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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XIII. Versuch. Ueber das Seelenwesen
der Seele auf den Körper zuschreiben. Die Gehirns-
fibern, die sinnlich beweget werden, wenn Vorstellungen da
sind, haben eine Verbindung mit denen, wodurch die
weiter abstehenden Theile des Körpers in Bewegung ge-
setzt werden. Dieß ist die Verbindung der Vorstel-
lungsfibern
mit den Thätigkeitsfibern. Jndem
also die Seele die sinnlichen Bewegungen der erstern
verstärket oder schwächet, so regiert und lenkt sie auch
die Thätigkeitsfibern und ihre Wirkungen. Herr Bon-
net hätte diese Stelle seines Systems noch mehr ins
Helle setzen können, wenn er die Natur unserer Jdeen,
die wir von den Thätigkeiten und Bewegungen des
Körpers haben, genauer untersuchet hätte. Die an-
schauliche Vorstellung einer Aktion ist schon ein
schwacher Anfang zur Bewegung in den Thätigkeitsfi-
bern selbst, wie ich anderswo gezeiget habe.*) So oft
man sich lebhaft vorstellet, wie man den Arm bewege,
den Kopf umdrehe, gähne u. s. w. so ist schon eine An-
wandlung in uns da solche Bewegungen wirklich vor-
zunehmen, und diese geht in eine volle Bewegung über,
wenn das nämliche Bestreben der Seele fortdauert, und
nichts in den Weg kommt, wodurch ihre Kraft anders-
wohin gerichtet wird. Hieraus würde die Folgerung
gezogen werden können, daß die Verbindung der Aktio-
nen mit den Vorstellungen von derselbigen Verknüpfung
der Gehirnsfibern abhange, woraus die Jdeenassocia-
tion überhaupt entspringet, ohne daß außer dieser noch
ein eigener Zusammenhang zwischen Denk- und Hand-
lungsfasern angenommen werden dürfe.

Dieß ist die Jdee des Hrn. Bonnets von der
menschlichen Seelennatur. Die Vorstellung, welche
Herr Search und andere Neuere sich davon machen,
scheinet im Grunde dieselbige zu seyn; nur ist sie von

kei-
*) Zehnter Versuch II.

XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
der Seele auf den Koͤrper zuſchreiben. Die Gehirns-
fibern, die ſinnlich beweget werden, wenn Vorſtellungen da
ſind, haben eine Verbindung mit denen, wodurch die
weiter abſtehenden Theile des Koͤrpers in Bewegung ge-
ſetzt werden. Dieß iſt die Verbindung der Vorſtel-
lungsfibern
mit den Thaͤtigkeitsfibern. Jndem
alſo die Seele die ſinnlichen Bewegungen der erſtern
verſtaͤrket oder ſchwaͤchet, ſo regiert und lenkt ſie auch
die Thaͤtigkeitsfibern und ihre Wirkungen. Herr Bon-
net haͤtte dieſe Stelle ſeines Syſtems noch mehr ins
Helle ſetzen koͤnnen, wenn er die Natur unſerer Jdeen,
die wir von den Thaͤtigkeiten und Bewegungen des
Koͤrpers haben, genauer unterſuchet haͤtte. Die an-
ſchauliche Vorſtellung einer Aktion iſt ſchon ein
ſchwacher Anfang zur Bewegung in den Thaͤtigkeitsfi-
bern ſelbſt, wie ich anderswo gezeiget habe.*) So oft
man ſich lebhaft vorſtellet, wie man den Arm bewege,
den Kopf umdrehe, gaͤhne u. ſ. w. ſo iſt ſchon eine An-
wandlung in uns da ſolche Bewegungen wirklich vor-
zunehmen, und dieſe geht in eine volle Bewegung uͤber,
wenn das naͤmliche Beſtreben der Seele fortdauert, und
nichts in den Weg kommt, wodurch ihre Kraft anders-
wohin gerichtet wird. Hieraus wuͤrde die Folgerung
gezogen werden koͤnnen, daß die Verbindung der Aktio-
nen mit den Vorſtellungen von derſelbigen Verknuͤpfung
der Gehirnsfibern abhange, woraus die Jdeenaſſocia-
tion uͤberhaupt entſpringet, ohne daß außer dieſer noch
ein eigener Zuſammenhang zwiſchen Denk- und Hand-
lungsfaſern angenommen werden duͤrfe.

Dieß iſt die Jdee des Hrn. Bonnets von der
menſchlichen Seelennatur. Die Vorſtellung, welche
Herr Search und andere Neuere ſich davon machen,
ſcheinet im Grunde dieſelbige zu ſeyn; nur iſt ſie von

kei-
*) Zehnter Verſuch II.
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[246/0276] XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen der Seele auf den Koͤrper zuſchreiben. Die Gehirns- fibern, die ſinnlich beweget werden, wenn Vorſtellungen da ſind, haben eine Verbindung mit denen, wodurch die weiter abſtehenden Theile des Koͤrpers in Bewegung ge- ſetzt werden. Dieß iſt die Verbindung der Vorſtel- lungsfibern mit den Thaͤtigkeitsfibern. Jndem alſo die Seele die ſinnlichen Bewegungen der erſtern verſtaͤrket oder ſchwaͤchet, ſo regiert und lenkt ſie auch die Thaͤtigkeitsfibern und ihre Wirkungen. Herr Bon- net haͤtte dieſe Stelle ſeines Syſtems noch mehr ins Helle ſetzen koͤnnen, wenn er die Natur unſerer Jdeen, die wir von den Thaͤtigkeiten und Bewegungen des Koͤrpers haben, genauer unterſuchet haͤtte. Die an- ſchauliche Vorſtellung einer Aktion iſt ſchon ein ſchwacher Anfang zur Bewegung in den Thaͤtigkeitsfi- bern ſelbſt, wie ich anderswo gezeiget habe. *) So oft man ſich lebhaft vorſtellet, wie man den Arm bewege, den Kopf umdrehe, gaͤhne u. ſ. w. ſo iſt ſchon eine An- wandlung in uns da ſolche Bewegungen wirklich vor- zunehmen, und dieſe geht in eine volle Bewegung uͤber, wenn das naͤmliche Beſtreben der Seele fortdauert, und nichts in den Weg kommt, wodurch ihre Kraft anders- wohin gerichtet wird. Hieraus wuͤrde die Folgerung gezogen werden koͤnnen, daß die Verbindung der Aktio- nen mit den Vorſtellungen von derſelbigen Verknuͤpfung der Gehirnsfibern abhange, woraus die Jdeenaſſocia- tion uͤberhaupt entſpringet, ohne daß außer dieſer noch ein eigener Zuſammenhang zwiſchen Denk- und Hand- lungsfaſern angenommen werden duͤrfe. Dieß iſt die Jdee des Hrn. Bonnets von der menſchlichen Seelennatur. Die Vorſtellung, welche Herr Search und andere Neuere ſich davon machen, ſcheinet im Grunde dieſelbige zu ſeyn; nur iſt ſie von kei- *) Zehnter Verſuch II.

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/276>, abgerufen am 23.11.2024.