Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

im Menschen.
auch eine sinnliche Bewegung, die für sich selbst gleich-
gültig ist, wegen ihrer Verbindung mit andern ange-
nehm oder unangenehm seyn. Jndem nun aber die
Aufmerksamkeit bey Einer Vorstellung verweilet, oder
zu einer andern übergehet: so giebt jenes, wie dieses,
Anlässe genug zu einer Menge anderer Reproduktionen
im Gehirn und zu Vorstellungen in der Seele, aus de-
nen sie wiederum einige auswählet und andere zurück-
lässet, wie sie es für gut befindet.

Die Seele ist nach dieser Vorstellung in Hinsicht
auf ihr Gehirn weniger, als ein Spieler in Hinsicht
auf sein Klavier; und das Gehirn ist mehr bey der
Seele, als das Jnstrument bey dem Spieler. Das
Seelenorgan ist ein Jnstrument, worauf die äußern
Gegenstände zu spielen anfangen, die Töne anfangs in
den Saiten angeben, und dann die Saiten auf eine
solche Art spannen, daß sie um ein vieles gegen die näm-
lichen Töne empfindlicher gemacht werden, als sie es
vorhero waren. Und wenn nun dieses bey allen Saiten
geschehen ist, so spielet das Jnstrument von selbst, so
bald als einige Saiten durch irgend eine Ursache in Be-
wegung gebracht sind. Die Seele sitzet in dem Jn-
nern dieses Automatons; und obgleich dieses keinen Ton
hervorbringet, ohne daß jene modificirt wird: so thut
doch die Seele nichts mehr, als daß sie das Spiel len-
ket, einzelne Töne mäßiget oder verstärket, nachdem es
ihr gefällt, und so weit sie kann. Vielleicht würde
diese Beywirkung der Seele zu dem Organ besser mit
dem Geschäfft eines Steuermanns zu vergleichen seyn,
der dem Schiffe keine Bewegung mittheilet, aber es
führet und lenket, wenn es von dem Wind und Strom
getrieben wird.

Den nämlichen Antheil, nicht mehr oder nicht we-
niger, hat die Seele auch an den Bewegungen des
Körpers,
und an der innern Wirksamkeit, die wir

der
Q 3

im Menſchen.
auch eine ſinnliche Bewegung, die fuͤr ſich ſelbſt gleich-
guͤltig iſt, wegen ihrer Verbindung mit andern ange-
nehm oder unangenehm ſeyn. Jndem nun aber die
Aufmerkſamkeit bey Einer Vorſtellung verweilet, oder
zu einer andern uͤbergehet: ſo giebt jenes, wie dieſes,
Anlaͤſſe genug zu einer Menge anderer Reproduktionen
im Gehirn und zu Vorſtellungen in der Seele, aus de-
nen ſie wiederum einige auswaͤhlet und andere zuruͤck-
laͤſſet, wie ſie es fuͤr gut befindet.

Die Seele iſt nach dieſer Vorſtellung in Hinſicht
auf ihr Gehirn weniger, als ein Spieler in Hinſicht
auf ſein Klavier; und das Gehirn iſt mehr bey der
Seele, als das Jnſtrument bey dem Spieler. Das
Seelenorgan iſt ein Jnſtrument, worauf die aͤußern
Gegenſtaͤnde zu ſpielen anfangen, die Toͤne anfangs in
den Saiten angeben, und dann die Saiten auf eine
ſolche Art ſpannen, daß ſie um ein vieles gegen die naͤm-
lichen Toͤne empfindlicher gemacht werden, als ſie es
vorhero waren. Und wenn nun dieſes bey allen Saiten
geſchehen iſt, ſo ſpielet das Jnſtrument von ſelbſt, ſo
bald als einige Saiten durch irgend eine Urſache in Be-
wegung gebracht ſind. Die Seele ſitzet in dem Jn-
nern dieſes Automatons; und obgleich dieſes keinen Ton
hervorbringet, ohne daß jene modificirt wird: ſo thut
doch die Seele nichts mehr, als daß ſie das Spiel len-
ket, einzelne Toͤne maͤßiget oder verſtaͤrket, nachdem es
ihr gefaͤllt, und ſo weit ſie kann. Vielleicht wuͤrde
dieſe Beywirkung der Seele zu dem Organ beſſer mit
dem Geſchaͤfft eines Steuermanns zu vergleichen ſeyn,
der dem Schiffe keine Bewegung mittheilet, aber es
fuͤhret und lenket, wenn es von dem Wind und Strom
getrieben wird.

Den naͤmlichen Antheil, nicht mehr oder nicht we-
niger, hat die Seele auch an den Bewegungen des
Koͤrpers,
und an der innern Wirkſamkeit, die wir

