Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

und Freyheit.
nun in der wirksamen Kraft, oder in den äußern Erfo-
dernissen und Umständen abgeändert werde: so ist es
dennoch zufällig, daß die Wirkung erfolget, wo der
zureichende Grund jetzo vorhanden ist. Denn die Wir-
kung kann auch in diesem Fall ausbleiben, obgleich der
Grund jetzo vorhanden ist, und verändert wird, wenn
das Hinderniß eintritt. Wenn z. B. die Kugel auf
das Gefäß zufähret, und dieses ihm entrücket wird, so
kann man sagen, es sey das Gefäß nicht in derselbigen
Lage geblieben, in der es vorhero lag, und dieser Um-
stand habe doch zu dem gesammten zureichenden Grun-
de mitgehöret. Also bleibet die ganze Ursache nicht un-
verändert, wenn das Hinderniß hinzukommt. Man
könnte also sagen, daß, wenn hier die Wirkung fehlen
könne, obgleich die Ursache vorhanden ist, so kom-
me dieß nicht sowohl daher, weil die Wirkung sich von
der Ursache und den vorgehabten Umständen trennen
ließe, als vielmehr, weil die Ursache oder die Umstände,
ob sie gleich jetzo so sind, sich verändern lassen, daß
sie nicht in der Folge so bleiben, wie sie jetzo sind. Die
Zufälligkeit, die hier Statt findet, lieget also in der Zu-
fälligkeit der Ursachen und der Umstände,
oder
in der Zufälligkeit des vorhandenen, positiven, hinrei-
chenden Grundes selbsten. Allein aus welchem Gesichts-
punkt man die Sache auch ansieht, so ist sie immer die-
selbige. "Wenn gleich jetzo alles vorhanden ist, wovon
"die Wirkung abhängt, die ganze Ursache mit allen
"ihren Umständen, so erfolget die Wirkung nicht, als
"nur unter der Voraussetzung, daß kein Hinderniß sich
"eräugne, und daß alles auch unverändert und ohne
"Zusatz bestehe und bleibe, wie es ist, bis der Effekt be-
"wirket ist, und der gegenwärtige Stand der Sachen
"macht nicht für sich schon diese Bedingung unnöthig.

Die ursachlichen Verbindungen der wirklichen Din-
ge in der Welt sind nach Leibnitzen und Wolfen zufäl-

lig

und Freyheit.
nun in der wirkſamen Kraft, oder in den aͤußern Erfo-
derniſſen und Umſtaͤnden abgeaͤndert werde: ſo iſt es
dennoch zufaͤllig, daß die Wirkung erfolget, wo der
zureichende Grund jetzo vorhanden iſt. Denn die Wir-
kung kann auch in dieſem Fall ausbleiben, obgleich der
Grund jetzo vorhanden iſt, und veraͤndert wird, wenn
das Hinderniß eintritt. Wenn z. B. die Kugel auf
das Gefaͤß zufaͤhret, und dieſes ihm entruͤcket wird, ſo
kann man ſagen, es ſey das Gefaͤß nicht in derſelbigen
Lage geblieben, in der es vorhero lag, und dieſer Um-
ſtand habe doch zu dem geſammten zureichenden Grun-
de mitgehoͤret. Alſo bleibet die ganze Urſache nicht un-
veraͤndert, wenn das Hinderniß hinzukommt. Man
koͤnnte alſo ſagen, daß, wenn hier die Wirkung fehlen
koͤnne, obgleich die Urſache vorhanden iſt, ſo kom-
me dieß nicht ſowohl daher, weil die Wirkung ſich von
der Urſache und den vorgehabten Umſtaͤnden trennen
ließe, als vielmehr, weil die Urſache oder die Umſtaͤnde,
ob ſie gleich jetzo ſo ſind, ſich veraͤndern laſſen, daß
ſie nicht in der Folge ſo bleiben, wie ſie jetzo ſind. Die
Zufaͤlligkeit, die hier Statt findet, lieget alſo in der Zu-
faͤlligkeit der Urſachen und der Umſtaͤnde,
oder
in der Zufaͤlligkeit des vorhandenen, poſitiven, hinrei-
chenden Grundes ſelbſten. Allein aus welchem Geſichts-
punkt man die Sache auch anſieht, ſo iſt ſie immer die-
ſelbige. „Wenn gleich jetzo alles vorhanden iſt, wovon
„die Wirkung abhaͤngt, die ganze Urſache mit allen
„ihren Umſtaͤnden, ſo erfolget die Wirkung nicht, als
„nur unter der Vorausſetzung, daß kein Hinderniß ſich
„eraͤugne, und daß alles auch unveraͤndert und ohne
„Zuſatz beſtehe und bleibe, wie es iſt, bis der Effekt be-
„wirket iſt, und der gegenwaͤrtige Stand der Sachen
„macht nicht fuͤr ſich ſchon dieſe Bedingung unnoͤthig.

