Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.X. Versuch. Ueber die Beziehung ähnlich sind. Eine träge Bewegung macht, daß wirauch etwas Mattes und Verdrießliches empfinden; eine langsame gleichförmige Bewegung giebt uns ein ruhiges und ergötzendes, und eine schnelle Bewegung ein leb- haftes Gefühl, welches die Lebensgeister aufbringt, und zur Hurtigkeit reizt. Ein Wasserfall zwischen den Fel- sen wirkt ein unruhiges verwirrtes Gefühl in der Seele, das seiner Ursache sehr ähnlich ist, und bey schwachen Personen einen Schwindel, wie die unordentlichen Be- wegungen einer Heerde Schaafe oder Schweine bey dem, der mitten unter ihnen steht, wenn sie gedrängt um ihn vorbey laufen. Ein hoher Gegenstand schwellt das Herz, und bewegt den Zuschauer, aufgerichtet zu stehen. Ei- ne gezwungene Stellung, welche der Person, die sie an- nimmt, beschwerlich wird, ist auch dem Zuschauer wi- drig. Von den Tönen darf nichts gesaget werden, da ihre physische Wirkung bekannt ist. Der genannte Schriftsteller erklärt daraus die Ansteckung der Freude und der Betrübniß, und glaubt, wenn uns tugendhafte Handlungen in einzelnen Fällen zur Nachahmung leiten, so sey es ihr physischer Einfluß bey dem Anblick, der uns Bewegungen einflöße, die den Leidenschaften, welche sol- che Handlungen hervorbringen, ähnlich sind. Es ist wohl wahr, daß die Aehnlichkeit der Wirkungen und der Ursachen in einigen von den obgedachten Fällen eine Folge ihrer physischen ursachlichen Verknüpfung ist, aber ich meine, es sey auch eben so gewiß, daß sie es in einigen nicht sey, und nur auf einer Jdeenverbindung beruhe. Die Empfindungen des Gesichts und des Gehörs in
X. Verſuch. Ueber die Beziehung aͤhnlich ſind. Eine traͤge Bewegung macht, daß wirauch etwas Mattes und Verdrießliches empfinden; eine langſame gleichfoͤrmige Bewegung giebt uns ein ruhiges und ergoͤtzendes, und eine ſchnelle Bewegung ein leb- haftes Gefuͤhl, welches die Lebensgeiſter aufbringt, und zur Hurtigkeit reizt. Ein Waſſerfall zwiſchen den Fel- ſen wirkt ein unruhiges verwirrtes Gefuͤhl in der Seele, das ſeiner Urſache ſehr aͤhnlich iſt, und bey ſchwachen Perſonen einen Schwindel, wie die unordentlichen Be- wegungen einer Heerde Schaafe oder Schweine bey dem, der mitten unter ihnen ſteht, wenn ſie gedraͤngt um ihn vorbey laufen. Ein hoher Gegenſtand ſchwellt das Herz, und bewegt den Zuſchauer, aufgerichtet zu ſtehen. Ei- ne gezwungene Stellung, welche der Perſon, die ſie an- nimmt, beſchwerlich wird, iſt auch dem Zuſchauer wi- drig. Von den Toͤnen darf nichts geſaget werden, da ihre phyſiſche Wirkung bekannt iſt. Der genannte Schriftſteller erklaͤrt daraus die Anſteckung der Freude und der Betruͤbniß, und glaubt, wenn uns tugendhafte Handlungen in einzelnen Faͤllen zur Nachahmung leiten, ſo ſey es ihr phyſiſcher Einfluß bey dem Anblick, der uns Bewegungen einfloͤße, die den Leidenſchaften, welche ſol- che Handlungen hervorbringen, aͤhnlich ſind. Es iſt wohl wahr, daß die Aehnlichkeit der Wirkungen und der Urſachen in einigen von den obgedachten Faͤllen eine Folge ihrer phyſiſchen urſachlichen Verknuͤpfung iſt, aber ich meine, es ſey auch eben ſo gewiß, daß ſie es in einigen nicht ſey, und nur auf einer Jdeenverbindung beruhe. Die Empfindungen des Geſichts und des Gehoͤrs in
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X. Verſuch. Ueber die Beziehung
aͤhnlich ſind. Eine traͤge Bewegung macht, daß wir
auch etwas Mattes und Verdrießliches empfinden; eine
langſame gleichfoͤrmige Bewegung giebt uns ein ruhiges
und ergoͤtzendes, und eine ſchnelle Bewegung ein leb-
haftes Gefuͤhl, welches die Lebensgeiſter aufbringt, und
zur Hurtigkeit reizt. Ein Waſſerfall zwiſchen den Fel-
ſen wirkt ein unruhiges verwirrtes Gefuͤhl in der Seele,
das ſeiner Urſache ſehr aͤhnlich iſt, und bey ſchwachen
Perſonen einen Schwindel, wie die unordentlichen Be-
wegungen einer Heerde Schaafe oder Schweine bey dem,
der mitten unter ihnen ſteht, wenn ſie gedraͤngt um ihn
vorbey laufen. Ein hoher Gegenſtand ſchwellt das Herz,
und bewegt den Zuſchauer, aufgerichtet zu ſtehen. Ei-
ne gezwungene Stellung, welche der Perſon, die ſie an-
nimmt, beſchwerlich wird, iſt auch dem Zuſchauer wi-
drig. Von den Toͤnen darf nichts geſaget werden, da
ihre phyſiſche Wirkung bekannt iſt. Der genannte
Schriftſteller erklaͤrt daraus die Anſteckung der Freude
und der Betruͤbniß, und glaubt, wenn uns tugendhafte
Handlungen in einzelnen Faͤllen zur Nachahmung leiten,
ſo ſey es ihr phyſiſcher Einfluß bey dem Anblick, der uns
Bewegungen einfloͤße, die den Leidenſchaften, welche ſol-
che Handlungen hervorbringen, aͤhnlich ſind. Es iſt
wohl wahr, daß die Aehnlichkeit der Wirkungen und der
Urſachen in einigen von den obgedachten Faͤllen eine Folge
ihrer phyſiſchen urſachlichen Verknuͤpfung iſt, aber ich
meine, es ſey auch eben ſo gewiß, daß ſie es in einigen
nicht ſey, und nur auf einer Jdeenverbindung beruhe.
Die Empfindungen des Geſichts und des Gehoͤrs
koͤnnen fuͤr ſich Gemuͤthsbewegungen hervorbringen, in-
dem ſie die Seelenorgane durch ihre Eindruͤcke auf eine
gewiſſe Weiſe in Bewegung ſetzen, wobey Empfindniſſe in
der Seele erzeuget werden, auch wenn dergleichen nie-
mals vorher da geweſen ſind. Denn ſo wie die Veraͤn-
derungen in der Seele die entſprechende Bewegungen
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