der
Q 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0275" n="245"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">im Men&#x017F;chen.</hi></fw><lb/>
auch eine &#x017F;innliche Bewegung, die fu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t gleich-<lb/>
gu&#x0364;ltig i&#x017F;t, wegen ihrer Verbindung mit andern ange-<lb/>
nehm oder unangenehm &#x017F;eyn. Jndem nun aber die<lb/>
Aufmerk&#x017F;amkeit bey Einer Vor&#x017F;tellung verweilet, oder<lb/>
zu einer andern u&#x0364;bergehet: &#x017F;o giebt jenes, wie die&#x017F;es,<lb/>
Anla&#x0364;&#x017F;&#x017F;e genug zu einer Menge anderer Reproduktionen<lb/>
im Gehirn und zu Vor&#x017F;tellungen in der Seele, aus de-<lb/>
nen &#x017F;ie wiederum einige auswa&#x0364;hlet und andere zuru&#x0364;ck-<lb/>
la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et, wie &#x017F;ie es fu&#x0364;r gut befindet.</p><lb/>
          <p>Die Seele i&#x017F;t nach die&#x017F;er Vor&#x017F;tellung in Hin&#x017F;icht<lb/>
auf ihr Gehirn weniger, als ein Spieler in Hin&#x017F;icht<lb/>
auf &#x017F;ein Klavier; und das Gehirn i&#x017F;t mehr bey der<lb/>
Seele, als das Jn&#x017F;trument bey dem Spieler. Das<lb/>
Seelenorgan i&#x017F;t ein Jn&#x017F;trument, worauf die a&#x0364;ußern<lb/>
Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde zu &#x017F;pielen anfangen, die To&#x0364;ne anfangs in<lb/>
den Saiten angeben, und dann die Saiten auf eine<lb/>
&#x017F;olche Art &#x017F;pannen, daß &#x017F;ie um ein vieles gegen die na&#x0364;m-<lb/>
lichen To&#x0364;ne empfindlicher gemacht werden, als &#x017F;ie es<lb/>
vorhero waren. Und wenn nun die&#x017F;es bey allen Saiten<lb/>
ge&#x017F;chehen i&#x017F;t, &#x017F;o &#x017F;pielet das Jn&#x017F;trument von &#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;o<lb/>
bald als einige Saiten durch irgend eine Ur&#x017F;ache in Be-<lb/>
wegung gebracht &#x017F;ind. Die Seele &#x017F;itzet in dem Jn-<lb/>
nern die&#x017F;es Automatons; und obgleich die&#x017F;es keinen Ton<lb/>
hervorbringet, ohne daß jene modificirt wird: &#x017F;o thut<lb/>
doch die Seele nichts mehr, als daß &#x017F;ie das Spiel len-<lb/>
ket, einzelne To&#x0364;ne ma&#x0364;ßiget oder ver&#x017F;ta&#x0364;rket, nachdem es<lb/>
ihr gefa&#x0364;llt, und &#x017F;o weit &#x017F;ie kann. Vielleicht wu&#x0364;rde<lb/>
die&#x017F;e Beywirkung der Seele zu dem Organ be&#x017F;&#x017F;er mit<lb/>
dem Ge&#x017F;cha&#x0364;fft eines Steuermanns zu vergleichen &#x017F;eyn,<lb/>
der dem Schiffe keine Bewegung mittheilet, aber es<lb/>
fu&#x0364;hret und lenket, wenn es von dem Wind und Strom<lb/>
getrieben wird.</p><lb/>
          <p>Den na&#x0364;mlichen Antheil, nicht mehr oder nicht we-<lb/>
niger, hat die Seele auch an den <hi rendition="#fr">Bewegungen des<lb/>
Ko&#x0364;rpers,</hi> und an der innern Wirk&#x017F;amkeit, die wir<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Q 3</fw><fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[245/0275] im Menſchen. auch eine ſinnliche Bewegung, die fuͤr ſich ſelbſt gleich- guͤltig iſt, wegen ihrer Verbindung mit andern ange- nehm oder unangenehm ſeyn. Jndem nun aber die Aufmerkſamkeit bey Einer Vorſtellung verweilet, oder zu einer andern uͤbergehet: ſo giebt jenes, wie dieſes, Anlaͤſſe genug zu einer Menge anderer Reproduktionen im Gehirn und zu Vorſtellungen in der Seele, aus de- nen ſie wiederum einige auswaͤhlet und andere zuruͤck- laͤſſet, wie ſie es fuͤr gut befindet. Die Seele iſt nach dieſer Vorſtellung in Hinſicht auf ihr Gehirn weniger, als ein Spieler in Hinſicht auf ſein Klavier; und das Gehirn iſt mehr bey der Seele, als das Jnſtrument bey dem Spieler. Das Seelenorgan iſt ein Jnſtrument, worauf die aͤußern Gegenſtaͤnde zu ſpielen anfangen, die Toͤne anfangs in den Saiten angeben, und dann die Saiten auf eine ſolche Art ſpannen, daß ſie um ein vieles gegen die naͤm- lichen Toͤne empfindlicher gemacht werden, als ſie es vorhero waren. Und wenn nun dieſes bey allen Saiten geſchehen iſt, ſo ſpielet das Jnſtrument von ſelbſt, ſo bald als einige Saiten durch irgend eine Urſache in Be- wegung gebracht ſind. Die Seele ſitzet in dem Jn- nern dieſes Automatons; und obgleich dieſes keinen Ton hervorbringet, ohne daß jene modificirt wird: ſo thut doch die Seele nichts mehr, als daß ſie das Spiel len- ket, einzelne Toͤne maͤßiget oder verſtaͤrket, nachdem es ihr gefaͤllt, und ſo weit ſie kann. Vielleicht wuͤrde dieſe Beywirkung der Seele zu dem Organ beſſer mit dem Geſchaͤfft eines Steuermanns zu vergleichen ſeyn, der dem Schiffe keine Bewegung mittheilet, aber es fuͤhret und lenket, wenn es von dem Wind und Strom getrieben wird. Den naͤmlichen Antheil, nicht mehr oder nicht we- niger, hat die Seele auch an den Bewegungen des Koͤrpers, und an der innern Wirkſamkeit, die wir der Q 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/275
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/275>, abgerufen am 17.05.2024.