Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite
XIII. Versuch. Ueber das Seelenwesen

Jch habe jetzo, da ich den Mond zwar nicht sehe,
aber an ihn denke, eine Vorstellung von ihm. Es ist
also wiederum eine Modifikation meines Jchs vorhan-
den, eine Bestimmung oder Einschränkung der Seelen-
kraft, und eine gleichzeitige Modifikation in meinem
Gehirn. Die Seele ist also ein Ding, worinn etwas
ist, als eine Beschaffenheit in einem Subjekt. Aber
hievon ist eigentlich die Frage nicht.

Die Empfindung hinterläßt eine Spur, auch wenn
sie bis dahin vorübergehet, daß ich von ihr nichts mehr
weiß. Worinn diese Spur bestehe, weiß ich nicht.
Vielleicht ist es die nämliche oder doch eine gleichartige
Modifikation, wie die Empfindung selbst war, nur ge-
schwächt, in sich zusammengezogen, eingewickelt, so
daß sie nicht mehr als gegenwärtig vorhanden gewahr-
genommen werden kann; aber doch so, daß sie, ohne
eine neue Jmpression von dem äußern Objekt, wiederum
verstärket, ausgebreitet, entfaltet, und dann als ein mir
gegenwärtiges Phantasma gewahrgenommen werden
kann.

Vielleicht ist es so etwas, als man sich unter dem
Bestreben oder unter der Tendenz einer Kraft, sich
in einen gewissen Zustand zu versetzen, vorbildet. Aber
was es auch sey, so hat es die Folge, daß eine gewisse
Leichtigkeit in uns vorhanden ist eine gewisse, der
ehemaligen Empfindung ähnliche Modifikation anzuneh-
men, oder in einen ähnlichen Zustand versetzet zu wer-
den, welche Disposition vorher nicht da war, sondern
aus der Empfindung entstanden ist. Solche Leich-
tigkeiten
oder eigentlich die Beschaffenheiten, welche
der Grund von ihnen sind, machen die ruhenden Vor-
stellungen in dem Gedächtnisse
aus; und solche
sind in uns vorhanden, auch wenn wir sie nicht ge-
brauchen.

Wo
XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen

Jch habe jetzo, da ich den Mond zwar nicht ſehe,
aber an ihn denke, eine Vorſtellung von ihm. Es iſt
alſo wiederum eine Modifikation meines Jchs vorhan-
den, eine Beſtimmung oder Einſchraͤnkung der Seelen-
kraft, und eine gleichzeitige Modifikation in meinem
Gehirn. Die Seele iſt alſo ein Ding, worinn etwas
iſt, als eine Beſchaffenheit in einem Subjekt. Aber
hievon iſt eigentlich die Frage nicht.

Die Empfindung hinterlaͤßt eine Spur, auch wenn
ſie bis dahin voruͤbergehet, daß ich von ihr nichts mehr
weiß. Worinn dieſe Spur beſtehe, weiß ich nicht.
Vielleicht iſt es die naͤmliche oder doch eine gleichartige
Modifikation, wie die Empfindung ſelbſt war, nur ge-
ſchwaͤcht, in ſich zuſammengezogen, eingewickelt, ſo
daß ſie nicht mehr als gegenwaͤrtig vorhanden gewahr-
genommen werden kann; aber doch ſo, daß ſie, ohne
eine neue Jmpreſſion von dem aͤußern Objekt, wiederum
verſtaͤrket, ausgebreitet, entfaltet, und dann als ein mir
gegenwaͤrtiges Phantasma gewahrgenommen werden
kann.

Vielleicht iſt es ſo etwas, als man ſich unter dem
Beſtreben oder unter der Tendenz einer Kraft, ſich
in einen gewiſſen Zuſtand zu verſetzen, vorbildet. Aber
was es auch ſey, ſo hat es die Folge, daß eine gewiſſe
Leichtigkeit in uns vorhanden iſt eine gewiſſe, der
ehemaligen Empfindung aͤhnliche Modifikation anzuneh-
men, oder in einen aͤhnlichen Zuſtand verſetzet zu wer-
den, welche Diſpoſition vorher nicht da war, ſondern
aus der Empfindung entſtanden iſt. Solche Leich-
tigkeiten
oder eigentlich die Beſchaffenheiten, welche
der Grund von ihnen ſind, machen die ruhenden Vor-
ſtellungen in dem Gedaͤchtniſſe
aus; und ſolche
ſind in uns vorhanden, auch wenn wir ſie nicht ge-
brauchen.

