern daß noch
eine andere vorhanden ſey, die ſich mit ihnen vereinige.
Vielleicht iſt alsdenn dieſe letztere, die zu jenen nicht ge-
hoͤrt, eine von den vornehmſten, wovon die Beſtaͤndig-
keit und Allgemeinheit in den Nationalcharakteren ab-
haͤngt.

Vergleichen wir die Fakta in Hinſicht der National-
charaktere, ſo finden wir vielleicht keinen einzigen Un-
terſchied, bey dem nicht die aͤußern allgemeinen Urſa-
chen, Klima, Nahrung, Lebensart und auch gewiſſe
angefuͤhrte Gewohnheiten, die Koͤrper zu bilden einen
Einfluß haben ſollten, und zwar einen ſo merklichen,
daß ſie ſolche entweder zuerſt veranlaſſen oder doch un-
terhalten koͤnnen, wenn ſie einmal bey den Stammel-
tern durch beſondere Zufaͤlle hervorgebracht ſind. Dieß
iſt von der Farbe, von der Groͤße, von der Feſtigkeit
gewiſſer Theile entſchieden. Es wird auch dadurch auſ-
ſer Zweifel geſetzet, weil dieſelbigen Urſachen bey den
Thieren in ſolchen Gegenden, und zum Theil auch bey
den Pflanzen, aͤhnliche Veraͤnderungen hervorbringen.
Es muß vermuthet werden, daß da, wo es an einer
allgemeinen Urſache fehlet, wodurch die zufaͤlligen indi-
viduellen Abweichungen unterſtuͤtzet werden, dieſe letztern
ſich auch bald wieder verlieren, ohne zu allgemeinen
Nationalcharakteren zu werden. Denn ſo geht es bey
den Beſonderheiten unter uns, die ſich nur hoͤchſtens
auf einige Generationen in einigen Familien erhalten.
Dieſe Vermuthung wird durch die Erfahrung beſtaͤtiget.
Es iſt außer Zweifel, daß da, wo der Einfluß ſolcher
allgemeinen Urſachen, welche ihre Wirkſamkeit uͤber al-
le Jndividuen erſtrecken, aufhoͤret, auch die Wirkun-
gen zum Theil ſich verlieren; ich beziehe mich auf die
Beyſpiele, die Hr. Blumenbach hieruͤber geſamm-
let hat.

Jndeſ-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0604" n="574"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XIV.</hi> Ver&#x017F;. Ueber die Perfektibilita&#x0364;t</hi></fw><lb/>
&#x017F;ie es nicht &#x017F;ind, welche allein wirken, &#x017F;ondern daß noch<lb/>
eine andere vorhanden &#x017F;ey, die &#x017F;ich mit ihnen vereinige.<lb/>
Vielleicht i&#x017F;t alsdenn die&#x017F;e letztere, die zu jenen nicht ge-<lb/>
ho&#x0364;rt, eine von den vornehm&#x017F;ten, wovon die Be&#x017F;ta&#x0364;ndig-<lb/>
keit und Allgemeinheit in den Nationalcharakteren ab-<lb/>
ha&#x0364;ngt.</p><lb/>
              <p>Vergleichen wir die Fakta in Hin&#x017F;icht der National-<lb/>
charaktere, &#x017F;o finden wir vielleicht keinen einzigen Un-<lb/>
ter&#x017F;chied, bey dem nicht die <hi rendition="#fr">a&#x0364;ußern</hi> allgemeinen Ur&#x017F;a-<lb/>
chen, Klima, Nahrung, Lebensart und auch gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
angefu&#x0364;hrte Gewohnheiten, die Ko&#x0364;rper zu bilden einen<lb/>
Einfluß haben &#x017F;ollten, und zwar einen &#x017F;o merklichen,<lb/>
daß &#x017F;ie &#x017F;olche entweder zuer&#x017F;t veranla&#x017F;&#x017F;en oder doch un-<lb/>
terhalten ko&#x0364;nnen, wenn &#x017F;ie einmal bey den Stammel-<lb/>
tern durch be&#x017F;ondere Zufa&#x0364;lle hervorgebracht &#x017F;ind. Dieß<lb/>
i&#x017F;t von der Farbe, von der Gro&#x0364;ße, von der Fe&#x017F;tigkeit<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;er Theile ent&#x017F;chieden. Es wird auch dadurch au&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er Zweifel ge&#x017F;etzet, weil die&#x017F;elbigen Ur&#x017F;achen bey den<lb/>
