Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

XIII. Versuch. Ueber das Seelenwesen
eine die andere wieder erwecken und nach sich ziehen
kann, ob sie gleich anfangs zufälliger Weise auf einan-
der erfolgt sind. Wie weit sich diese körperliche As-
sociation
der Bewegungen erstrecke, ob solche eben
so weit gehe, als die Association der Jdeen, und ob
auch hier die nachfolgende Bewegung die vorher-
gehende,
eben so wie die vorhergehende ihre nachfol-
gende, erwecken könne, wie es bey den associirten Jdeen
geschieht: das ist noch näher zu untersuchen. Denn
wenn ein gewisser Eindruck einmal eine gewisse Wir-
kung gehabt hat, die nicht nothwendig mit ihr verbun-
den war: so ist sie doch die unbestimmte physische Ursa-
che desselben gewesen; und es ist begreiflich, wenn sie
mehrmalen nach einander auf einerley Art zu einer be-
sondern Wirkung, durch gewisse begleitende Umstände,
gelenket worden ist, wie sie nun künftig, auch wenn die-
se Umstände fehlen, dieselbige Richtung nehmen könne.
Die Begierde des Kindes zu einem Objekt, das man
ihm vorhält und ihm angenehm machet, wirkte an-
fangs nur einen unbestimmten Trieb in dem ganzen
Körper sich zu bewegen, der aber durch zufällige Um-
stände vorzüglich in den Arm oder in die Füße geleitet
wurde. Wenn nun nachher ein solches Bestreben wie-
der vorhanden ist, so findet der Trieb denselbigen Weg
als den leichtesten vor sich, der schon gebahnt ist; und
die Bewegung erfolget in ihrer Richtung, weil die
Kraft hier die wenigsten Hindernisse antrift. Aber
wenn nun eine solche Bewegung in den Händen und
Füßen durch andere Ursachen, etwan durch Krämpfe,
oder sonsten hervorgebracht wird, sollte diese wohl in die
Gefäße zurücktreten, aus denen die ehemalige Bewe-
gung hervorgieng, und in diesen auch die vormaligen
Veränderungen erwecken? Sollte wiederum eine Be-
gierde etwas zu nehmen oder zu fassen erreget werden;
und noch weiter zurück, in den Werkzeugen des Ge-

sichts,

XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
eine die andere wieder erwecken und nach ſich ziehen
kann, ob ſie gleich anfangs zufaͤlliger Weiſe auf einan-
der erfolgt ſind. Wie weit ſich dieſe koͤrperliche Aſ-
ſociation
der Bewegungen erſtrecke, ob ſolche eben
ſo weit gehe, als die Aſſociation der Jdeen, und ob
auch hier die nachfolgende Bewegung die vorher-
gehende,
eben ſo wie die vorhergehende ihre nachfol-
gende, erwecken koͤnne, wie es bey den aſſociirten Jdeen
geſchieht: das iſt noch naͤher zu unterſuchen. Denn
wenn ein gewiſſer Eindruck einmal eine gewiſſe Wir-
kung gehabt hat, die nicht nothwendig mit ihr verbun-
den war: ſo iſt ſie doch die unbeſtimmte phyſiſche Urſa-
che deſſelben geweſen; und es iſt begreiflich, wenn ſie
mehrmalen nach einander auf einerley Art zu einer be-
ſondern Wirkung, durch gewiſſe begleitende Umſtaͤnde,
gelenket worden iſt, wie ſie nun kuͤnftig, auch wenn die-
ſe Umſtaͤnde fehlen, dieſelbige Richtung nehmen koͤnne.
