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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XIV. Vers. Ueber die Perfektibilität
solches in der Wissenschaft vom Menschen, die man aus
der Erfahrung nimmt, eben so schwer sey, es mag von
den Ursachen die Rede seyn, die auf seinen Körper, oder
von denen, die auf seine Seele wirken.

Dieß vorausgesetzt, so meine ich, wir haben wirk-
lich schon so viele bewährte Beobachtungen von den vor-
kommenden Abweichungen der Menschen, daß folgen-
der Erfahrungssatz daraus erhelle.

"Es giebt keine Abweichung verschiedener Völker
"von einander, an Farben, an Bildung. an Größe, die
"nicht einzeln auch bey Jndividuen solcher Gattungen,
"deren Unterscheidungsmerkmal sie nicht ist, durch zu-
"fällige Ursachen hervorgebracht sey, oder durch Kunst
"hervorgebracht werden könne." Es kann hinzuge-
setzet werden, daß es noch mehrere Abweichungen bey
den Jndividuen gebe, als jemals bey ganzen Völkern
allgemein zu Nationalcharakteren geworden sind.

Wir haben unter den Europäern Beyspiele von den
platten Nasen und aufgeworfenen Lippen der Neger;
schwarze Kinder von weißen, kleine Kinder von großen
Eltern, und umgekehrt, langgewachsene riesenförmige
Kinder von Eltern, deren Größe kaum an die mittlere
Länge reichet. Wir kennen vielleicht noch nicht die Ur-
sachen alle, wodurch solche Abweichungen entstehen. So
gewiß auch das Klima, die Nahrung und die Lebensart
darunter gehören, so gewiß scheinet es doch auch zu seyn,
daß die Frucht schon im Mutterleibe gewissen zufälligen
Veränderungen unterworfen ist, wovon wir die wirken-
den oder veranlassenden Ursachen zur Zeit noch nicht ken-
nen. Die Familien mit sechs Fingern, mit länglichen
Pupillen, *) und hundert ähnliche bestätigen dieses.

Daß solche zufällig entstandene Abweichungen sich
zuweilen fortpflanzen und auf eine ganze Familie sich

verbrei-
*) Blochs medicinische Bemerkungen.

XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
ſolches in der Wiſſenſchaft vom Menſchen, die man aus
der Erfahrung nimmt, eben ſo ſchwer ſey, es mag von
den Urſachen die Rede ſeyn, die auf ſeinen Koͤrper, oder
von denen, die auf ſeine Seele wirken.

Dieß vorausgeſetzt, ſo meine ich, wir haben wirk-
lich ſchon ſo viele bewaͤhrte Beobachtungen von den vor-
kommenden Abweichungen der Menſchen, daß folgen-
der Erfahrungsſatz daraus erhelle.

„Es giebt keine Abweichung verſchiedener Voͤlker
„von einander, an Farben, an Bildung. an Groͤße, die
„nicht einzeln auch bey Jndividuen ſolcher Gattungen,
„deren Unterſcheidungsmerkmal ſie nicht iſt, durch zu-
„faͤllige Urſachen hervorgebracht ſey, oder durch Kunſt
„hervorgebracht werden koͤnne.‟ Es kann hinzuge-
ſetzet werden, daß es noch mehrere Abweichungen bey
den Jndividuen gebe, als jemals bey ganzen Voͤlkern
allgemein zu Nationalcharakteren geworden ſind.

Wir haben unter den Europaͤern Beyſpiele von den
platten Naſen und aufgeworfenen Lippen der Neger;
ſchwarze Kinder von weißen, kleine Kinder von großen
Eltern, und umgekehrt, langgewachſene rieſenfoͤrmige
Kinder von Eltern, deren Groͤße kaum an die mittlere
Laͤnge reichet. Wir kennen vielleicht noch nicht die Ur-
ſachen alle, wodurch ſolche Abweichungen entſtehen. So
gewiß auch das Klima, die Nahrung und die Lebensart
darunter gehoͤren, ſo gewiß ſcheinet es doch auch zu ſeyn,
daß die Frucht ſchon im Mutterleibe gewiſſen zufaͤlligen
Veraͤnderungen unterworfen iſt, wovon wir die wirken-
den oder veranlaſſenden Urſachen zur Zeit noch nicht ken-
nen. Die Familien mit ſechs Fingern, mit laͤnglichen
Pupillen, *) und hundert aͤhnliche beſtaͤtigen dieſes.

Daß ſolche zufaͤllig entſtandene Abweichungen ſich
zuweilen fortpflanzen und auf eine ganze Familie ſich

verbrei-
*) Blochs mediciniſche Bemerkungen.
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[572/0602] XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt ſolches in der Wiſſenſchaft vom Menſchen, die man aus der Erfahrung nimmt, eben ſo ſchwer ſey, es mag von den Urſachen die Rede ſeyn, die auf ſeinen Koͤrper, oder von denen, die auf ſeine Seele wirken. Dieß vorausgeſetzt, ſo meine ich, wir haben wirk- lich ſchon ſo viele bewaͤhrte Beobachtungen von den vor- kommenden Abweichungen der Menſchen, daß folgen- der Erfahrungsſatz daraus erhelle. „Es giebt keine Abweichung verſchiedener Voͤlker „von einander, an Farben, an Bildung. an Groͤße, die „nicht einzeln auch bey Jndividuen ſolcher Gattungen, „deren Unterſcheidungsmerkmal ſie nicht iſt, durch zu- „faͤllige Urſachen hervorgebracht ſey, oder durch Kunſt „hervorgebracht werden koͤnne.‟ Es kann hinzuge- ſetzet werden, daß es noch mehrere Abweichungen bey den Jndividuen gebe, als jemals bey ganzen Voͤlkern allgemein zu Nationalcharakteren geworden ſind. Wir haben unter den Europaͤern Beyſpiele von den platten Naſen und aufgeworfenen Lippen der Neger; ſchwarze Kinder von weißen, kleine Kinder von großen Eltern, und umgekehrt, langgewachſene rieſenfoͤrmige Kinder von Eltern, deren Groͤße kaum an die mittlere Laͤnge reichet. Wir kennen vielleicht noch nicht die Ur- ſachen alle, wodurch ſolche Abweichungen entſtehen. So gewiß auch das Klima, die Nahrung und die Lebensart darunter gehoͤren, ſo gewiß ſcheinet es doch auch zu ſeyn, daß die Frucht ſchon im Mutterleibe gewiſſen zufaͤlligen Veraͤnderungen unterworfen iſt, wovon wir die wirken- den oder veranlaſſenden Urſachen zur Zeit noch nicht ken- nen. Die Familien mit ſechs Fingern, mit laͤnglichen Pupillen, *) und hundert aͤhnliche beſtaͤtigen dieſes. Daß ſolche zufaͤllig entſtandene Abweichungen ſich zuweilen fortpflanzen und auf eine ganze Familie ſich verbrei- *) Blochs mediciniſche Bemerkungen.

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 572. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/602>, abgerufen am 22.11.2024.