Die urſachlichen Verbindungen der wirklichen Din-
ge in der Welt ſind nach Leibnitzen und Wolfen zufaͤl-

lig
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0169" n="139"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und Freyheit.</hi></fw><lb/>
nun in der wirk&#x017F;amen Kraft, oder in den a&#x0364;ußern Erfo-<lb/>
derni&#x017F;&#x017F;en und Um&#x017F;ta&#x0364;nden abgea&#x0364;ndert werde: &#x017F;o i&#x017F;t es<lb/>
dennoch <hi rendition="#fr">zufa&#x0364;llig,</hi> daß die Wirkung erfolget, wo der<lb/>
zureichende Grund <hi rendition="#fr">jetzo</hi> vorhanden i&#x017F;t. Denn die Wir-<lb/>
kung kann auch in die&#x017F;em Fall ausbleiben, obgleich der<lb/>
Grund <hi rendition="#fr">jetzo</hi> vorhanden i&#x017F;t, und vera&#x0364;ndert wird, wenn<lb/>
das Hinderniß eintritt. Wenn z. B. die Kugel auf<lb/>
das Gefa&#x0364;ß zufa&#x0364;hret, und die&#x017F;es ihm entru&#x0364;cket wird, &#x017F;o<lb/>
kann man &#x017F;agen, es &#x017F;ey das Gefa&#x0364;ß nicht in der&#x017F;elbigen<lb/>
Lage geblieben, in der es vorhero lag, und die&#x017F;er Um-<lb/>
&#x017F;tand habe doch zu dem ge&#x017F;ammten zureichenden Grun-<lb/>
de mitgeho&#x0364;ret. Al&#x017F;o bleibet die ganze Ur&#x017F;ache nicht un-<lb/>
vera&#x0364;ndert, wenn das Hinderniß hinzukommt. Man<lb/>
ko&#x0364;nnte al&#x017F;o &#x017F;agen, daß, wenn hier die Wirkung fehlen<lb/>
ko&#x0364;nne, obgleich die Ur&#x017F;ache vorhanden i&#x017F;t, &#x017F;o kom-<lb/>
me dieß nicht &#x017F;owohl daher, weil die Wirkung &#x017F;ich von<lb/>
der Ur&#x017F;ache und den vorgehabten Um&#x017F;ta&#x0364;nden trennen<lb/>
ließe, als vielmehr, weil die Ur&#x017F;ache oder die Um&#x017F;ta&#x0364;nde,<lb/>
ob &#x017F;ie gleich <hi rendition="#fr">jetzo</hi> &#x017F;o &#x017F;ind, &#x017F;ich vera&#x0364;ndern la&#x017F;&#x017F;en, daß<lb/>
&#x017F;ie nicht in der Folge &#x017F;o bleiben, wie &#x017F;ie jetzo &#x017F;ind. Die<lb/>
Zufa&#x0364;lligkeit, die hier Statt findet, lieget al&#x017F;o in der <hi rendition="#fr">Zu-<lb/>
fa&#x0364;lligkeit der Ur&#x017F;achen und der Um&#x017F;ta&#x0364;nde,</hi> oder<lb/>
in der Zufa&#x0364;lligkeit des vorhandenen, po&#x017F;itiven, hinrei-<lb/>
chenden Grundes &#x017F;elb&#x017F;ten. Allein aus welchem Ge&#x017F;ichts-<lb/>
punkt man die Sache auch an&#x017F;ieht, &#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;ie immer die-<lb/>
&#x017F;elbige. &#x201E;Wenn gleich jetzo alles vorhanden i&#x017F;t, wovon<lb/>
&#x201E;die Wirkung abha&#x0364;ngt, die ganze Ur&#x017F;ache mit allen<lb/>
&#x201E;ihren Um&#x017F;ta&#x0364;nden, &#x017F;o erfolget die Wirkung nicht, als<lb/>
&#x201E;nur unter der Voraus&#x017F;etzung, daß kein Hinderniß &#x017F;ich<lb/>
