II. Unsere Vorstellungen von der Seele und ihren Veränderungen sind eben so, wie unsere Jdeen von dem Körper, nur Scheine.
Wir kennen unser Empfinden, unser Vorstellen unser Denken, Wollen und so ferner, bis da- hin, daß wir uns Jdeen von diesen Operationen unsers Selbst machen, sie mittelst dieser Jdeen verglei- chen und unterscheiden, auf die nämliche Art, wie wir es mit den Jdeen von den Wirkungen und Kräften der körperlichen Dinge machen. Aber da wir die Jdeen von jenen wie von diesen aus den Empfindungen haben, und da die Körper und ihre Beschaffenheiten, die der äußere Sinn uns darstellet, nur Phänomene vor uns sind, was werden denn jene Seelenäußerungen, davon der innere Sinn uns die Vorstellung giebt, vor uns seyn? Sind Empfinden, Denken, Wollen auch nur Phänomene?
Dieser unbestimmte Ausdruck, den man seiner Kürze und zum Theil auch seiner Unbestimmtheit wegen in der Philosophie so oft gebrauchet, will doch, wenn er deutlich erklärt wird, nichts sagen, was eigentlich die Natur der Körper außer uns und ihre Beschaffen- heiten angehet. Es ist die subjektivische Natur unserer Jdeen von ihnen, die sie vor uns zu Phänomenen ma- chet; und unsere Vorstellungen von ihnen sind Scheine oder Erscheinungen, und zwar aus einem zwiefachen Grunde.
Erstlich sind unsere einfachsten Empfindungsvorstel- lungen verwirrte Vorstellungen, die vieles und etwas mannigfaltiges auf einmal in einander zusammenlau- fend uns darstellen.
Dann sind zweytens unsere Empfindungsideen von den Beschaffenheiten der Körper nur relative Vorstel-
lungen
XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
II. Unſere Vorſtellungen von der Seele und ihren Veraͤnderungen ſind eben ſo, wie unſere Jdeen von dem Koͤrper, nur Scheine.
Wir kennen unſer Empfinden, unſer Vorſtellen unſer Denken, Wollen und ſo ferner, bis da- hin, daß wir uns Jdeen von dieſen Operationen unſers Selbſt machen, ſie mittelſt dieſer Jdeen verglei- chen und unterſcheiden, auf die naͤmliche Art, wie wir es mit den Jdeen von den Wirkungen und Kraͤften der koͤrperlichen Dinge machen. Aber da wir die Jdeen von jenen wie von dieſen aus den Empfindungen haben, und da die Koͤrper und ihre Beſchaffenheiten, die der aͤußere Sinn uns darſtellet, nur Phaͤnomene vor uns ſind, was werden denn jene Seelenaͤußerungen, davon der innere Sinn uns die Vorſtellung giebt, vor uns ſeyn? Sind Empfinden, Denken, Wollen auch nur Phaͤnomene?
Dieſer unbeſtimmte Ausdruck, den man ſeiner Kuͤrze und zum Theil auch ſeiner Unbeſtimmtheit wegen in der Philoſophie ſo oft gebrauchet, will doch, wenn er deutlich erklaͤrt wird, nichts ſagen, was eigentlich die Natur der Koͤrper außer uns und ihre Beſchaffen- heiten angehet. Es iſt die ſubjektiviſche Natur unſerer Jdeen von ihnen, die ſie vor uns zu Phaͤnomenen ma- chet; und unſere Vorſtellungen von ihnen ſind Scheine oder Erſcheinungen, und zwar aus einem zwiefachen Grunde.
Erſtlich ſind unſere einfachſten Empfindungsvorſtel- lungen verwirrte Vorſtellungen, die vieles und etwas mannigfaltiges auf einmal in einander zuſammenlau- fend uns darſtellen.
