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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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der Vorstellungskraft etc.
sehen, sind gewisse äußere Veränderungen auf dem Ge-
sicht, die unsere Vorstellung von dem Weinen, und
durch diese selbst die Empfindung erregen. Diese Au-
gen- und Mienensprache müssen wir erst verstehen ler-
nen, wie die Wörtersprache, ob sie gleich geschwinder er-
lernet wird, und so wie jene uns zu Hülfe kommt bey der
Erlernung der Worte, so befördert auch die Wörter-
sprache die Kenntniß der Mienen.

Es giebt auch geflissentliche eigentliche Nachahmun-
gen der Empfindungen, wie der Handlungen, und da
beide einander ähnlich sind, so will ich mich auch hiebey
nicht aufhalten, sondern auf das vorhergesagte wieder
hinweisen.

Aber gehören alle Mittheilungen der Gefühle, alle
Erregungen ähnlicher Empfindungen, die Ansteckungen
der Gemüthsbeschaffenheiten und der Leidenschaften, zu
Einer von den beiden erklärten Gattungen, oder giebt es
noch einen wahren physischen Einfluß der Herzen in ein-
ander, wobey die Einbildungskraft die Vermittlerinn
nicht seyn darf? Kann nicht das Angstgeschrey der
Verzweifelung als ein äußerer sinnlicher Eindruck eine
Wirkung auf die Nerven, und von ihnen auf die Seele
hervorbringen, welche ihrer Ursache in etwas ähnlich ist,
auf dieselbige Weise, wie eine Saite eines Jnstruments
die andere harmonisch gespannte in eine ähnliche Bewe-
gung setzet, und wie schallende Körper andere nachklin-
gend machen?

Hr. Home hat eine Menge von Beyspielen ange-
führt, die darüber fast keinen Zweifel zu lassen scheinen. *)
Die Bewegungen der Körper verursachen unter ihren
verschiedenen Umständen Empfindungen, welche ihnen

ähn-
*) Grundsätze der Kritik Erst. Th. Kap. 2. VI. Th. von
der Aehnlichkeit, welche Bewegungen (Gemüths-
bewegungen) mit ihren Ursachen haben.
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der Vorſtellungskraft ⁊c.
ſehen, ſind gewiſſe aͤußere Veraͤnderungen auf dem Ge-
ſicht, die unſere Vorſtellung von dem Weinen, und
durch dieſe ſelbſt die Empfindung erregen. Dieſe Au-
gen- und Mienenſprache muͤſſen wir erſt verſtehen ler-
nen, wie die Woͤrterſprache, ob ſie gleich geſchwinder er-
lernet wird, und ſo wie jene uns zu Huͤlfe kommt bey der
Erlernung der Worte, ſo befoͤrdert auch die Woͤrter-
ſprache die Kenntniß der Mienen.

Es giebt auch gefliſſentliche eigentliche Nachahmun-
gen der Empfindungen, wie der Handlungen, und da
beide einander aͤhnlich ſind, ſo will ich mich auch hiebey
nicht aufhalten, ſondern auf das vorhergeſagte wieder
hinweiſen.

Aber gehoͤren alle Mittheilungen der Gefuͤhle, alle
Erregungen aͤhnlicher Empfindungen, die Anſteckungen
der Gemuͤthsbeſchaffenheiten und der Leidenſchaften, zu
Einer von den beiden erklaͤrten Gattungen, oder giebt es
noch einen wahren phyſiſchen Einfluß der Herzen in ein-
ander, wobey die Einbildungskraft die Vermittlerinn
nicht ſeyn darf? Kann nicht das Angſtgeſchrey der
Verzweifelung als ein aͤußerer ſinnlicher Eindruck eine
Wirkung auf die Nerven, und von ihnen auf die Seele
hervorbringen, welche ihrer Urſache in etwas aͤhnlich iſt,
auf dieſelbige Weiſe, wie eine Saite eines Jnſtruments
die andere harmoniſch geſpannte in eine aͤhnliche Bewe-
gung ſetzet, und wie ſchallende Koͤrper andere nachklin-
gend machen?

Hr. Home hat eine Menge von Beyſpielen ange-
fuͤhrt, die daruͤber faſt keinen Zweifel zu laſſen ſcheinen. *)
Die Bewegungen der Koͤrper verurſachen unter ihren
verſchiedenen Umſtaͤnden Empfindungen, welche ihnen

aͤhn-
*) Grundſaͤtze der Kritik Erſt. Th. Kap. 2. VI. Th. von
der Aehnlichkeit, welche Bewegungen (Gemuͤths-
bewegungen) mit ihren Urſachen haben.
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[679/0739] der Vorſtellungskraft ⁊c. ſehen, ſind gewiſſe aͤußere Veraͤnderungen auf dem Ge- ſicht, die unſere Vorſtellung von dem Weinen, und durch dieſe ſelbſt die Empfindung erregen. Dieſe Au- gen- und Mienenſprache muͤſſen wir erſt verſtehen ler- nen, wie die Woͤrterſprache, ob ſie gleich geſchwinder er- lernet wird, und ſo wie jene uns zu Huͤlfe kommt bey der Erlernung der Worte, ſo befoͤrdert auch die Woͤrter- ſprache die Kenntniß der Mienen. Es giebt auch gefliſſentliche eigentliche Nachahmun- gen der Empfindungen, wie der Handlungen, und da beide einander aͤhnlich ſind, ſo will ich mich auch hiebey nicht aufhalten, ſondern auf das vorhergeſagte wieder hinweiſen. Aber gehoͤren alle Mittheilungen der Gefuͤhle, alle Erregungen aͤhnlicher Empfindungen, die Anſteckungen der Gemuͤthsbeſchaffenheiten und der Leidenſchaften, zu Einer von den beiden erklaͤrten Gattungen, oder giebt es noch einen wahren phyſiſchen Einfluß der Herzen in ein- ander, wobey die Einbildungskraft die Vermittlerinn nicht ſeyn darf? Kann nicht das Angſtgeſchrey der Verzweifelung als ein aͤußerer ſinnlicher Eindruck eine Wirkung auf die Nerven, und von ihnen auf die Seele hervorbringen, welche ihrer Urſache in etwas aͤhnlich iſt, auf dieſelbige Weiſe, wie eine Saite eines Jnſtruments die andere harmoniſch geſpannte in eine aͤhnliche Bewe- gung ſetzet, und wie ſchallende Koͤrper andere nachklin- gend machen? Hr. Home hat eine Menge von Beyſpielen ange- fuͤhrt, die daruͤber faſt keinen Zweifel zu laſſen ſcheinen. *) Die Bewegungen der Koͤrper verurſachen unter ihren verſchiedenen Umſtaͤnden Empfindungen, welche ihnen aͤhn- *) Grundſaͤtze der Kritik Erſt. Th. Kap. 2. VI. Th. von der Aehnlichkeit, welche Bewegungen (Gemuͤths- bewegungen) mit ihren Urſachen haben. U u 4

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 679. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/739>, abgerufen am 22.11.2024.