Die Begierde des Kindes zu einem Objekt, das man
ihm vorhaͤlt und ihm angenehm machet, wirkte an-
fangs nur einen unbeſtimmten Trieb in dem ganzen
Koͤrper ſich zu bewegen, der aber durch zufaͤllige Um-
ſtaͤnde vorzuͤglich in den Arm oder in die Fuͤße geleitet
wurde. Wenn nun nachher ein ſolches Beſtreben wie-
der vorhanden iſt, ſo findet der Trieb denſelbigen Weg
als den leichteſten vor ſich, der ſchon gebahnt iſt; und
die Bewegung erfolget in ihrer Richtung, weil die
Kraft hier die wenigſten Hinderniſſe antrift. Aber
wenn nun eine ſolche Bewegung in den Haͤnden und
Fuͤßen durch andere Urſachen, etwan durch Kraͤmpfe,
oder ſonſten hervorgebracht wird, ſollte dieſe wohl in die
Gefaͤße zuruͤcktreten, aus denen die ehemalige Bewe-
gung hervorgieng, und in dieſen auch die vormaligen
Veraͤnderungen erwecken? Sollte wiederum eine Be-
gierde etwas zu nehmen oder zu faſſen erreget werden;
und noch weiter zuruͤck, in den Werkzeugen des Ge-

ſichts,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0348" n="318"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XIII.</hi> Ver&#x017F;uch. Ueber das Seelenwe&#x017F;en</hi></fw><lb/>
eine die andere wieder erwecken und nach &#x017F;ich ziehen<lb/>
kann, ob &#x017F;ie gleich anfangs zufa&#x0364;lliger Wei&#x017F;e auf einan-<lb/>
der erfolgt &#x017F;ind. Wie weit &#x017F;ich die&#x017F;e <hi rendition="#fr">ko&#x0364;rperliche A&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ociation</hi> der Bewegungen er&#x017F;trecke, ob &#x017F;olche eben<lb/>
&#x017F;o weit gehe, als die A&#x017F;&#x017F;ociation der Jdeen, und ob<lb/>
auch hier die <hi rendition="#fr">nachfolgende</hi> Bewegung die <hi rendition="#fr">vorher-<lb/>
gehende,</hi> eben &#x017F;o wie die vorhergehende ihre nachfol-<lb/>
gende, erwecken ko&#x0364;nne, wie es bey den a&#x017F;&#x017F;ociirten Jdeen<lb/>
ge&#x017F;chieht: das i&#x017F;t noch na&#x0364;her zu unter&#x017F;uchen. Denn<lb/>
wenn ein gewi&#x017F;&#x017F;er Eindruck einmal eine gewi&#x017F;&#x017F;e Wir-<lb/>
kung gehabt hat, die nicht nothwendig mit ihr verbun-<lb/>
den war: &#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;ie doch die unbe&#x017F;timmte phy&#x017F;i&#x017F;che Ur&#x017F;a-<lb/>
che de&#x017F;&#x017F;elben gewe&#x017F;en; und es i&#x017F;t begreiflich, wenn &#x017F;ie<lb/>
mehrmalen nach einander auf einerley Art zu einer be-<lb/>
&#x017F;ondern Wirkung, durch gewi&#x017F;&#x017F;e begleitende Um&#x017F;ta&#x0364;nde,<lb/>
gelenket worden i&#x017F;t, wie &#x017F;ie nun ku&#x0364;nftig, auch wenn die-<lb/>
&#x017F;e Um&#x017F;ta&#x0364;nde fehlen, die&#x017F;elbige Richtung nehmen ko&#x0364;nne.<lb/>
Die Begierde des Kindes zu einem Objekt, das man<lb/>
ihm vorha&#x0364;lt und ihm angenehm machet, wirkte an-<lb/>
fangs nur einen unbe&#x017F;timmten Trieb in dem ganzen<lb/>
Ko&#x0364;rper &#x017F;ich zu bewegen, der aber durch zufa&#x0364;llige Um-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde vorzu&#x0364;glich in den Arm oder in die Fu&#x0364;ße geleitet<lb/>
wurde. Wenn nun nachher ein &#x017F;olches Be&#x017F;treben wie-<lb/>
