Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

XIII. Versuch. Ueber das Seelenwesen
eine gleichzeitige Veränderung des Gehirns erfodert,
und diese Organsbeschaffenheit auch wiederum vorhan-
den seyn muß, wenn wir den Aktus des Fühlens ge-
wahrnehmen sollen, so folgt, daß unsere Vorstellung
von unserm Fühlen auch von der Einrichtung des innern
Organs abhange, eben so, wie der erste Aktus des Füh-
lens selbst zum Theil davon abhänget. Ein anderes
Organ würde also eine andere Vorstellung von dem Aktus
des Fühlens geben.

Diese Anmerkung wirft ein undurchdringliches
Dunkel um das Jnnre unserer Seelenäußerungen, un-
sers Fühlens, Denkens, Wollens u. s. f. worinn auch
das schärfste Auge nichts erkennen kann. So wenig
die ersten einfachen Elemente der Körper und ihre ein-
fachen Wirkungen sich durch die Zergliederung dem An-
schauen darstellen lassen, und so wenig jemals der schärf-
ste Blick des Menschen in dem weißen Lichtstrahl die
vereinigten Farbenstrahlen unterscheiden wird; eben so
wenig ist zu erwarten, daß ein Beobachter seiner selbst
durch die bloße Aufmerksamkeit auf sein Gefühl es aus-
machen werde, ob die Seelenäußerungen, die vor ihm
einfach sind, auch wirklich einfach oder zusammengesetzt;
und ob sie aus einerleyartigen oder verschiedenartigen
Bestrebungen entstehen? Das Fühlen, das Denken,
das Selbstbestimmen ist vor uns etwas einfaches ohne
innere Mannichfaltigkeit; aber da es vor uns ein Phä-
nomen ist, so kann es entweder eine solche Empfindung
seyn, welche aus unterschiedenen Theilen zusammenge-
setzt ist, wie die von dem weißen Lichte ist, oder sie kann
aus homogenen Kraftäußerungen bestehen, wie die
Jdeen von den einfachen Grundfarben, von welchen wir
es noch nicht wissen, daß sie heterogene Theile in sich
enthalten.

Aber ich sage nur, die Beobachtung allein
könne hier nichts ausrichten, nicht eindringen, und

nichts

XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
eine gleichzeitige Veraͤnderung des Gehirns erfodert,
und dieſe Organsbeſchaffenheit auch wiederum vorhan-
den ſeyn muß, wenn wir den Aktus des Fuͤhlens ge-
wahrnehmen ſollen, ſo folgt, daß unſere Vorſtellung
von unſerm Fuͤhlen auch von der Einrichtung des innern
Organs abhange, eben ſo, wie der erſte Aktus des Fuͤh-
lens ſelbſt zum Theil davon abhaͤnget. Ein anderes
Organ wuͤrde alſo eine andere Vorſtellung von dem Aktus
des Fuͤhlens geben.

Dieſe Anmerkung wirft ein undurchdringliches
Dunkel um das Jnnre unſerer Seelenaͤußerungen, un-
ſers Fuͤhlens, Denkens, Wollens u. ſ. f. worinn auch
das ſchaͤrfſte Auge nichts erkennen kann. So wenig
die erſten einfachen Elemente der Koͤrper und ihre ein-
fachen Wirkungen ſich durch die Zergliederung dem An-
ſchauen darſtellen laſſen, und ſo wenig jemals der ſchaͤrf-
ſte Blick des Menſchen in dem weißen Lichtſtrahl die
vereinigten Farbenſtrahlen unterſcheiden wird; eben ſo
wenig iſt zu erwarten, daß ein Beobachter ſeiner ſelbſt
durch die bloße Aufmerkſamkeit auf ſein Gefuͤhl es aus-
machen werde, ob die Seelenaͤußerungen, die vor ihm
einfach ſind, auch wirklich einfach oder zuſammengeſetzt;
und ob ſie aus einerleyartigen oder verſchiedenartigen
Beſtrebungen entſtehen? Das Fuͤhlen, das Denken,
das Selbſtbeſtimmen iſt vor uns etwas einfaches ohne
innere Mannichfaltigkeit; aber da es vor uns ein Phaͤ-
nomen iſt, ſo kann es entweder eine ſolche Empfindung
ſeyn, welche aus unterſchiedenen Theilen zuſammenge-
ſetzt iſt, wie die von dem weißen Lichte iſt, oder ſie kann
aus homogenen Kraftaͤußerungen beſtehen, wie die
Jdeen von den einfachen Grundfarben, von welchen wir
es noch nicht wiſſen, daß ſie heterogene Theile in ſich
enthalten.

Aber ich ſage nur, die Beobachtung allein
koͤnne hier nichts ausrichten, nicht eindringen, und

