dung von selbst erlischet, woferne sie nicht durch einige selbstthätige Bestrebungen von innen erhalten wird, so erfodert auch der Genuß eine Beschäftigung der Kraft, sich zu bestimmen. Sogar das Empfinden selbst ist eine Reaktion, die bey einem Wesen ohne alle thätige Theil- nehmung nicht statt finden kann. Aber es ist wenig Thätigkeit in dieser Handlung, und desto weniger, je mehr die Empfindnisse körperlich sind, bey welchen die Seele sich am meisten leidend verhält. Das Gefühl ist es also, dem die Seele sich überlässet, wenn ihre gegen- wärtige Modifikationen lebhaft und ergötzend sind. Und dadurch wird es gestärkt, verfeinert und erhöhet.
So lehret es die Erfahrung. Der Geschmack an allen Arten des Schönen, so gar der Geschmack am Den- ken und Handeln wird nicht anders gereizet und entwi- ckelt, als durch angenehme Empfindungen, welche in den Gegenständen, oder in unserer Art sie zu bearbeiten, ihre Quelle haben. Es ist zwar ein Unterschied zwischen dem Geschmack an einer Sache, und zwischen dem kri- tischen Gefühl. Jene ist eine Fertigkeit des Gefühls, das Angenehme der Dinge zu empfinden, mit einem Hang verbunden, diese Empfindung länger zu genießen. Das kritische Gefühl ist mehr ein Gefühl der Kennzei- chen, daß in den Objekten die Quellen der Lust oder Un- lust enthalten sind. Daher ein Mensch von dem fein- sten kritischen Gefühl das Vergnügen aus gewissen Arten von Empfindungen dennoch so wenig schätzen kann, daß ihm keine Lust, wenigstens keine merkliche Begierde an- wandelt, sich solchen zu überlassen. Er hat eine andere Art von Wollust, die ihm mehr werth ist. Aber über- haupt kann niemand einen Geschmack in einer Sache oder eine Stärke in dem Gefühl des Angenehmen und Unangenehmen, des Schönen und des Häßlichen, des Vollkommenen und des Mangelhaften, der Ordnung und der Verwirrung, erlangen, ohne vorher solche Ge-
genstände
X. Verſuch. Ueber die Beziehung
dung von ſelbſt erliſchet, woferne ſie nicht durch einige ſelbſtthaͤtige Beſtrebungen von innen erhalten wird, ſo erfodert auch der Genuß eine Beſchaͤftigung der Kraft, ſich zu beſtimmen. Sogar das Empfinden ſelbſt iſt eine Reaktion, die bey einem Weſen ohne alle thaͤtige Theil- nehmung nicht ſtatt finden kann. Aber es iſt wenig Thaͤtigkeit in dieſer Handlung, und deſto weniger, je mehr die Empfindniſſe koͤrperlich ſind, bey welchen die Seele ſich am meiſten leidend verhaͤlt. Das Gefuͤhl iſt es alſo, dem die Seele ſich uͤberlaͤſſet, wenn ihre gegen- waͤrtige Modifikationen lebhaft und ergoͤtzend ſind. Und dadurch wird es geſtaͤrkt, verfeinert und erhoͤhet.
So lehret es die Erfahrung. Der Geſchmack an allen Arten des Schoͤnen, ſo gar der Geſchmack am Den- ken und Handeln wird nicht anders gereizet und entwi- ckelt, als durch angenehme Empfindungen, welche in den Gegenſtaͤnden, oder in unſerer Art ſie zu bearbeiten, ihre Quelle haben. Es iſt zwar ein Unterſchied zwiſchen dem Geſchmack an einer Sache, und zwiſchen dem kri- tiſchen Gefuͤhl. Jene iſt eine Fertigkeit des Gefuͤhls, das Angenehme der Dinge zu empfinden, mit einem Hang verbunden, dieſe Empfindung laͤnger zu genießen. Das kritiſche Gefuͤhl iſt mehr ein Gefuͤhl der Kennzei- chen, daß in den Objekten die Quellen der Luſt oder Un- luſt enthalten ſind. Daher ein Menſch von dem fein- ſten kritiſchen Gefuͤhl das Vergnuͤgen aus gewiſſen Arten von Empfindungen dennoch ſo wenig ſchaͤtzen kann, daß ihm keine Luſt, wenigſtens keine merkliche Begierde an- wandelt, ſich ſolchen zu uͤberlaſſen. Er hat eine andere Art von Wolluſt, die ihm mehr werth iſt. Aber uͤber- haupt kann niemand einen Geſchmack in einer Sache oder eine Staͤrke in dem Gefuͤhl des Angenehmen und Unangenehmen, des Schoͤnen und des Haͤßlichen, des Vollkommenen und des Mangelhaften, der Ordnung und der Verwirrung, erlangen, ohne vorher ſolche Ge-
genſtaͤnde
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X. Verſuch. Ueber die Beziehung
dung von ſelbſt erliſchet, woferne ſie nicht durch einige
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erfodert auch der Genuß eine Beſchaͤftigung der Kraft,
ſich zu beſtimmen. Sogar das Empfinden ſelbſt iſt eine
Reaktion, die bey einem Weſen ohne alle thaͤtige Theil-
nehmung nicht ſtatt finden kann. Aber es iſt wenig
Thaͤtigkeit in dieſer Handlung, und deſto weniger, je
mehr die Empfindniſſe koͤrperlich ſind, bey welchen die
Seele ſich am meiſten leidend verhaͤlt. Das Gefuͤhl iſt
es alſo, dem die Seele ſich uͤberlaͤſſet, wenn ihre gegen-
waͤrtige Modifikationen lebhaft und ergoͤtzend ſind. Und
dadurch wird es geſtaͤrkt, verfeinert und erhoͤhet.
So lehret es die Erfahrung. Der Geſchmack an
allen Arten des Schoͤnen, ſo gar der Geſchmack am Den-
ken und Handeln wird nicht anders gereizet und entwi-
ckelt, als durch angenehme Empfindungen, welche in
den Gegenſtaͤnden, oder in unſerer Art ſie zu bearbeiten,
ihre Quelle haben. Es iſt zwar ein Unterſchied zwiſchen
dem Geſchmack an einer Sache, und zwiſchen dem kri-
tiſchen Gefuͤhl. Jene iſt eine Fertigkeit des Gefuͤhls,
das Angenehme der Dinge zu empfinden, mit einem
Hang verbunden, dieſe Empfindung laͤnger zu genießen.
Das kritiſche Gefuͤhl iſt mehr ein Gefuͤhl der Kennzei-
chen, daß in den Objekten die Quellen der Luſt oder Un-
luſt enthalten ſind. Daher ein Menſch von dem fein-
ſten kritiſchen Gefuͤhl das Vergnuͤgen aus gewiſſen Arten
von Empfindungen dennoch ſo wenig ſchaͤtzen kann, daß
ihm keine Luſt, wenigſtens keine merkliche Begierde an-
wandelt, ſich ſolchen zu uͤberlaſſen. Er hat eine andere
Art von Wolluſt, die ihm mehr werth iſt. Aber uͤber-
haupt kann niemand einen Geſchmack in einer Sache
oder eine Staͤrke in dem Gefuͤhl des Angenehmen und
Unangenehmen, des Schoͤnen und des Haͤßlichen, des
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 722. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/782>, abgerufen am 22.11.2024.
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