der vorhanden i&#x017F;t, &#x017F;o findet der Trieb den&#x017F;elbigen Weg<lb/>
als den leichte&#x017F;ten vor &#x017F;ich, der &#x017F;chon gebahnt i&#x017F;t; und<lb/>
die Bewegung erfolget in ihrer Richtung, weil die<lb/>
Kraft hier die wenig&#x017F;ten Hinderni&#x017F;&#x017F;e antrift. Aber<lb/>
wenn nun eine &#x017F;olche Bewegung in den Ha&#x0364;nden und<lb/>
Fu&#x0364;ßen durch andere Ur&#x017F;achen, etwan durch Kra&#x0364;mpfe,<lb/>
oder &#x017F;on&#x017F;ten hervorgebracht wird, &#x017F;ollte die&#x017F;e wohl in die<lb/>
Gefa&#x0364;ße zuru&#x0364;cktreten, aus denen die ehemalige Bewe-<lb/>
gung hervorgieng, und in die&#x017F;en auch die vormaligen<lb/>
Vera&#x0364;nderungen erwecken? Sollte wiederum eine Be-<lb/>
gierde etwas zu nehmen oder zu fa&#x017F;&#x017F;en erreget werden;<lb/>
und noch weiter zuru&#x0364;ck, in den Werkzeugen des Ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ichts,</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[318/0348] XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen eine die andere wieder erwecken und nach ſich ziehen kann, ob ſie gleich anfangs zufaͤlliger Weiſe auf einan- der erfolgt ſind. Wie weit ſich dieſe koͤrperliche Aſ- ſociation der Bewegungen erſtrecke, ob ſolche eben ſo weit gehe, als die Aſſociation der Jdeen, und ob auch hier die nachfolgende Bewegung die vorher- gehende, eben ſo wie die vorhergehende ihre nachfol- gende, erwecken koͤnne, wie es bey den aſſociirten Jdeen geſchieht: das iſt noch naͤher zu unterſuchen. Denn wenn ein gewiſſer Eindruck einmal eine gewiſſe Wir- kung gehabt hat, die nicht nothwendig mit ihr verbun- den war: ſo iſt ſie doch die unbeſtimmte phyſiſche Urſa- che deſſelben geweſen; und es iſt begreiflich, wenn ſie mehrmalen nach einander auf einerley Art zu einer be- ſondern Wirkung, durch gewiſſe begleitende Umſtaͤnde, gelenket worden iſt, wie ſie nun kuͤnftig, auch wenn die- ſe Umſtaͤnde fehlen, dieſelbige Richtung nehmen koͤnne. Die Begierde des Kindes zu einem Objekt, das man ihm vorhaͤlt und ihm angenehm machet, wirkte an- fangs nur einen unbeſtimmten Trieb in dem ganzen Koͤrper ſich zu bewegen, der aber durch zufaͤllige Um- ſtaͤnde vorzuͤglich in den Arm oder in die Fuͤße geleitet wurde. Wenn nun nachher ein ſolches Beſtreben wie- der vorhanden iſt, ſo findet der Trieb denſelbigen Weg als den leichteſten vor ſich, der ſchon gebahnt iſt; und die Bewegung erfolget in ihrer Richtung, weil die Kraft hier die wenigſten Hinderniſſe antrift. Aber wenn nun eine ſolche Bewegung in den Haͤnden und Fuͤßen durch andere Urſachen, etwan durch Kraͤmpfe, oder ſonſten hervorgebracht wird, ſollte dieſe wohl in die Gefaͤße zuruͤcktreten, aus denen die ehemalige Bewe- gung hervorgieng, und in dieſen auch die vormaligen Veraͤnderungen erwecken? Sollte wiederum eine Be- gierde etwas zu nehmen oder zu faſſen erreget werden; und noch weiter zuruͤck, in den Werkzeugen des Ge- ſichts,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/348
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/348>, abgerufen am 23.11.2024.