&#x201E;era&#x0364;ugne, und daß alles auch unvera&#x0364;ndert und ohne<lb/>
&#x201E;Zu&#x017F;atz be&#x017F;tehe und bleibe, wie es i&#x017F;t, bis der Effekt be-<lb/>
&#x201E;wirket i&#x017F;t, und der gegenwa&#x0364;rtige Stand der Sachen<lb/>
&#x201E;macht nicht fu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;chon die&#x017F;e Bedingung unno&#x0364;thig.</p><lb/>
            <p>Die ur&#x017F;achlichen Verbindungen der wirklichen Din-<lb/>
ge in der Welt &#x017F;ind nach Leibnitzen und Wolfen <hi rendition="#fr">zufa&#x0364;l-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">lig</hi></fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[139/0169] und Freyheit. nun in der wirkſamen Kraft, oder in den aͤußern Erfo- derniſſen und Umſtaͤnden abgeaͤndert werde: ſo iſt es dennoch zufaͤllig, daß die Wirkung erfolget, wo der zureichende Grund jetzo vorhanden iſt. Denn die Wir- kung kann auch in dieſem Fall ausbleiben, obgleich der Grund jetzo vorhanden iſt, und veraͤndert wird, wenn das Hinderniß eintritt. Wenn z. B. die Kugel auf das Gefaͤß zufaͤhret, und dieſes ihm entruͤcket wird, ſo kann man ſagen, es ſey das Gefaͤß nicht in derſelbigen Lage geblieben, in der es vorhero lag, und dieſer Um- ſtand habe doch zu dem geſammten zureichenden Grun- de mitgehoͤret. Alſo bleibet die ganze Urſache nicht un- veraͤndert, wenn das Hinderniß hinzukommt. Man koͤnnte alſo ſagen, daß, wenn hier die Wirkung fehlen koͤnne, obgleich die Urſache vorhanden iſt, ſo kom- me dieß nicht ſowohl daher, weil die Wirkung ſich von der Urſache und den vorgehabten Umſtaͤnden trennen ließe, als vielmehr, weil die Urſache oder die Umſtaͤnde, ob ſie gleich jetzo ſo ſind, ſich veraͤndern laſſen, daß ſie nicht in der Folge ſo bleiben, wie ſie jetzo ſind. Die Zufaͤlligkeit, die hier Statt findet, lieget alſo in der Zu- faͤlligkeit der Urſachen und der Umſtaͤnde, oder in der Zufaͤlligkeit des vorhandenen, poſitiven, hinrei- chenden Grundes ſelbſten. Allein aus welchem Geſichts- punkt man die Sache auch anſieht, ſo iſt ſie immer die- ſelbige. „Wenn gleich jetzo alles vorhanden iſt, wovon „die Wirkung abhaͤngt, die ganze Urſache mit allen „ihren Umſtaͤnden, ſo erfolget die Wirkung nicht, als „nur unter der Vorausſetzung, daß kein Hinderniß ſich „eraͤugne, und daß alles auch unveraͤndert und ohne „Zuſatz beſtehe und bleibe, wie es iſt, bis der Effekt be- „wirket iſt, und der gegenwaͤrtige Stand der Sachen „macht nicht fuͤr ſich ſchon dieſe Bedingung unnoͤthig. Die urſachlichen Verbindungen der wirklichen Din- ge in der Welt ſind nach Leibnitzen und Wolfen zufaͤl- lig

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/169
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/169>, abgerufen am 03.05.2024.