Dann ſind zweytens unſere Empfindungsideen von den Beſchaffenheiten der Koͤrper nur relative Vorſtel-
lungen
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0182"n="152"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">XIII.</hi> Verſuch. Ueber das Seelenweſen</hi></fw><lb/><divn="2"><head><hirendition="#aq">II.</hi><lb/>
Unſere Vorſtellungen von der Seele und ihren<lb/>
Veraͤnderungen ſind eben ſo, wie unſere Jdeen<lb/>
von dem Koͤrper, nur Scheine.</head><lb/><p><hirendition="#in">W</hi>ir kennen unſer Empfinden, unſer Vorſtellen<lb/>
unſer Denken, Wollen und ſo ferner, bis da-<lb/>
hin, daß wir uns Jdeen von dieſen Operationen<lb/>
unſers Selbſt machen, ſie mittelſt dieſer Jdeen verglei-<lb/>
chen und unterſcheiden, auf die naͤmliche Art, wie wir<lb/>
es mit den Jdeen von den Wirkungen und Kraͤften der<lb/>
koͤrperlichen Dinge machen. Aber da wir die Jdeen<lb/>
von jenen wie von dieſen aus den Empfindungen haben,<lb/>
und da die Koͤrper und ihre Beſchaffenheiten, die der<lb/>
aͤußere Sinn uns darſtellet, nur Phaͤnomene vor uns<lb/>ſind, was werden denn jene Seelenaͤußerungen, davon<lb/>
der innere Sinn uns die Vorſtellung giebt, vor uns<lb/>ſeyn? Sind Empfinden, Denken, Wollen auch nur<lb/>
Phaͤnomene?</p><lb/><p>Dieſer unbeſtimmte Ausdruck, den man ſeiner<lb/>
Kuͤrze und zum Theil auch ſeiner Unbeſtimmtheit wegen<lb/>
in der Philoſophie ſo oft gebrauchet, will doch, wenn<lb/>
er deutlich erklaͤrt wird, nichts ſagen, was eigentlich<lb/>
die Natur der Koͤrper außer uns und ihre Beſchaffen-<lb/>
heiten angehet. Es iſt die ſubjektiviſche Natur unſerer<lb/>
Jdeen von ihnen, die ſie vor uns zu Phaͤnomenen ma-<lb/>
chet; und unſere Vorſtellungen von ihnen ſind Scheine<lb/>
oder Erſcheinungen, und zwar aus einem zwiefachen<lb/>
Grunde.</p><lb/><p>Erſtlich ſind unſere einfachſten Empfindungsvorſtel-<lb/>
lungen <hirendition="#fr">verwirrte</hi> Vorſtellungen, die vieles und etwas<lb/>
mannigfaltiges auf einmal in einander zuſammenlau-<lb/>
fend uns darſtellen.</p><lb/><p>Dann ſind zweytens unſere Empfindungsideen von<lb/>
den Beſchaffenheiten der Koͤrper nur <hirendition="#fr">relative</hi> Vorſtel-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">lungen</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[152/0182]
XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
II.
Unſere Vorſtellungen von der Seele und ihren
Veraͤnderungen ſind eben ſo, wie unſere Jdeen
von dem Koͤrper, nur Scheine.
Wir kennen unſer Empfinden, unſer Vorſtellen
unſer Denken, Wollen und ſo ferner, bis da-
hin, daß wir uns Jdeen von dieſen Operationen
unſers Selbſt machen, ſie mittelſt dieſer Jdeen verglei-
chen und unterſcheiden, auf die naͤmliche Art, wie wir
es mit den Jdeen von den Wirkungen und Kraͤften der
koͤrperlichen Dinge machen. Aber da wir die Jdeen
von jenen wie von dieſen aus den Empfindungen haben,
und da die Koͤrper und ihre Beſchaffenheiten, die der
aͤußere Sinn uns darſtellet, nur Phaͤnomene vor uns
ſind, was werden denn jene Seelenaͤußerungen, davon
der innere Sinn uns die Vorſtellung giebt, vor uns
ſeyn? Sind Empfinden, Denken, Wollen auch nur
Phaͤnomene?
Dieſer unbeſtimmte Ausdruck, den man ſeiner
Kuͤrze und zum Theil auch ſeiner Unbeſtimmtheit wegen
in der Philoſophie ſo oft gebrauchet, will doch, wenn
er deutlich erklaͤrt wird, nichts ſagen, was eigentlich
die Natur der Koͤrper außer uns und ihre Beſchaffen-
heiten angehet. Es iſt die ſubjektiviſche Natur unſerer
Jdeen von ihnen, die ſie vor uns zu Phaͤnomenen ma-
chet; und unſere Vorſtellungen von ihnen ſind Scheine
oder Erſcheinungen, und zwar aus einem zwiefachen
Grunde.
Erſtlich ſind unſere einfachſten Empfindungsvorſtel-
lungen verwirrte Vorſtellungen, die vieles und etwas
mannigfaltiges auf einmal in einander zuſammenlau-
fend uns darſtellen.
Dann ſind zweytens unſere Empfindungsideen von
den Beſchaffenheiten der Koͤrper nur relative Vorſtel-
lungen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/182>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.