Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite
im Menschen.

Viele von unsern Vorstellungen, die vorher in keiner
Verbindung gewesen sind, werden durch die selbstthätige
Phantasie alsdenn erst in der Seele associirt, wenn
sie durch andere Ursachen erneuert werden, bloß weil sie
sich auf einerley Zustand in der Seele beziehen. Es ist
anderswo *) dieser selbstthätigen Associationen, die
Wirkungen des Genies sind, erwähnet und zugleich er-
innert worden, wie ferne sie von den unselbstthätigen
Associationen, welche auf der Koexistenz der Jdeen in
den Empfindungen, oder auf ihrer Aehnlichkeit beruhen,
verschieden sind. Jst das Herz vergnügt, so reihen sich
viele heitere Jdeen in der Seele zusammen, die sonsten
keine Verbindung oder Aehnlichkeit unter sich haben, als
daß sie jede für sich und zertheilt mit dieser Gemüthsbe-
schaffenheit als Ursache, oder Wirkung, oder begleiten-
der Umstand verbunden waren.

Herr Bonnet hat eine Art angegeben, wie koexi-
stirende Eindrücke sich in dem Gehirn selbst verbinden,
und vermittelst dieser Verbindung sich einander wieder-
erwecken können. Wenn sie unter sich einander ähnlich
sind, so läßt sich solches wohl begreifen. Aber welche
Schwierigkeiten entstehen nicht, wenn man sich geden-
ken soll, daß auch in solchen Fällen, wo das Gelenke,
das die associirten Jdeen verbindet, in der Seele, in
einer fortdaurenden Empfindung lieget, dennoch ihre
Reproduktion so erfolgen solle, daß eine unmittelbar die
andere hervorziehe, ohne daß die Linie der Reproduktio-
nen durch die Seele selbst gehe. Es sey eine Jmpres-
sion vorhanden, welche uns traurig oder frölich macht:
so ist es dieses Empfindniß, das auch Hr. Bonnet nicht
dem Gehirn, sondern der Seele zuschreibet, wodurch die
sich darauf beziehenden Jdeen, die sonsten in dem Gehirn
zerstreut waren, hervorgezogen, und nun so innig an

einan-
*) Erster Versuch XV. 9.
S 5
im Menſchen.

Viele von unſern Vorſtellungen, die vorher in keiner
Verbindung geweſen ſind, werden durch die ſelbſtthaͤtige
Phantaſie alsdenn erſt in der Seele aſſociirt, wenn
ſie durch andere Urſachen erneuert werden, bloß weil ſie
ſich auf einerley Zuſtand in der Seele beziehen. Es iſt
anderswo *) dieſer ſelbſtthaͤtigen Aſſociationen, die
Wirkungen des Genies ſind, erwaͤhnet und zugleich er-
innert worden, wie ferne ſie von den unſelbſtthaͤtigen
Aſſociationen, welche auf der Koexiſtenz der Jdeen in
den Empfindungen, oder auf ihrer Aehnlichkeit beruhen,
verſchieden ſind. Jſt das Herz vergnuͤgt, ſo reihen ſich
viele heitere Jdeen in der Seele zuſammen, die ſonſten
keine Verbindung oder Aehnlichkeit unter ſich haben, als
daß ſie jede fuͤr ſich und zertheilt mit dieſer Gemuͤthsbe-
ſchaffenheit als Urſache, oder Wirkung, oder begleiten-
der Umſtand verbunden waren.

Herr Bonnet hat eine Art angegeben, wie koexi-
ſtirende Eindruͤcke ſich in dem Gehirn ſelbſt verbinden,
und vermittelſt dieſer Verbindung ſich einander wieder-
erwecken koͤnnen. Wenn ſie unter ſich einander aͤhnlich
ſind, ſo laͤßt ſich ſolches wohl begreifen. Aber welche
Schwierigkeiten entſtehen nicht, wenn man ſich geden-
ken ſoll, daß auch in ſolchen Faͤllen, wo das Gelenke,
das die aſſociirten Jdeen verbindet, in der Seele, in
einer fortdaurenden Empfindung lieget, dennoch ihre
Reproduktion ſo erfolgen ſolle, daß eine unmittelbar die
andere hervorziehe, ohne daß die Linie der Reproduktio-
nen durch die Seele ſelbſt gehe. Es ſey eine Jmpreſ-
ſion vorhanden, welche uns traurig oder froͤlich macht:
ſo iſt es dieſes Empfindniß, das auch Hr. Bonnet nicht
dem Gehirn, ſondern der Seele zuſchreibet, wodurch die
ſich darauf beziehenden Jdeen, die ſonſten in dem Gehirn
zerſtreut waren, hervorgezogen, und nun ſo innig an

