Stärke, daß es hinreichet, der itzo sie bewegenden Ur- sache, den Empfindungen und Vorstellungen, welche sie afficiren, sich zu widersetzen, sie zu unterdrücken, oder ihre Wirkung aufzuheben, und eine selbstthätige Wendung der Seele auf das Gegentheil hervorzubringen.
Dieß Vermögen ist nicht bloße Receptivität, auf eine andere Art, durch andere Motiven bestimmt zu werden. Es ist innerlich thätige Kraft, und innerlich zu dem Lassen und zu dem Andersmachen völlig be- stimmt. Es fehlet nur die wirkliche Applikation der Kraft auf ihren Gegenstand; welche alsdenn hinzu- kommt, wenn dieser gefällt, oder ihr sonsten vorzüglich dargestellet wird. Jn der Hitze der Leidenschaft sind wir noch wohl fähig, durch einen entgegengesetzten stär- kern Eindruck umgestimmt zu werden; aber selbst uns umzustimmen haben wir das Vermögen nicht.
Soll nicht bloß das Wollen frey seyn, sondern auch das Ausführen, so ist es noch nicht genug, daß während der Aktion eine Vorstellung von dem Gegen- theil vorhanden sey. Diese mag sogar lebhaft gegen- wärtig seyn, wie sie es im Affekt oft ist, und ein Wol- len und Bestreben, die dermalige Richtung der Seele zu verändern, nach sich ziehen. Video meliora, proboque, deteriora sequor. Völlige Selbstmacht über sich, in Hinsicht der ganzen Aktion, erfodert ein Vermögen, das Entgegengesetzte wirklich auszurichten, und folglich alle Dispositionen und Fähigkeiten in der Seele und in dem Körper, ohne welche das Gegentheil nicht verrichtet werden kann.
Je lebhafter und stärker die Vorstellungen sind, die uns zur Handlung geneigt machen, oder bewegen, je mehr sie Empfindungen ähnlich sind, und je größer die Fertigkeit der Kraft ist, in solche Aktionen auszubre- chen, desto mehr gehört dazu, wenn ein Vermögen zu dem Entgegengesetzten statt finden soll; desto stärker
muß
XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit
Staͤrke, daß es hinreichet, der itzo ſie bewegenden Ur- ſache, den Empfindungen und Vorſtellungen, welche ſie afficiren, ſich zu widerſetzen, ſie zu unterdruͤcken, oder ihre Wirkung aufzuheben, und eine ſelbſtthaͤtige Wendung der Seele auf das Gegentheil hervorzubringen.
Dieß Vermoͤgen iſt nicht bloße Receptivitaͤt, auf eine andere Art, durch andere Motiven beſtimmt zu werden. Es iſt innerlich thaͤtige Kraft, und innerlich zu dem Laſſen und zu dem Andersmachen voͤllig be- ſtimmt. Es fehlet nur die wirkliche Applikation der Kraft auf ihren Gegenſtand; welche alsdenn hinzu- kommt, wenn dieſer gefaͤllt, oder ihr ſonſten vorzuͤglich dargeſtellet wird. Jn der Hitze der Leidenſchaft ſind wir noch wohl faͤhig, durch einen entgegengeſetzten ſtaͤr- kern Eindruck umgeſtimmt zu werden; aber ſelbſt uns umzuſtimmen haben wir das Vermoͤgen nicht.
Soll nicht bloß das Wollen frey ſeyn, ſondern auch das Ausfuͤhren, ſo iſt es noch nicht genug, daß waͤhrend der Aktion eine Vorſtellung von dem Gegen- theil vorhanden ſey. Dieſe mag ſogar lebhaft gegen- waͤrtig ſeyn, wie ſie es im Affekt oft iſt, und ein Wol- len und Beſtreben, die dermalige Richtung der Seele zu veraͤndern, nach ſich ziehen. Video meliora, proboque, deteriora ſequor. Voͤllige Selbſtmacht uͤber ſich, in Hinſicht der ganzen Aktion, erfodert ein Vermoͤgen, das Entgegengeſetzte wirklich auszurichten, und folglich alle Diſpoſitionen und Faͤhigkeiten in der Seele und in dem Koͤrper, ohne welche das Gegentheil nicht verrichtet werden kann.
Je lebhafter und ſtaͤrker die Vorſtellungen ſind, die uns zur Handlung geneigt machen, oder bewegen, je mehr ſie Empfindungen aͤhnlich ſind, und je groͤßer die Fertigkeit der Kraft iſt, in ſolche Aktionen auszubre- chen, deſto mehr gehoͤrt dazu, wenn ein Vermoͤgen zu dem Entgegengeſetzten ſtatt finden ſoll; deſto ſtaͤrker
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XII. Verſuch. Ueber die Selbſtthaͤtigkeit
Staͤrke, daß es hinreichet, der itzo ſie bewegenden Ur-
ſache, den Empfindungen und Vorſtellungen, welche ſie
afficiren, ſich zu widerſetzen, ſie zu unterdruͤcken, oder ihre
Wirkung aufzuheben, und eine ſelbſtthaͤtige Wendung
der Seele auf das Gegentheil hervorzubringen.
Dieß Vermoͤgen iſt nicht bloße Receptivitaͤt, auf
eine andere Art, durch andere Motiven beſtimmt zu
werden. Es iſt innerlich thaͤtige Kraft, und innerlich
zu dem Laſſen und zu dem Andersmachen voͤllig be-
ſtimmt. Es fehlet nur die wirkliche Applikation der
Kraft auf ihren Gegenſtand; welche alsdenn hinzu-
kommt, wenn dieſer gefaͤllt, oder ihr ſonſten vorzuͤglich
dargeſtellet wird. Jn der Hitze der Leidenſchaft ſind
wir noch wohl faͤhig, durch einen entgegengeſetzten ſtaͤr-
kern Eindruck umgeſtimmt zu werden; aber ſelbſt uns
umzuſtimmen haben wir das Vermoͤgen nicht.
Soll nicht bloß das Wollen frey ſeyn, ſondern
auch das Ausfuͤhren, ſo iſt es noch nicht genug, daß
waͤhrend der Aktion eine Vorſtellung von dem Gegen-
theil vorhanden ſey. Dieſe mag ſogar lebhaft gegen-
waͤrtig ſeyn, wie ſie es im Affekt oft iſt, und ein Wol-
len und Beſtreben, die dermalige Richtung der Seele
zu veraͤndern, nach ſich ziehen. Video meliora,
proboque, deteriora ſequor. Voͤllige Selbſtmacht
uͤber ſich, in Hinſicht der ganzen Aktion, erfodert ein
Vermoͤgen, das Entgegengeſetzte wirklich auszurichten,
und folglich alle Diſpoſitionen und Faͤhigkeiten in der
Seele und in dem Koͤrper, ohne welche das Gegentheil
nicht verrichtet werden kann.
Je lebhafter und ſtaͤrker die Vorſtellungen ſind, die
uns zur Handlung geneigt machen, oder bewegen, je
mehr ſie Empfindungen aͤhnlich ſind, und je groͤßer die
Fertigkeit der Kraft iſt, in ſolche Aktionen auszubre-
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/152>, abgerufen am 23.11.2024.
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