Gefühl fehlet, stellen wir uns die Handlung nur vor, wiederholen sie aber nicht. Daß sie aber leicht wieder- holet wird, ist etwas, was wir bey den innern Ge- müthsbewegungen und Empfindnissen ebenfalls antreffen. Die Leidenschaft ist Zunder, der durch den schwächsten Funken Feuer fängt, aber doch auch jedesmal eines Fun- kens nöthig hat, und ohne diesen so wenig in Brand ge- räth, als die nasse Erde. So ist es. Wenn Fertig- keiten zu etwas vorhanden sind, so darf man, so zu sa- gen, nur an die Handlung denken, und das Bestreben zu |handeln wandelt einem schon an. Es ist doch eine Empfindung da, und ein neues Empfindniß, das mehr als eine Vorstellung ist; aber dieß kann allenfalls aus den gegenwärtigen Vorstellungen selbst erzeuget werden. Bey dieser Einschränkung verliert sich hier das Eigene, was den Vorstellungen von Aktionen zukommen sollte. Finden wir doch auch etwas ähnliches bey den Empfin- dungsvorstellungen? Woher die große Menge falscher Erfahrungen, als daher, weil man so leicht sieht und hö- ret, was man sich mit großer Fertigkeit einbilden kann?
Die Beziehung der vorstellenden Kraft auf das Ge- fühl und auf die thätige Kraft erklärt vieles in der Seele, und ist ein Theorem von großen Folgerungen. Laßt uns sie noch einmal deutlich vor uns stellen. Die Seele besitzet in ihrer thätigen Kraft, wie in ihrer Receptivität, ein Vermögen, das sie aufgelegt macht, empfangene Veränderungen und einmal unternommene Handlungen leichter zu wiederholen, oder eigentlich die von ihnen zu- rückgelassenen Folgen wieder zu erneuern. Jhre Grund- vermögen sind die Receptivität mit dem Gefühl, und die thätige Kraft. Sie wird ein vorstellendes Wesen durch eine Beschaffenheit, die diesem Vermögen beywohnt. Bestehet nun diese Beschaffenheit bey dem Einen in einem Grade einer innern Selbstthätigkeit; so bestehet sie auch darinn bey der andern. Wenn eine lei-
dentliche
I.Band. X x
der Vorſtellungskraft ⁊c.
Gefuͤhl fehlet, ſtellen wir uns die Handlung nur vor, wiederholen ſie aber nicht. Daß ſie aber leicht wieder- holet wird, iſt etwas, was wir bey den innern Ge- muͤthsbewegungen und Empfindniſſen ebenfalls antreffen. Die Leidenſchaft iſt Zunder, der durch den ſchwaͤchſten Funken Feuer faͤngt, aber doch auch jedesmal eines Fun- kens noͤthig hat, und ohne dieſen ſo wenig in Brand ge- raͤth, als die naſſe Erde. So iſt es. Wenn Fertig- keiten zu etwas vorhanden ſind, ſo darf man, ſo zu ſa- gen, nur an die Handlung denken, und das Beſtreben zu |handeln wandelt einem ſchon an. Es iſt doch eine Empfindung da, und ein neues Empfindniß, das mehr als eine Vorſtellung iſt; aber dieß kann allenfalls aus den gegenwaͤrtigen Vorſtellungen ſelbſt erzeuget werden. Bey dieſer Einſchraͤnkung verliert ſich hier das Eigene, was den Vorſtellungen von Aktionen zukommen ſollte. Finden wir doch auch etwas aͤhnliches bey den Empfin- dungsvorſtellungen? Woher die große Menge falſcher Erfahrungen, als daher, weil man ſo leicht ſieht und hoͤ- ret, was man ſich mit großer Fertigkeit einbilden kann?
Die Beziehung der vorſtellenden Kraft auf das Ge- fuͤhl und auf die thaͤtige Kraft erklaͤrt vieles in der Seele, und iſt ein Theorem von großen Folgerungen. Laßt uns ſie noch einmal deutlich vor uns ſtellen. Die Seele beſitzet in ihrer thaͤtigen Kraft, wie in ihrer Receptivitaͤt, ein Vermoͤgen, das ſie aufgelegt macht, empfangene Veraͤnderungen und einmal unternommene Handlungen leichter zu wiederholen, oder eigentlich die von ihnen zu- ruͤckgelaſſenen Folgen wieder zu erneuern. Jhre Grund- vermoͤgen ſind die Receptivitaͤt mit dem Gefuͤhl, und die thaͤtige Kraft. Sie wird ein vorſtellendes Weſen durch eine Beſchaffenheit, die dieſem Vermoͤgen beywohnt. Beſtehet nun dieſe Beſchaffenheit bey dem Einen in einem Grade einer innern Selbſtthaͤtigkeit; ſo beſtehet ſie auch darinn bey der andern. Wenn eine lei-
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der Vorſtellungskraft ⁊c.
Gefuͤhl fehlet, ſtellen wir uns die Handlung nur vor,
wiederholen ſie aber nicht. Daß ſie aber leicht wieder-
holet wird, iſt etwas, was wir bey den innern Ge-
muͤthsbewegungen und Empfindniſſen ebenfalls antreffen.
Die Leidenſchaft iſt Zunder, der durch den ſchwaͤchſten
Funken Feuer faͤngt, aber doch auch jedesmal eines Fun-
kens noͤthig hat, und ohne dieſen ſo wenig in Brand ge-
raͤth, als die naſſe Erde. So iſt es. Wenn Fertig-
keiten zu etwas vorhanden ſind, ſo darf man, ſo zu ſa-
gen, nur an die Handlung denken, und das Beſtreben
zu |handeln wandelt einem ſchon an. Es iſt doch eine
Empfindung da, und ein neues Empfindniß, das mehr
als eine Vorſtellung iſt; aber dieß kann allenfalls aus
den gegenwaͤrtigen Vorſtellungen ſelbſt erzeuget werden.
Bey dieſer Einſchraͤnkung verliert ſich hier das Eigene,
was den Vorſtellungen von Aktionen zukommen ſollte.
Finden wir doch auch etwas aͤhnliches bey den Empfin-
dungsvorſtellungen? Woher die große Menge falſcher
Erfahrungen, als daher, weil man ſo leicht ſieht und hoͤ-
ret, was man ſich mit großer Fertigkeit einbilden kann?
Die Beziehung der vorſtellenden Kraft auf das Ge-
fuͤhl und auf die thaͤtige Kraft erklaͤrt vieles in der Seele,
und iſt ein Theorem von großen Folgerungen. Laßt uns
ſie noch einmal deutlich vor uns ſtellen. Die Seele
beſitzet in ihrer thaͤtigen Kraft, wie in ihrer Receptivitaͤt,
ein Vermoͤgen, das ſie aufgelegt macht, empfangene
Veraͤnderungen und einmal unternommene Handlungen
leichter zu wiederholen, oder eigentlich die von ihnen zu-
ruͤckgelaſſenen Folgen wieder zu erneuern. Jhre Grund-
vermoͤgen ſind die Receptivitaͤt mit dem Gefuͤhl,
und die thaͤtige Kraft. Sie wird ein vorſtellendes
Weſen durch eine Beſchaffenheit, die dieſem Vermoͤgen
beywohnt. Beſtehet nun dieſe Beſchaffenheit bey dem
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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 689. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/749>, abgerufen am 21.11.2024.
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