einan-
*) Erſter Verſuch XV. 9.
S 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0311" n="281"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">im Men&#x017F;chen.</hi> </fw><lb/>
            <p>Viele von un&#x017F;ern Vor&#x017F;tellungen, die vorher in keiner<lb/>
Verbindung gewe&#x017F;en &#x017F;ind, werden durch die &#x017F;elb&#x017F;ttha&#x0364;tige<lb/>
Phanta&#x017F;ie alsdenn er&#x017F;t in der Seele a&#x017F;&#x017F;ociirt, wenn<lb/>
&#x017F;ie durch andere Ur&#x017F;achen erneuert werden, bloß weil &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich auf einerley Zu&#x017F;tand in der Seele beziehen. Es i&#x017F;t<lb/>
anderswo <note place="foot" n="*)">Er&#x017F;ter Ver&#x017F;uch <hi rendition="#aq">XV.</hi> 9.</note> die&#x017F;er <hi rendition="#fr">&#x017F;elb&#x017F;ttha&#x0364;tigen A&#x017F;&#x017F;ociationen,</hi> die<lb/>
Wirkungen des Genies &#x017F;ind, erwa&#x0364;hnet und zugleich er-<lb/>
innert worden, wie ferne &#x017F;ie von den un&#x017F;elb&#x017F;ttha&#x0364;tigen<lb/>
A&#x017F;&#x017F;ociationen, welche auf der Koexi&#x017F;tenz der Jdeen in<lb/>
den Empfindungen, oder auf ihrer Aehnlichkeit beruhen,<lb/>
ver&#x017F;chieden &#x017F;ind. J&#x017F;t das Herz vergnu&#x0364;gt, &#x017F;o reihen &#x017F;ich<lb/>
viele heitere Jdeen in der Seele zu&#x017F;ammen, die &#x017F;on&#x017F;ten<lb/>
keine Verbindung oder Aehnlichkeit unter &#x017F;ich haben, als<lb/>
daß &#x017F;ie jede fu&#x0364;r &#x017F;ich und zertheilt mit die&#x017F;er Gemu&#x0364;thsbe-<lb/>
&#x017F;chaffenheit als Ur&#x017F;ache, oder Wirkung, oder begleiten-<lb/>
der Um&#x017F;tand verbunden waren.</p><lb/>
            <p>Herr <hi rendition="#fr">Bonnet</hi> hat eine Art angegeben, wie koexi-<lb/>
&#x017F;tirende Eindru&#x0364;cke &#x017F;ich in dem Gehirn &#x017F;elb&#x017F;t verbinden,<lb/>
und vermittel&#x017F;t die&#x017F;er Verbindung &#x017F;ich einander wieder-<lb/>
erwecken ko&#x0364;nnen. Wenn &#x017F;ie unter &#x017F;ich einander a&#x0364;hnlich<lb/>
&#x017F;ind, &#x017F;o la&#x0364;ßt &#x017F;ich &#x017F;olches wohl begreifen. Aber welche<lb/>
Schwierigkeiten ent&#x017F;tehen nicht, wenn man &#x017F;ich geden-<lb/>
ken &#x017F;oll, daß auch in &#x017F;olchen Fa&#x0364;llen, wo das Gelenke,<lb/>
das die a&#x017F;&#x017F;ociirten Jdeen verbindet, in der Seele, in<lb/>
einer fortdaurenden Empfindung lieget, dennoch ihre<lb/>
Reproduktion &#x017F;o erfolgen &#x017F;olle, daß eine unmittelbar die<lb/>
andere hervorziehe, ohne daß die Linie der Reproduktio-<lb/>
nen durch die Seele &#x017F;elb&#x017F;t gehe. Es &#x017F;ey eine Jmpre&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ion vorhanden, welche uns traurig oder fro&#x0364;lich macht:<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t es die&#x017F;es Empfindniß, das auch Hr. <hi rendition="#fr">Bonnet</hi> nicht<lb/>
dem Gehirn, &#x017F;ondern der Seele zu&#x017F;chreibet, wodurch die<lb/>
&#x017F;ich darauf beziehenden Jdeen, die &#x017F;on&#x017F;ten in dem Gehirn<lb/>
zer&#x017F;treut waren, hervorgezogen, und nun &#x017F;o innig an<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">S 5</fw><fw place="bottom" type="catch">einan-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[281/0311] im Menſchen. Viele von unſern Vorſtellungen, die vorher in keiner Verbindung geweſen ſind, werden durch die ſelbſtthaͤtige Phantaſie alsdenn erſt in der Seele aſſociirt, wenn ſie durch andere Urſachen erneuert werden, bloß weil ſie ſich auf einerley Zuſtand in der Seele beziehen. Es iſt anderswo *) dieſer ſelbſtthaͤtigen Aſſociationen, die Wirkungen des Genies ſind, erwaͤhnet und zugleich er- innert worden, wie ferne ſie von den unſelbſtthaͤtigen Aſſociationen, welche auf der Koexiſtenz der Jdeen in den Empfindungen, oder auf ihrer Aehnlichkeit beruhen, verſchieden ſind. Jſt das Herz vergnuͤgt, ſo reihen ſich viele heitere Jdeen in der Seele zuſammen, die ſonſten keine Verbindung oder Aehnlichkeit unter ſich haben, als daß ſie jede fuͤr ſich und zertheilt mit dieſer Gemuͤthsbe- ſchaffenheit als Urſache, oder Wirkung, oder begleiten- der Umſtand verbunden waren. Herr Bonnet hat eine Art angegeben, wie koexi- ſtirende Eindruͤcke ſich in dem Gehirn ſelbſt verbinden, und vermittelſt dieſer Verbindung ſich einander wieder- erwecken koͤnnen. Wenn ſie unter ſich einander aͤhnlich ſind, ſo laͤßt ſich ſolches wohl begreifen. Aber welche Schwierigkeiten entſtehen nicht, wenn man ſich geden- ken ſoll, daß auch in ſolchen Faͤllen, wo das Gelenke, das die aſſociirten Jdeen verbindet, in der Seele, in einer fortdaurenden Empfindung lieget, dennoch ihre Reproduktion ſo erfolgen ſolle, daß eine unmittelbar die andere hervorziehe, ohne daß die Linie der Reproduktio- nen durch die Seele ſelbſt gehe. Es ſey eine Jmpreſ- ſion vorhanden, welche uns traurig oder froͤlich macht: ſo iſt es dieſes Empfindniß, das auch Hr. Bonnet nicht dem Gehirn, ſondern der Seele zuſchreibet, wodurch die ſich darauf beziehenden Jdeen, die ſonſten in dem Gehirn zerſtreut waren, hervorgezogen, und nun ſo innig an einan- *) Erſter Verſuch XV. 9. S 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/311
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/311>, abgerufen am 23.11.2024.