Wo
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0248" n="218"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XIII.</hi> Ver&#x017F;uch. Ueber das Seelenwe&#x017F;en</hi> </fw><lb/>
            <p>Jch habe jetzo, da ich den Mond zwar nicht &#x017F;ehe,<lb/>
aber an ihn denke, eine Vor&#x017F;tellung von ihm. Es i&#x017F;t<lb/>
al&#x017F;o wiederum eine Modifikation meines Jchs vorhan-<lb/>
den, eine Be&#x017F;timmung oder Ein&#x017F;chra&#x0364;nkung der Seelen-<lb/>
kraft, und eine gleichzeitige Modifikation in meinem<lb/>
Gehirn. Die Seele i&#x017F;t al&#x017F;o ein Ding, worinn etwas<lb/>
i&#x017F;t, als eine Be&#x017F;chaffenheit in einem Subjekt. Aber<lb/>
hievon i&#x017F;t eigentlich die Frage nicht.</p><lb/>
            <p>Die Empfindung hinterla&#x0364;ßt eine Spur, auch wenn<lb/>
&#x017F;ie bis dahin voru&#x0364;bergehet, daß ich von ihr nichts mehr<lb/>
weiß. Worinn die&#x017F;e Spur be&#x017F;tehe, weiß ich nicht.<lb/>
Vielleicht i&#x017F;t es die na&#x0364;mliche oder doch eine gleichartige<lb/>
Modifikation, wie die Empfindung &#x017F;elb&#x017F;t war, nur ge-<lb/>
&#x017F;chwa&#x0364;cht, in &#x017F;ich zu&#x017F;ammengezogen, eingewickelt, &#x017F;o<lb/>
daß &#x017F;ie nicht mehr als gegenwa&#x0364;rtig vorhanden gewahr-<lb/>
genommen werden kann; aber doch &#x017F;o, daß &#x017F;ie, ohne<lb/>
eine neue Jmpre&#x017F;&#x017F;ion von dem a&#x0364;ußern Objekt, wiederum<lb/>
ver&#x017F;ta&#x0364;rket, ausgebreitet, entfaltet, und dann als ein mir<lb/>
gegenwa&#x0364;rtiges Phantasma gewahrgenommen werden<lb/>
kann.</p><lb/>
            <p>Vielleicht i&#x017F;t es &#x017F;o etwas, als man &#x017F;ich unter dem<lb/><hi rendition="#fr">Be&#x017F;treben</hi> oder unter der <hi rendition="#fr">Tendenz</hi> einer Kraft, &#x017F;ich<lb/>
in einen gewi&#x017F;&#x017F;en Zu&#x017F;tand zu ver&#x017F;etzen, vorbildet. Aber<lb/>
was es auch &#x017F;ey, &#x017F;o hat es die Folge, daß eine gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/><hi rendition="#fr">Leichtigkeit</hi> in uns vorhanden i&#x017F;t eine gewi&#x017F;&#x017F;e, der<lb/>
ehemaligen Empfindung a&#x0364;hnliche Modifikation anzuneh-<lb/>
men, oder in einen a&#x0364;hnlichen Zu&#x017F;tand ver&#x017F;etzet zu wer-<lb/>
den, welche Di&#x017F;po&#x017F;ition vorher nicht da war, &#x017F;ondern<lb/>
aus der Empfindung ent&#x017F;tanden i&#x017F;t. Solche <hi rendition="#fr">Leich-<lb/>
tigkeiten</hi> oder eigentlich die Be&#x017F;chaffenheiten, welche<lb/>
der Grund von ihnen &#x017F;ind, machen die <hi rendition="#fr">ruhenden Vor-<lb/>
&#x017F;tellungen in dem Geda&#x0364;chtni&#x017F;&#x017F;e</hi> aus; und &#x017F;olche<lb/>
&#x017F;ind in uns vorhanden, auch wenn wir &#x017F;ie nicht ge-<lb/>
brauchen.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Wo</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[218/0248] XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen Jch habe jetzo, da ich den Mond zwar nicht ſehe, aber an ihn denke, eine Vorſtellung von ihm. Es iſt alſo wiederum eine Modifikation meines Jchs vorhan- den, eine Beſtimmung oder Einſchraͤnkung der Seelen- kraft, und eine gleichzeitige Modifikation in meinem Gehirn. Die Seele iſt alſo ein Ding, worinn etwas iſt, als eine Beſchaffenheit in einem Subjekt. Aber hievon iſt eigentlich die Frage nicht. Die Empfindung hinterlaͤßt eine Spur, auch wenn ſie bis dahin voruͤbergehet, daß ich von ihr nichts mehr weiß. Worinn dieſe Spur beſtehe, weiß ich nicht. Vielleicht iſt es die naͤmliche oder doch eine gleichartige Modifikation, wie die Empfindung ſelbſt war, nur ge- ſchwaͤcht, in ſich zuſammengezogen, eingewickelt, ſo daß ſie nicht mehr als gegenwaͤrtig vorhanden gewahr- genommen werden kann; aber doch ſo, daß ſie, ohne eine neue Jmpreſſion von dem aͤußern Objekt, wiederum verſtaͤrket, ausgebreitet, entfaltet, und dann als ein mir gegenwaͤrtiges Phantasma gewahrgenommen werden kann. Vielleicht iſt es ſo etwas, als man ſich unter dem Beſtreben oder unter der Tendenz einer Kraft, ſich in einen gewiſſen Zuſtand zu verſetzen, vorbildet. Aber was es auch ſey, ſo hat es die Folge, daß eine gewiſſe Leichtigkeit in uns vorhanden iſt eine gewiſſe, der ehemaligen Empfindung aͤhnliche Modifikation anzuneh- men, oder in einen aͤhnlichen Zuſtand verſetzet zu wer- den, welche Diſpoſition vorher nicht da war, ſondern aus der Empfindung entſtanden iſt. Solche Leich- tigkeiten oder eigentlich die Beſchaffenheiten, welche der Grund von ihnen ſind, machen die ruhenden Vor- ſtellungen in dem Gedaͤchtniſſe aus; und ſolche ſind in uns vorhanden, auch wenn wir ſie nicht ge- brauchen. Wo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/248
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/248>, abgerufen am 05.05.2024.