nichts
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0186" n="156"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XIII.</hi> Ver&#x017F;uch. Ueber das Seelenwe&#x017F;en</hi></fw><lb/>
eine gleichzeitige Vera&#x0364;nderung des Gehirns erfodert,<lb/>
und die&#x017F;e Organsbe&#x017F;chaffenheit auch wiederum vorhan-<lb/>
den &#x017F;eyn muß, wenn wir den Aktus des Fu&#x0364;hlens ge-<lb/>
wahrnehmen &#x017F;ollen, &#x017F;o folgt, daß un&#x017F;ere Vor&#x017F;tellung<lb/>
von un&#x017F;erm Fu&#x0364;hlen auch von der Einrichtung des innern<lb/>
Organs abhange, eben &#x017F;o, wie der er&#x017F;te Aktus des Fu&#x0364;h-<lb/>
lens &#x017F;elb&#x017F;t zum Theil davon abha&#x0364;nget. Ein anderes<lb/>
Organ wu&#x0364;rde al&#x017F;o eine andere Vor&#x017F;tellung von dem Aktus<lb/>
des Fu&#x0364;hlens geben.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e Anmerkung wirft ein undurchdringliches<lb/>
Dunkel um das Jnnre un&#x017F;erer Seelena&#x0364;ußerungen, un-<lb/>
&#x017F;ers Fu&#x0364;hlens, Denkens, Wollens u. &#x017F;. f. worinn auch<lb/>
das &#x017F;cha&#x0364;rf&#x017F;te Auge nichts erkennen kann. So wenig<lb/>
die er&#x017F;ten einfachen Elemente der Ko&#x0364;rper und ihre ein-<lb/>
fachen Wirkungen &#x017F;ich durch die Zergliederung dem An-<lb/>
&#x017F;chauen dar&#x017F;tellen la&#x017F;&#x017F;en, und &#x017F;o wenig jemals der &#x017F;cha&#x0364;rf-<lb/>
&#x017F;te Blick des Men&#x017F;chen in dem weißen Licht&#x017F;trahl die<lb/>
vereinigten Farben&#x017F;trahlen unter&#x017F;cheiden wird; eben &#x017F;o<lb/>
wenig i&#x017F;t zu erwarten, daß ein Beobachter &#x017F;einer &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
durch die bloße Aufmerk&#x017F;amkeit auf &#x017F;ein Gefu&#x0364;hl es aus-<lb/>
machen werde, ob die Seelena&#x0364;ußerungen, die vor ihm<lb/>
einfach &#x017F;ind, auch wirklich einfach oder zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzt;<lb/>
und ob &#x017F;ie aus einerleyartigen oder ver&#x017F;chiedenartigen<lb/>
Be&#x017F;trebungen ent&#x017F;tehen? Das Fu&#x0364;hlen, das Denken,<lb/>
das Selb&#x017F;tbe&#x017F;timmen i&#x017F;t vor uns etwas einfaches ohne<lb/>
innere Mannichfaltigkeit; aber da es vor uns ein Pha&#x0364;-<lb/>
nomen i&#x017F;t, &#x017F;o kann es entweder eine &#x017F;olche Empfindung<lb/>
&#x017F;eyn, welche aus unter&#x017F;chiedenen Theilen zu&#x017F;ammenge-<lb/>
&#x017F;etzt i&#x017F;t, wie die von dem weißen Lichte i&#x017F;t, oder &#x017F;ie kann<lb/>
aus homogenen Krafta&#x0364;ußerungen be&#x017F;tehen, wie die<lb/>
Jdeen von den einfachen Grundfarben, von welchen wir<lb/>
es noch nicht wi&#x017F;&#x017F;en, daß &#x017F;ie heterogene Theile in &#x017F;ich<lb/>
enthalten.</p><lb/>
          <p>Aber ich &#x017F;age nur, die <hi rendition="#fr">Beobachtung</hi> allein<lb/>
ko&#x0364;nne hier nichts ausrichten, nicht eindringen, und<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nichts</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[156/0186] XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen eine gleichzeitige Veraͤnderung des Gehirns erfodert, und dieſe Organsbeſchaffenheit auch wiederum vorhan- den ſeyn muß, wenn wir den Aktus des Fuͤhlens ge- wahrnehmen ſollen, ſo folgt, daß unſere Vorſtellung von unſerm Fuͤhlen auch von der Einrichtung des innern Organs abhange, eben ſo, wie der erſte Aktus des Fuͤh- lens ſelbſt zum Theil davon abhaͤnget. Ein anderes Organ wuͤrde alſo eine andere Vorſtellung von dem Aktus des Fuͤhlens geben. Dieſe Anmerkung wirft ein undurchdringliches Dunkel um das Jnnre unſerer Seelenaͤußerungen, un- ſers Fuͤhlens, Denkens, Wollens u. ſ. f. worinn auch das ſchaͤrfſte Auge nichts erkennen kann. So wenig die erſten einfachen Elemente der Koͤrper und ihre ein- fachen Wirkungen ſich durch die Zergliederung dem An- ſchauen darſtellen laſſen, und ſo wenig jemals der ſchaͤrf- ſte Blick des Menſchen in dem weißen Lichtſtrahl die vereinigten Farbenſtrahlen unterſcheiden wird; eben ſo wenig iſt zu erwarten, daß ein Beobachter ſeiner ſelbſt durch die bloße Aufmerkſamkeit auf ſein Gefuͤhl es aus- machen werde, ob die Seelenaͤußerungen, die vor ihm einfach ſind, auch wirklich einfach oder zuſammengeſetzt; und ob ſie aus einerleyartigen oder verſchiedenartigen Beſtrebungen entſtehen? Das Fuͤhlen, das Denken, das Selbſtbeſtimmen iſt vor uns etwas einfaches ohne innere Mannichfaltigkeit; aber da es vor uns ein Phaͤ- nomen iſt, ſo kann es entweder eine ſolche Empfindung ſeyn, welche aus unterſchiedenen Theilen zuſammenge- ſetzt iſt, wie die von dem weißen Lichte iſt, oder ſie kann aus homogenen Kraftaͤußerungen beſtehen, wie die Jdeen von den einfachen Grundfarben, von welchen wir es noch nicht wiſſen, daß ſie heterogene Theile in ſich enthalten. Aber ich ſage nur, die Beobachtung allein koͤnne hier nichts ausrichten, nicht eindringen, und nichts

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/186
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/186>, abgerufen am 02.05.2024.