Thieren in &#x017F;olchen Gegenden, und zum Theil auch bey<lb/>
den Pflanzen, a&#x0364;hnliche Vera&#x0364;nderungen hervorbringen.<lb/>
Es muß vermuthet werden, daß da, wo es an einer<lb/>
allgemeinen Ur&#x017F;ache fehlet, wodurch die zufa&#x0364;lligen indi-<lb/>
viduellen Abweichungen unter&#x017F;tu&#x0364;tzet werden, die&#x017F;e letztern<lb/>
&#x017F;ich auch bald wieder verlieren, ohne zu allgemeinen<lb/>
Nationalcharakteren zu werden. Denn &#x017F;o geht es bey<lb/>
den Be&#x017F;onderheiten unter uns, die &#x017F;ich nur ho&#x0364;ch&#x017F;tens<lb/>
auf einige Generationen in einigen Familien erhalten.<lb/>
Die&#x017F;e Vermuthung wird durch die Erfahrung be&#x017F;ta&#x0364;tiget.<lb/>
Es i&#x017F;t außer Zweifel, daß da, wo der Einfluß &#x017F;olcher<lb/>
allgemeinen Ur&#x017F;achen, welche ihre Wirk&#x017F;amkeit u&#x0364;ber al-<lb/>
le Jndividuen er&#x017F;trecken, aufho&#x0364;ret, auch die Wirkun-<lb/>
gen zum Theil &#x017F;ich verlieren; ich beziehe mich auf die<lb/>
Bey&#x017F;piele, die Hr. <hi rendition="#fr">Blumenbach</hi> hieru&#x0364;ber ge&#x017F;amm-<lb/>
let hat.</p><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Jnde&#x017F;-</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[574/0604] XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt ſie es nicht ſind, welche allein wirken, ſondern daß noch eine andere vorhanden ſey, die ſich mit ihnen vereinige. Vielleicht iſt alsdenn dieſe letztere, die zu jenen nicht ge- hoͤrt, eine von den vornehmſten, wovon die Beſtaͤndig- keit und Allgemeinheit in den Nationalcharakteren ab- haͤngt. Vergleichen wir die Fakta in Hinſicht der National- charaktere, ſo finden wir vielleicht keinen einzigen Un- terſchied, bey dem nicht die aͤußern allgemeinen Urſa- chen, Klima, Nahrung, Lebensart und auch gewiſſe angefuͤhrte Gewohnheiten, die Koͤrper zu bilden einen Einfluß haben ſollten, und zwar einen ſo merklichen, daß ſie ſolche entweder zuerſt veranlaſſen oder doch un- terhalten koͤnnen, wenn ſie einmal bey den Stammel- tern durch beſondere Zufaͤlle hervorgebracht ſind. Dieß iſt von der Farbe, von der Groͤße, von der Feſtigkeit gewiſſer Theile entſchieden. Es wird auch dadurch auſ- ſer Zweifel geſetzet, weil dieſelbigen Urſachen bey den Thieren in ſolchen Gegenden, und zum Theil auch bey den Pflanzen, aͤhnliche Veraͤnderungen hervorbringen. Es muß vermuthet werden, daß da, wo es an einer allgemeinen Urſache fehlet, wodurch die zufaͤlligen indi- viduellen Abweichungen unterſtuͤtzet werden, dieſe letztern ſich auch bald wieder verlieren, ohne zu allgemeinen Nationalcharakteren zu werden. Denn ſo geht es bey den Beſonderheiten unter uns, die ſich nur hoͤchſtens auf einige Generationen in einigen Familien erhalten. Dieſe Vermuthung wird durch die Erfahrung beſtaͤtiget. Es iſt außer Zweifel, daß da, wo der Einfluß ſolcher allgemeinen Urſachen, welche ihre Wirkſamkeit uͤber al- le Jndividuen erſtrecken, aufhoͤret, auch die Wirkun- gen zum Theil ſich verlieren; ich beziehe mich auf die Beyſpiele, die Hr. Blumenbach hieruͤber geſamm- let hat. Jndeſ-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/604
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 574. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/604>, abgerufen am 03.07.2024.