Der Moralist, der die Größe der Moralität, oder den Grad der Güte und der Bößheit in der freyen Aktion, das ist, die Stärke, womit die handelnde Kraft nach der Richtung hin bestimmt gewesen seyn muß, in der sie gewirket hat, um eine solche Aktion zu bewirken, als erfolget ist, nur einiger Maßen schätzen will, muß doch auch auf beides zugleich, nämlich sowohl auf die thätige Kraft selbst, als auf das Vermögen zu dem Gegentheil, Rücksicht nehmen. Sonst fällt die Schätzung mangelhaft aus. Von einem eigentlichen Messen läßt sich nichts sagen, da solches zur Zeit bey den Seelengrößen nicht möglich ist. Ein Wesen, wel- ches aus innerer Naturnothwendigkeit Gutes wirket, welch eine vortreffliche Natur besitzet es nicht? Aber diese Naturgüte ist doch keine freye Güte, und ein freyes Wesen, das eine gleiche Kraft zum Guten be- sitzet, wie jenes, hat doch noch mehr innere Güte, und ist ein größeres Wesen, weil es mit einer größern innern Kraft wirket, die auch Böses zu thun das Ver- mögen hat, und ihrer selbst mächtig ist, auch dann, wann sie Gutes thut. Die nothwendige Güte bey dem Menschen, seine Natur- und Temperamentsgüte, hat noch einen desto wenigern Werth, weil sie nicht ganz in einem reellen Grade der innern Selbstthätigkeit der Seele bestehet, sondern zum Theil nur in dem Körper ihren Sitz hat, zum Theil auch wahre Schwäche und Ohnmacht ist. Die allerbeste menschliche Tugend ist freylich immer in einigem Grade abhängig vom Körper, aber je mehr sie doch wahre Tugend ist, desto weniger ist sie es, und desto mehr ist sie eine Realität des innern Menschen, und Stärke in der selbstthätigen Seele.
Dagegen vermindert auch die Fertigkeit im Guten an sich den moralischen Werth der Handlung nicht. Die Leichtigkeit gut zu handeln ist ein Beweis, daß das auf das Gute und Rechtschaffene gerichtete Vermögen
mit
und Freyheit.
Der Moraliſt, der die Groͤße der Moralitaͤt, oder den Grad der Guͤte und der Boͤßheit in der freyen Aktion, das iſt, die Staͤrke, womit die handelnde Kraft nach der Richtung hin beſtimmt geweſen ſeyn muß, in der ſie gewirket hat, um eine ſolche Aktion zu bewirken, als erfolget iſt, nur einiger Maßen ſchaͤtzen will, muß doch auch auf beides zugleich, naͤmlich ſowohl auf die thaͤtige Kraft ſelbſt, als auf das Vermoͤgen zu dem Gegentheil, Ruͤckſicht nehmen. Sonſt faͤllt die Schaͤtzung mangelhaft aus. Von einem eigentlichen Meſſen laͤßt ſich nichts ſagen, da ſolches zur Zeit bey den Seelengroͤßen nicht moͤglich iſt. Ein Weſen, wel- ches aus innerer Naturnothwendigkeit Gutes wirket, welch eine vortreffliche Natur beſitzet es nicht? Aber dieſe Naturguͤte iſt doch keine freye Guͤte, und ein freyes Weſen, das eine gleiche Kraft zum Guten be- ſitzet, wie jenes, hat doch noch mehr innere Guͤte, und iſt ein groͤßeres Weſen, weil es mit einer groͤßern innern Kraft wirket, die auch Boͤſes zu thun das Ver- moͤgen hat, und ihrer ſelbſt maͤchtig iſt, auch dann, wann ſie Gutes thut. Die nothwendige Guͤte bey dem Menſchen, ſeine Natur- und Temperamentsguͤte, hat noch einen deſto wenigern Werth, weil ſie nicht ganz in einem reellen Grade der innern Selbſtthaͤtigkeit der Seele beſtehet, ſondern zum Theil nur in dem Koͤrper ihren Sitz hat, zum Theil auch wahre Schwaͤche und Ohnmacht iſt. Die allerbeſte menſchliche Tugend iſt freylich immer in einigem Grade abhaͤngig vom Koͤrper, aber je mehr ſie doch wahre Tugend iſt, deſto weniger iſt ſie es, und deſto mehr iſt ſie eine Realitaͤt des innern Menſchen, und Staͤrke in der ſelbſtthaͤtigen Seele.
Dagegen vermindert auch die Fertigkeit im Guten an ſich den moraliſchen Werth der Handlung nicht. Die Leichtigkeit gut zu handeln iſt ein Beweis, daß das auf das Gute und Rechtſchaffene gerichtete Vermoͤgen
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und Freyheit.
Der Moraliſt, der die Groͤße der Moralitaͤt, oder
den Grad der Guͤte und der Boͤßheit in der freyen Aktion,
das iſt, die Staͤrke, womit die handelnde Kraft nach
der Richtung hin beſtimmt geweſen ſeyn muß, in der
ſie gewirket hat, um eine ſolche Aktion zu bewirken,
als erfolget iſt, nur einiger Maßen ſchaͤtzen will, muß
doch auch auf beides zugleich, naͤmlich ſowohl auf die
thaͤtige Kraft ſelbſt, als auf das Vermoͤgen zu
dem Gegentheil, Ruͤckſicht nehmen. Sonſt faͤllt
die Schaͤtzung mangelhaft aus. Von einem eigentlichen
Meſſen laͤßt ſich nichts ſagen, da ſolches zur Zeit bey
den Seelengroͤßen nicht moͤglich iſt. Ein Weſen, wel-
ches aus innerer Naturnothwendigkeit Gutes wirket,
welch eine vortreffliche Natur beſitzet es nicht? Aber
dieſe Naturguͤte iſt doch keine freye Guͤte, und ein
freyes Weſen, das eine gleiche Kraft zum Guten be-
ſitzet, wie jenes, hat doch noch mehr innere Guͤte,
und iſt ein groͤßeres Weſen, weil es mit einer groͤßern
innern Kraft wirket, die auch Boͤſes zu thun das Ver-
moͤgen hat, und ihrer ſelbſt maͤchtig iſt, auch dann,
wann ſie Gutes thut. Die nothwendige Guͤte bey
dem Menſchen, ſeine Natur- und Temperamentsguͤte,
hat noch einen deſto wenigern Werth, weil ſie nicht ganz
in einem reellen Grade der innern Selbſtthaͤtigkeit der
Seele beſtehet, ſondern zum Theil nur in dem Koͤrper
ihren Sitz hat, zum Theil auch wahre Schwaͤche und
Ohnmacht iſt. Die allerbeſte menſchliche Tugend iſt
freylich immer in einigem Grade abhaͤngig vom Koͤrper,
aber je mehr ſie doch wahre Tugend iſt, deſto weniger
iſt ſie es, und deſto mehr iſt ſie eine Realitaͤt des innern
Menſchen, und Staͤrke in der ſelbſtthaͤtigen Seele.
Dagegen vermindert auch die Fertigkeit im Guten
an ſich den moraliſchen Werth der Handlung nicht.
Die Leichtigkeit gut zu handeln iſt ein Beweis, daß das
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/57>, abgerufen am 22.11.2024.
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